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Tier­rechtsaktivist*in­nen vor GerichtVideos, die den Appetit verderben

Kommentar von Benno Schirrmeister

Ein Schlachthof bei Oldenburg hat Aktivist*in­nen verklagt, weil sie dokumentiert haben, was vor dem Töten von Schweinen geschieht.

Schweinehälften in einem Schlachthof: Vor dem Tod kommt die Todesangst Foto: Daniel Vogl/dpa

S elten bilden sich die Frontverläufe eines Zivilverfahrens auch im Zuschauerbereich so deutlich ab, wie hier im Landgericht Oldenburg: Links sitzen die Un­ter­stüt­ze­r*in­nen der Tierrechtsaktivist*innen, tendenziell eher urban gekleidet, manche haben T-Shirts mit dem Kürzel Ariwa an. Das steht für die Tierrechtsorganisation „Animal Rights Watch“.

Rechts vom Eingang trägt man eher ärmellose Steppweste und Karohemd, blickt entschlossen und reagiert unwirsch auf Journalistenfragen. Hier haben Schweinehalter und andere Supporter der Brand Qualitätsfleisch GmbH aus Lohne Platz genommen.

Jährlich werden dort über 745.000 Schweine geschlachtet, umgerechnet sind das drei pro Minute in der Betriebszeit. Nikolaus Brand, der die Geschäfte des Familienbetriebs in vierter Generation führt, hat zwei Ak­ti­vis­t*in­nen auf Schadenersatz von fast 100.000 Euro verklagt. Man würde auf die aber großzügig verzichten, wenn denn nur die schlimmen Bilder verschwinden. Das Urteil soll am 16. Juli verkündet werden.

Branche unter Rechtfertigungsdruck

Die eher symbolische als durch reale Schäden belegte Summe wirkt auch wie ein Hinweis darauf, dass Brand hier nicht nur für sich selbst, sondern für die ganze Branche wild um sich schlägt. Die ist zweifellos legal, steht aber eben ethisch unter erheblichem Rechtfertigungsdruck. Und den haben Anna Schubert und Hendrik Haßel durch heimliche Videoaufnahmen noch erhöht. Die zwei waren in Brands Schlachthof eingedrungen und haben die vorgeschriebene Betäubung der Schweine vor der Schlachtung gefilmt. Meistens geschieht das in der EU mit Kohlendioxid.

Dass das schweres Tierleid bedeutet, ist bekannt. Es steht sogar in der EU-Verordnung „über den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Tötung“, die trotz ihres schönen Titels einem wirtschaftlichen Primat folgt: Die Methode quält zwar, ist aber billiger, also erlaubt.

Eine öffentliche Diskussion hat bisher kaum stattgefunden. Denn so gut wie niemand weiß, was sich dabei abspielt, und deswegen soll ja auch das seit vergangenen Sommer in Auszügen über ARD und die Ariwa-Homepage verbreitete, von versteckten Kameras aufgenommene Videomaterial von Schubert und Haßel verschwinden, wenn es nach der Schweinebranche ginge.

Tiere in Panik

Das Material dokumentiert den Vorgang zum ersten Mal in Deutschland: Die Schweine werden in kleinen Gruppen in Käfig-Gondeln einer Paternosteranlage in einen neun Meter tiefen, finsteren Schacht hinabfahren. Der ist mit Kohlendioxid befüllt. Sobald die Tiere mitbekommen, dass da etwas nicht stimmt, bekommen sie Panik, zeigen Fluchtverhalten, die Atemnot erfasst sie, sie stoßen ihre Köpfe gegen die Stahlgitter, stoßen Schreie aus und verlieren endlich das Bewusstsein. Dann geht’s nach oben in den Tod.

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Die schrecklichen Bilder stammen aus Brands Betrieb. Sie zeigen genau das, was auch laut dem Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit in so einer Anlage zu erwarten ist. Doch Brand sieht durch die Veröffentlichung des Materials den Ruf seines Unternehmens geschädigt. Dass ausgerechnet sein Vorzeigebetrieb nun an den Pranger gestellt wird, empfinden auch die anderen Schweinemäster und Verbandsfunktionäre als quiekend ungerecht. Vielleicht weil sie wissen, wie viel schlimmer es ginge: Brand hat sich ja redlich ums Tierwohl bemüht, hat für seine Schlachterei das Bio-Zertifikat der Gesellschaft für Ressourcenschutz und das Label „Für Mehr Tierschutz“ erworben.

Das vergibt der Deutsche Tierschutzbund, damit die Leute glauben, „bewusst einkaufen“ zu können. Solange keine schlimmen Bilder es wachrütteln, lässt sich so nämlich das schlechte Gewissen prima betäuben. Völlig schmerzfrei. Benno Schirrmeister

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Reporter und Redakteur
Jahrgang 1972. Seit 2002 bei taz.nord in Bremen als Fachkraft für Agrar, Oper und Abseitiges tätig. Alexander-Rhomberg-Preis 2002.
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3 Kommentare

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  • Also entweder steht man dazu, dass man Tiere im Akkord tötet, oder man ist für Tierwohl. Tierwohl und Schlachterei passen wohl kaum zusammen, denn den Tieren tut man damit wohl kaum wohl. Oder will das wirklich jemand behaupten? Ehrlichkeit ist ganz offensichtlich nicht so gefragt...!

    • @Lesebrille:

      Ente oder Trente? Nö. Tierschutz bzw. Tierwohl (hat bei uns Verfassungsrang) kann/muss auch bei einem Schlachthof durchgesetzt werden. Man muss nur wollen ...

  • Mit Argon statt CO2 würde die Betäubung "sanfter" erfolgen. Jedoch würde der Fleischpreis um unverschämte 1 Cent/Kilogram steigen ...



    Quelle: www.fli.de/fileadm..._A4_interaktiv.pdf