Tim Renner, Berlins Mann für Kultur: Der Sound des Amtes
Früher hat Tim Renner Rammstein gefördert, heute trägt er den Titel Hauptstadtkulturstaatssekretär. Kann das gut gehen?
BERLIN taz | Der Kragen des Staatssekretärs sitzt schief. Die beiden oberen Hemdknöpfe sind auf; unter dem hellen Stoff lugt etwas Haut hervor. Den Pressesprecher der Senatskanzlei macht diese Tatsache ganz unruhig. „Darf ich eben?“ Er darf, legt Hand an, fummelt an Tim Renners Hals herum. „Besser jetzt?“, fragt Renner. „Ja, schön“, sagt sein Kollege, „schön spießig.“ Renner versucht, den Blick gen Kragen zu wenden. „Fuck“, sagt er beiläufig.
Tim Renner hat an den großen Konferenztisch in sein geräumiges Büro in Berlin-Mitte geladen. In einem unauffälligen Haus nahe dem Rosenthaler Platz hat sich der Mann mit dem schiefen Kragen unter dem jägergrünen Cordjackett eingerichtet. Die Gläser, Tassen und Kannen wirken etwas verloren vor ihm auf dem Tisch, von dem aus man auf großformatige Berlin-Silhouetten in Schwarzweiß blickt, die an der Wand hängen.
Renner, rötlichblondes Haar, rötlichblonder Bart mit leichter grauer Schraffur, ist seit knapp fünf Monaten Kulturstaatssekretär. Hauptstadtkulturstaatssekretär, um genau zu sein. Ein richtig schön deutsches Kompositum; in noch schönerer deutscher Amtssprache heißt sein neuer Posten: Staatssekretär für kulturelle Angelegenheiten des Landes Berlin.
Ein Mann der Popkultur, Exchef des Musikunternehmens Universal Deutschland, jemand, den man eher mit Rammstein als mit Rachmaninow, eher mit Wave als mit Verdi assoziiert, hat damit den höchsten Kulturposten Berlins inne. In der Regel dringen nur Leute aus der sogenannten Hochkultur in diese Stellungen vor. Die Ämterkonstellation in Berlin sieht vor, dass die Senatskanzlei auch den Senator für Kultur stellt. Der Regierende Bürgermeister – noch Klaus Wowereit – ist so zugleich Kultursenator. Fürs Tagesgeschäft aber ist der Staatssekretär zuständig.
„Nu isser weg“
Genau dieser Wowereit ist auch der Grund dafür, dass Renner gerade in keiner einfachen Situation ist. Denn der scheidende Berliner Landesfürst war es, der den 49-Jährigen erst im Frühjahr ins Amt hievte, nachdem der an der Spree hoch geschätzte André Schmitz zurücktreten musste. Er hatte Steuern hinterzogen, das kommt nicht so gut als Staatssekretär. Im Dezember dieses Jahres dann tritt Wowereit selbst ab.
„Nu isser weg, und das in einer blöden Phase“, sagt Renner lakonisch und misst damit Wowereits restlichen Monaten nicht mehr allzu viel Bedeutung zu. „Ich bin dieses Risiko auch eingegangen, weil ich Klaus Wowereit zugetraut habe, dass er mich stützt.“ Als Renner von dessen Rückzug erfuhr, war er gerade bei der Einschulung seiner Tochter. Er hatte sich Ende August dafür freigenommen, als sein Förderer eine SPD-Sitzung nutzte, um den Rücktritt anzukündigen. „Da saß ich erst mal ziemlich nervös, während Kinderchöre um mich herum sangen.“
Nervös wirkt er nun nicht, wenn er am Kopf des Tisches sitzt. Eine blöde Phase ist es deshalb, weil Renner, erst seit November vergangenen Jahres SPD-Mitglied, Novize im politischen Amt ist und nun die ersten Gespräche anstehen. Zum Beispiel zur Besetzung nicht gerade irgendwelcher Intendantenposten. Noch hält sich Renner viel mit Antrittsbesuchen auf. „Ich laufe hier von Abteilung zu Abteilung – nein, Referate heißen sie hier.“
Armer Studienabbrecher aus prekären Verhältnissen
Die Geschichte des Tim Renner ist eine des Aufstiegs – eine, die gerne mal gnadenlos romantisiert wird. Diese Fiktionen gehen in etwa so: Armer Studienabbrecher aus heruntergewirtschaftetem Elternhaus wird zum Chef eines großen Medienkonzerns. Oder eben: Umtriebiger Typ aus dem Underground schafft es bis an die Spitze der Berliner Kulturpolitik. „Ein Punk wird Staatssekretär“, war sich eine Zeitung nicht zu blöd zu titeln. All diese Erzählungen beinhalten nur die halbe Wahrheit.
Der in Berlin geborene und in Hamburg aufgewachsene Renner hatte im Übrigen wirklich kurzzeitig mit der Hamburger Punkszene zu tun: 1980, im Alter von 16 Jahren, brachte er ein eigenes Fanzine – als Kassette – heraus. Darüber kam er gar zu einer Radiosendung beim NDR. Renner hatte auch eine Band. „Quälende Geräusche“ hieß sie.
In seiner persönlichen Post-Punk-Phase dann studierte er Germanistik und finanzierte das Studium als freier Journalist. „Daraus wurde ein Fulltime-Job, das ging gar nicht anders, wenn man davon leben wollte“, sagt er. Aufgrund einer Recherche ging er als Praktikant zu Polydor, zu der Zeit eines der größten deutschen Plattenlabels.
Rammstein und Tocotronic
Er blieb in der Musikindustrie hängen. Man könnte auch sagen: Er blieb da, wo damals noch das Geld war. Renner arbeitete sich hoch. Noch in den Achtzigern landete er erste Hits, 1994 gründete er das eigene Sublabel Motor Music, auf denen dann später Rammstein, als deren Förderer er gilt, oder Tocotronic ihre Alben veröffentlichten.
Vier Jahre später ging sein Label in der Universal-Gruppe auf. 2001 stand Renner an der Spitze dieses Unternehmens. Er war 37 Jahre alt; ihm traute man zu, den digitalen Wandel zu meistern. Als der US-Mutterkonzern aber einen rigiden Sparkurs einforderte, schmiss Renner 2004 hin. 2005 gründete er sein Label und einen Radiosender neu, und er schrieb Bücher zum Popbusiness.
Heute sitzt Renner in seinem Büro wenige Meter von Humboldt entfernt. Also von einer Humboldt-Büste, die an der Wand steht. An der Marmorskulptur klebt ein kleines Post-it an der Stelle, wo Humboldts Brust wäre. Im WM-Taumel hatte der Kulturstaatssekretär seinem Humboldt vier Sterne an den Rumpf gepinnt. „Die können jetzt wieder ab“, sagt er zu dem Fotografen, der ihn ablichtet.
Dienstreise nach Riga
Kokettiert der Mann mit all dieser Lockerheit? Geht der sein Amt in ausgestellter Schaun-mer-mal-Manier an? Noch lässt sich schwer einschätzen, wie viel Renner in der Berliner Kultur bewegen wird. Der fleißige Facebook-User postet derzeit noch eifrig von Dienstreisen nach Riga, vom Sichten der Aktenberge, auch von Popkonzerten.
Gleichzeitig wirkt er hier, in seinem Büro, eben wie jemand, der sich sorgfältig in ein fremdes Feld einarbeitet. Seine Amtszeit endet Herbst 2016, dann sind Senatswahlen in Berlin. Man kann sich kaum vorstellen, dass Renner, der andernorts die Läden, die er betrat, ordentlich umkrempelte, nicht eine weitere Amtszeit anstrebe.
In seiner alten Branche galt der zweifache Vater immerhin als jemand, der seine Visionen mit letzter Konsequenz verfolgte – wenn dabei auch so mancher auf der Strecke blieb. Zu seiner neuen Funktion hingegen erklärt er: „Erst mal ist der Plan: zweieinhalb Jahre. Das schaffst du, das ist ein überschaubarer Zeitraum, habe ich mir gesagt.“
Eine Baustelle mit Namen Waltz
Arbeit gibt es ohne Ende, auch wenn einige meinen, sein Wirkungsraum sei arg beschränkt, da die wichtigen Entscheidungen, etwa der Kulturhaushalt bis Ende 2015, bereits gefällt worden seien. Viele Baustellen aber bleiben. Okay, die Staatsopersanierung unterliegt dem Bauressort, das Humboldtforum könnte man noch partiell als Bundessache abtun, aber für die einstmals auf dem Tempelhofer Feld geplante Landesbibliothek wird er eine Lösung anschieben müssen. Eine weitere Baustelle hat den Namen Sasha Waltz: die Choreografin ist mit ihrer „Compagnie“ für zeitgenössischen Tanz eine der Kulturheroinnen der Stadt. Und sie ist abwanderungswillig, weil es an Geldern fehlt.
Sowieso, die freien Künste: Die Akteure der freien Szene haben ganz andere Anforderungen an Renner, weil er, wenn auch zu Unrecht, immer noch als Vertreter des „Indie“ gilt, als einer von ihnen. Und weil er sich einmal in einem Interview zu ihrem Advokaten ernannt hat. „Ich habe sehr bewusst den Ausdruck ’Anwalt der freien Szene‘ benutzt“, sagt er nun. „Ein seriöser Anwalt wird nie vorher behaupten, dass er den Prozess gewinnen wird. Er wird aber sagen, dass er sein Bestes geben wird.“
Dies wird auch nötig sein, denn die Szene dürfte der Kulturpolitik kaum noch viel Vertrauen entgegenbringen. Von der City-Tax, einer 2014 in Berlin eingeführten Übernachtungssteuer, die der freien Kulturszene, Sport und touristischen Zwecken zugutekommen soll, wird nicht so viel bleiben, wie versprochen wurde.
Peymann, Castorf, Flimm
Auf Intendantensuche muss Renner auch gehen. Mit dem Berliner Ensemble (Claus Peymann), der Volksbühne (Frank Castorf) und der Staatsoper (Jürgen Flimm) sind drei Posten, die von renommierten Personen besetzt sind, ab 2016 und 2017 mit großer Wahrscheinlichkeit vakant. Erwähnt man dies, schimmert dann doch der im Amt angekommene Tim Renner durch – der selbstbewusste Vertreter einer selbstbewussten Stadt. „Wir haben es in Berlin zum Glück nicht nötig, den großen Namen zu suchen. Wir suchen den besten.“
Und es gibt noch einen anderen Auftrag. „Diese Stadt ist aufgekauft!!!“ So ruft es nur wenige hundert Meter von Renners Büro entfernt in großen schwarzen Lettern von einem Gebäude. Wut treibt die Berliner Szene um, dass auch aus Mitte bald das letzte Stück Subkultur vertrieben wird. „Man kann nur immer wieder darauf verweisen, wie gefährlich die Situation ist“, sagt Renner. „Diese Quartiere zu erhalten liegt nicht nur im Interesse der Kreativen. Es liegt im Interesse der Stadt. Es darf nicht immer aufs Neue eine Wiederholung des Prenzlauer-Berg-Effekts geben, sonst wird Berlin zu einer klinischen Stadt.“
Damit das nicht passiert, gilt es, die kommunalen Gebäude, die kulturellen Zentren zu erhalten, die dem Konsolidierungsland Berlin viel Geld einbringen würden. So aber könne man nicht rechnen, sagt Renner und wiederholt aufs Neue die Statistik, nach der 75 Prozent der Besucher wegen der Kultur nach Berlin kommen. Stehe er vor dem Finanzsenator, versuche er, „von hanseatischem Kaufmann zu hanseatischem Kaufmann zu argumentieren“.
Was den einen der beiden „Kaufmänner“ betrifft, den, der hier sitzt und sich das meiste Kaufmännische selbst draufgeschafft hat, so ist dessen Zukunft völlig ungewiss. Kann sein, in zehn Jahren spricht man von ihm als Interimslösung, dessen Namen einem kaum noch in den Sinn kommt. Es kann auch sein, dass er die Kulturpolitik Berlins bis dahin neu definiert hat. In dem Fall würde der Kulturobere Berlins selbstverständlich noch Tim Renner heißen.
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