Timing bei den Olympischen Spielen: Zur falschen Zeit am falschen Ort
Bei den Olympischen Spielen finden so viele Events gleichzeitig statt, dass unser Kolumnist immer zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein scheint.
B ei Olympischen Spielen ist man doch ziemlich oft am falschen Ort. Es gibt einfach zu viele Spiele, Wettkämpfe und Entscheidungen. Schon zwei Tage vor der Eröffnungsfeier konnte man sich vertun mit der Auswahl des Events, das man besucht.
So war kaum ein Kollege beim Fußballspiel von Marokkos Männern gegen Argentinien. Und weil die auf prüde programmierte Bildregie nur unverfängliche Aufnahmen zeigt statt Zuschauer, die auf den Platz laufen oder eine Feuerwerksrakete Richtung argentinische Bank schießen, ist vieles nur vom Hörensagen her überliefert, was an jenem Mittwochabend in St. Étienne passiert ist.
Statt dort auf der Tribüne zu sitzen und der Dinge zu harren, die nach der stundenlangen Spielunterbrechung geschehen würden, saß ich in Marseille auf der Tribüne und habe mich beim Auftaktspiel der Franzosen gegen die USA gelangweilt.
Aber so ist das eben bei Olympischen Spielen. Ein Imbissbetreiber in Marseille, der mich anhand des Wichtigtuerlätzchens, das ich wie die anderen Akkreditierten und den Hals trage, als Olympiajournalisten erkennt, fragt mich am Tag nach dem Auftakt des Fußballturniers, ob ich das Spiel gesehen hätte. Nein, ich war ja nicht in St. Étienne. Nein, nicht das. Er meine das Spiel in Lyon. Lyon? Wer soll denn da gespielt haben? Na, die Ukraine gegen den Irak, werde ich aufgeklärt. Ja? Und wie ist es ausgegangen? Ob ich das denn nicht wisse. Das sei die größte Überraschung des Turniers.
Er schüttelt den Kopf und hält mich wahrscheinlich für völlig fehl am Platz bei Olympia. Der Irak habe zurückgelegen und am Ende noch mit 2:1 gewonnen. Ob das nicht Wahnsinn sei? Ja, schon, gebe ich ihm recht. Dann erzählt er mir noch von den ausbleibenden Touristen. Früher sei sein Lokal unten an der Canebière immer voll gewesen. Und jetzt? Lauter freie Plätze. Niemand interessiere sich für Olympia. Hmm. Wer am Samstag in Paris die Begeisterung über das Rugbygold der Franzosen aus jeder Kneipe hat schallen hören, wird das gewiss anders sehen.
Nach dem Imbiss mache ich mich jedenfalls auf ins Segelrevier, um ein wenig von der Trainingsstimmung vor den ersten Regatten einzufangen. Doch in der brütenden Hitze in der Marina von Marseille war nicht viel einzufangen. Am Vortag hatte noch ein kräftiger Wind über die Küste geblasen, jetzt herrschte absolute Flaute. Ich war also wieder mal zur falschen Zeit am falschen Ort. So wie ich es am Samstag versäumt habe, aus Paris rauszufahren ins olympische Schießzentrum nach Châteauroux, um den Kampf um Bronze zu verfolgen, den das deutsche Schützenpaar Maximilian Ulbrich und Anna Janßen gegen Islam Satpajew und Alexandra Le aus Kasachstan leider dann doch verloren hat.
Aber vielleicht ist das alles halb so schlimm, denke ich mir, und mache mich auf den Weg zum Einzelzeitfahren der Radlerinnen. Wird schon falsch sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Außenministertreffen in Brüssel
„Europa spricht nicht die Sprache der Macht“