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Expertin über TransplantationenMenschen mit Schweineherzen?

Die Forschung zu Tierorganen für Menschen macht Fortschritte. Ein Gespräch über Mögliches, Ethisches und Gefährliches.

Operation für die Entnahme einer Niere, die zur Transplantation vorgesehen ist Foto: Jan-Peter Kaspar/dpa
Stefanie Uhrig

Interview von

Stefanie Uhrig

taz: Frau Dahmen, können Schweine Leben retten?

Uta Dahmen: Prinzipiell können Schweineorgane Menschenleben retten. Das hat sich schon mehrfach in Einzelfällen gezeigt, bei denen Schweineherzen beziehungsweise Schweinenieren transplantiert wurden. In einem kürzlich publizierten Fall bekam ein Patient erstmals eine genetisch veränderte Schweineleber zur Überbrückung transplantiert. Er litt an einer Leberzirrhose und hatte einen großen Lebertumor entwickelt. Nach der Entfernung des Tumors wäre die verbleibende Restleber zu klein gewesen, um den Stoffwechsel des Patienten aufrechtzuerhalten. Daher wurde die Schweineleber zusätzlich zur Restleber anstelle des tumortragenden Leberanteils in den rechten Oberbauch transplantiert. Die transplantierte Schweineleber hat über vier Wochen im Körper des Patienten funktioniert, bis das Organ wieder entfernt werden musste, weil der Körper begann, sie abzustoßen. Der Patient lebte danach noch weitere drei Monate, bevor er an einer schweren Blutung verstarb.

taz: Können Menschen, die ein Tierorgan bekommen, damit ein halbwegs normales Leben führen?

Dahmen: Bisher wurde nur von diesem einen Lebereingriff bei einem lebenden Menschen berichtet. Der Eingriff und die postoperative Betreuung mussten unter sehr kontrollierten Bedingungen ablaufen und der Patient engmaschig überwacht werden. Schon deshalb ist es bei solchen klinischen Heilversuchen sinnvoll, wenn der Patient die gesamte Zeit im Krankenhaus bleibt. Was das für den Mann bedeutet hat, ist aber schwer zu sagen. Dahinter steckt dann die Frage: Wann ist ein Leben lebenswert? – Und das beantwortet möglicherweise jeder Mensch anders.

Bild: Michael Szabo
Im Interview: Uta Dahmen

Leiterin der Abteilung für experimentelle Transplantationschirurgie am Universitätsklinikum Jena. Ihr Team erforscht, wie sich die Perfusion, Transplantation und Regeneration der Leber verbessern lassen.

taz: Was bedeutet dieser Erfolg mit einem lebenden Patienten für die Transplantationsmedizin?

Dahmen: Einerseits ist es ein kleiner Schritt auf dem sehr weiten Weg bis zur klinischen Routine. Bei einem früheren Versuch wurde eine genetisch veränderte Schweineleber in einen hirntoten Empfänger transplantiert. Dort hat sie zehn Tage lang funktioniert. Bei diesem lebenden Patienten waren es bereits 30 Tage. Andererseits kann man diesen Erfolg an sich schon als eine Trendwende bezeichnen: Der Körper des Mannes hat die Leber als zusätzliche Hilfe zu seiner eigenen, erkrankten Leber angenommen und sie hat zu einem gewissen Grad funktioniert, wenn auch nur für eine begrenzte Zeit. Jetzt gilt es, auf diesen Erfahrungen aufzubauen.

taz: Versuche gab es bisher mit Leber, Herz und Nieren. Warum gerade diese Organe – und wäre auch prinzipiell eine Lungentransplantation möglich?

Dahmen: Leber, Herz und Niere werden am häufigsten benötigt. Im Jahr 2024 wurden in Deutschland 2.075 Nieren, 890 Lebern sowie 350 Herzen und 311 Lungen transplantiert. Prinzipiell wäre es auch möglich, einem Menschen eine Schweinelunge zu transplantieren. Das zeigt bereits eine Machbarkeitsstudie. Ein Fallbericht aus diesem Jahr beschreibt den Verlauf, nachdem eine Schweinelunge in einen menschlichen, allerdings hirntoten Empfänger transplantiert wurde.

taz: In den USA hat die Food and Drug Administration (FDA) klinische Studien zur Xenotransplantation mittlerweile genehmigt. Wie sieht die Forschungslage hier bei uns aus?

Dahmen: Auch in Deutschland ist die Wissenschaft auf dem Gebiet extrem stark reguliert und steht unter strenger Beobachtung der entsprechenden Behörden. Am Uniklinikum in München wird intensiv an diesem Thema gearbeitet: Ein Ziel ist es, neue Konzepte zu entwickeln, um die Immunantwort zu beeinflussen. Zudem geht es darum, genetisch veränderte Schweine zu entwickeln und präklinische Studien durchzuführen. Außerdem wird daran gearbeitet, klinische Studien zur Transplantation der genetisch veränderten Herzen vorzubereiten.

taz: Mal abgesehen von der Regulation, was sind die größten biologischen Hürden der Xenotransplantation?

Dahmen: Die größte Herausforderung ist, die komplexen Abstoßungsreaktionen zu verhindern. Es gibt vielfältige und zeitlich unterschiedlich verlaufende Immunreaktionen auf das fremde Transplantat. Innerhalb von Minuten bis Stunden kann sich eine hyperakute Abstoßung entwickeln: Das bedeutet, der Organismus reagiert auf Oberflächenmerkmale des Transplantats. Beim Schweineorgan sind das Zuckermoleküle, die mit Antikörpern im Blut reagieren. Das aktiviert die Gerinnungskaskade, sodass sich Blutgerinnsel im transplantierten Organ bilden. Das Transplantat wird dann abgestoßen, da es nicht mehr durchblutet wird. Bei dem lebenden Patienten gab es keine solche hyperakute Abstoßung, weil das Schweineorgan genetisch verändert wurde und dann nicht direkt vom Körper als „fremd“ erkannt wurde.

taz: Kann das Immunsystem danach trotzdem noch reagieren?

Dahmen: Ja. Im weiteren Verlauf können andere Formen der Abstoßreaktion auftreten, bei denen kleine Blutgefäße im Transplantat geschädigt werden. Das beeinträchtigt die Funktion massiv. Genau diese Komplikation hat der Patient entwickelt, sodass das Transplantat nach vier Wochen wieder entfernt werden musste. Die aktuelle Herausforderung ist also, die immunologischen und sonstigen Langzeitkomplikationen nach der Transplantation eines Schweineorgans zu verhindern.

taz: Was kann man gegen die Langzeitfolgen von Xenotransplantationen tun?

Dahmen: Das Transplantat muss so weit wie möglich „humanisiert“, also vermenschlicht werden. Das kann durch eine Kombination aus verschiedenen genetischen Veränderungen gelingen. Einerseits werden Gene des Schweins ausgeschaltet, andererseits menschliche Gene eingeschleust. Zusätzlich muss die geeignete Kombination von Medikamenten gefunden werden, mit denen die komplexen Abstoßungsreaktionen gezielt unterdrückt werden können.

taz: Viele menschliche Organe zur Transplantation kommen von Verstorbenen – aber das sind längst nicht genug. Wie geht man aktuell gegen den Organmangel vor?

Dahmen: Aktuell werden Organe, meist Nieren oder Teillebern, von lebenden Spendern verwendet. Spenden können etwa nah verwandte oder emotional nahestehende Menschen. Sie selbst können gut mit ihrer zweiten, gesunden Niere oder mit ihrer nachwachsenden Restleber überleben. Vor der Entnahme der Organe überprüft man natürlich, ob sie für den Empfänger verträglich sind. Kriterien sind dabei etwa die Organgröße oder die Blutgruppe.

taz: Und wie sieht es mit Wegen aus, bei denen niemand etwas spenden muss?

Dahmen: Es gibt noch das sogenannte Organ Engineering, also die Züchtung neuer Organe: Dazu werden Organgerüste benötigt. Solche Gerüste können aus Organen von Schweinen oder Menschen gewonnen werden, bei denen die Zellen entfernt werden. Oder sie kommen quasi künstlich aus einem 3D-Drucker. Die zellfreien Gerüste müssen danach mit den verschiedenen organtypischen menschlichen Zellen besiedelt werden. Aktuell kann man auf diese Weise jedoch noch keine funktionsfähigen Organe herstellen.

taz: Was wird es zuerst in der praktischen Anwendung geben? Xenotransplantation oder Organ Engineering?

Dahmen: Das lässt sich derzeit noch nicht sagen. Vorerst sind keine der beiden Techniken reif für die medizinische Routine. Allerdings wurden bereits genetisch veränderte Schweineorgane in Patienten transplantiert, jedoch noch keine gezüchteten Organe. In Zukunft wird es vermutlich nicht den einen Weg geben, sondern es werden beide Verfahren parallel weiterentwickelt.

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