Tierversuche Dürfen Wissenschaftler zu biomedizinischen Zwecken mit Affen forschen? Wir haben eine Tierethikerin und den Leiter des Deutschen Primatenzentrums zum Streitgespräch zusammengebracht: Primat des Menschen
Stefan Treue
Aus Göttingen Heike Haarhoff
Es ist ein warmer Sommertag, als Ursula Wolf und Stefan Treue ein Experiment wagen: Die zwei Wissenschaftler wollen, angestoßen durch die taz, erstmals miteinander reden (Seite 18).
Treue leitet das Deutsche Primatenzentrum in Göttingen. Forschung an Primaten zählt zu den umstrittenen Tierversuchen in Deutschland. Wolf ist Philosophin und eine einflussreiche Stimme in der Tierethik-Debatte.
Kaum eine gesellschaftliche Kontroverse wird hierzulande so emotional und militant ausgetragen wie der Streit um die Frage, ob Wissenschaftler zu biomedizinischen Forschungszwecken mit Affen forschen dürfen.
Vor dem Gespräch – das war Treues Vorschlag – wollen die beiden das Primatenzentrum gemeinsam besichtigen. Dabei sein und alles sehen – die Käfighaltung, die Versuchsstühle, die Labore – darf auch die taz, nur der Fotograf hat nicht zu allen Stationen Zugang. Die Sorge vor Missbrauch oder nachträglicher Manipulation von Bildern sitzt bei vielen Neurowissenschaftlern, die mit Affen arbeiten, tief.
Im Zentrum werden 1.400 Primaten, vor allem Rhesusaffen und Krallenaffen, aber auch Paviane und Lemuren, gehalten. Stefan Treue fährt durch einen Nebeneingang. Schon von der Straße fällt der Blick auf ein Gehege aus Maschendraht, groß wie ein Oktoberfestbierzelt.
Gut drei Dutzend Rhesusaffen, darunter Babys und Jungtiere, jagen über Baumstämme, schwingen sich auf Seilen durch die Luft, verstecken sich in Rohren, testen ihre Balance auf Schaukeln und Wippen. Ein paar ältere Tiere turnen kreischend an den Gittern und beäugen ihre Besucher. Es ist ein fröhlicher Lärm, die Rhesusaffen schneiden Grimassen.
Treue verteilt Desinfektionsmittel, Einmalhandschuhe, Kittel, Brillen und medizinische Überschuhe. Wer zu den Gehegen und den Laboren im Inneren möchte, unterliegt strengen Hygienevorschriften; zum eigenen und zum Schutz der Primaten vor Krankheitsübertragung.
Im Vorzimmer zum Versuchsraum stehen zwei Bildschirme. Auf einem sieht man einen ausgewachsenen, gut 15 Kilo schweren männlichen Primaten in einer Plastikbox, dem sogenannten Primatenstuhl, sitzen. Er schaut konzentriert auf einen Touch-Screen. Zwischen sich bewegenden, weiß-grauen Punktmustern leuchten in unregelmäßigen Abständen rote Punkte auf. Der zweite Bildschirm zeigt eine zackige Messkurve, an der man, vereinfacht gesagt, ablesen kann, welche Zellen im Gehirn des Affen Signale empfangen oder aussenden und beteiligt sind, wenn der Affe seine Aufmerksamkeit auf die Punktmuster oder Punkte richtet.
Leise öffnet Treue die Tür, das Tier hält für einen Moment inne und beobachtet dann ruhig wie zuvor den Bildschirm.
Den Versuchstieren, Rhesusaffen, wurde am Schädel unter Vollnarkose ein münzgroßer wiederverschließbarer Zugang eingesetzt. Damit lassen sich haarfeine Mikro-Elektroden in der Nähe einzelner Nervenzellen in ihrem Gehirn positionieren. Aus der Kopfhaut des Affen im Versuchsraum ragt, zusätzlich zu den Elektroden, ein Metallstift, ein sogenanntes orthopädisches Implantat, das in den Schädel implantiert wurde und bei Bedarf am Primatenstuhl befestigt werden kann.
Körper, Arme und Beine kann der Affe bewegen. Der Kopf ist während der Messungen aber fixiert. Ursula Wolf sieht Treue an. Der versichert: „Es gibt Affen, die in dieser Haltung einschlafen. Sie können auch in diesem Stuhl entspannen – wenn und weil sie wissen, dass ihnen hier nichts passiert.“
Erkennt der Affe einen roten Punkt auf dem Bildschirm, drückt er mit seiner Hand auf die Stelle auf dem Touch-Screen. Hat er falsch gedrückt, ertönt ein Brummen. Hat er richtig reagiert, ist ein Piepston zu hören, und er bekommt zur Belohnung durch den Schlauch eines Pumpsystems einen Schluck seines Lieblingssafts zu trinken. Nach etwa ein bis vier Stunden, wenn der Affe die Aufgabe nicht mehr durchführt, kommt er zurück in den Käfig zu seiner Sozialgruppe, wo er sich wieder zwischen Klettermöglichkeiten frei bewegen und nach Belieben von drinnen nach draußen rennen kann – bis zum nächsten Tag.
Die ethische Abwägung
Positive Belohnung, Motivation, Verlässlichkeit, Angstfreiheit und – zumindest was die Versuchsdauer betrifft – ein gewisses Maß an Selbstbestimmung seien die Erfolgsparameter für Experimente mit Primaten, sagt Treue. Oft dauert es ein Jahr, bevor der eigentliche Versuch losgehen kann: Der Affe muss Vertrauen zu seiner Bezugsperson fassen, die ihn ins Labor und zurückbringt. Er muss – ebenfalls über ein Belohnungssystem – dazu gebracht werden, sich freiwillig in den Primatenstuhl zu setzen, der nach seinen individuellen Körpermaßen angefertigt wird und, wie Stefan Treue betont, der natürlichen Sitzposition von Rhesusaffen entspricht. Und: Er muss kognitiv in der Lage sein, die ihm abverlangte Aufgabe erledigen zu können.
Manche Affen werden bis zu sechs oder sieben Jahre als Versuchstiere eingesetzt, teilweise in unterschiedlichen Versuchsreihen. Die Abwägung aus tierethischer Sicht ist nicht leicht: Setzt man ein Tier mehrfach für Versuche ein, dann „spart“ man ein anderes. Andererseits können mehrere Versuche dieses eine Tier in der Summe stärker belasten, als wenn sie auf mehrere Affen verteilt würden. Als Grundregel gilt: Nur gesunde Tiere dürfen weitermachen, unheilbar kranke werden eingeschläfert. Ein Rentnerdasein für Affen ist die große Ausnahme.
Aber auch im Tod wird darauf geachtet, dass wenig Ressourcen verschwendet werden. Das Göttinger Zentrum versorgt mit seinen Tieren andere öffentlich geförderte Forschungsinstitute und deckt so fast den gesamten deutschen akademischen Versuchstierbedarf an Primaten ab. Anfragen und Wünsche anderer Forschungseinrichtungen – also etwa: Universität A braucht eine Blutprobe, Universität B eine Milz, Institut C eine Histologie des Hirns – werden hier gebündelt. Im Zweifel muss dann nur ein Tier dafür sterben.
Replace, reduce, refine: Vermeidung von Tierversuchen durch Alternativmethoden, Verringerung der Versuchsanzahl, Verminderung des Leidens, dieses Ziel des wissenschaftlichen Tierschutzes, sagt Stefan Treue, sei in Göttingen stets oberstes Gebot.
Nach dem Rundgang beginnt das Streitgespräch …
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