Tierhaltung in Niedersachsen: Grund fürs Töten gesucht
Niedersachsens Agrarminister hat einen Plan vorgelegt, der den Tierschutz in der Massentierhaltung verbessern soll. Die Tierquälerei-Skandale hätten jedoch keine systemimmanenten Probleme als Ursache.
HANNOVER taz | Einen 38 Punkte langen Tierschutzplan hat Niedersachsens Agrarminister Gert Lindemann (CDU) am Mittwoch in Hannover vorgestellt. Der sieht Maßnahmen für zwölf Tiergruppen von der Legehenne bis zur Pekingente vor. Nach und nach sollen die geprüft und bis 2018 umgesetzt werden, kündigte Lindemann an.
Das Schnabelkürzen soll dem Plan zufolge bei Legehennen bis 2016, bei Puten bis 2018 beendet werden. Mit dem Kupieren von Schwänzen bei Ferkeln soll bis 2016 aufgehört werden, Kastrationen ohne Betäubung soll es ab 2015 nicht mehr geben.
Für die verbreitete Praxis, männliche Eintagsküken - die in der Legehennen-Branche als "Sexfehler" gelten - zu vergasen und zu verbrennen, soll bis 2013 eine Lösung gefunden werden.
Töten ohne Grund ist laut Tierschutzgesetz verboten - Lindemanns Plan sieht vor, einen solchen zu definieren. Der Minister selbst schlug vor, die männlichen Küken als Futtermittel zu nutzen: Man könne sie an Tiergärten oder Falkner zur Fütterung der Tiere dort verkaufen. Dann müssten wenigstens keine anderen Tiere getötet werden, erklärte Lindemann.
Angekündigt hatte er den Tierschutzplan schon zu seinem Amtsantritt im Januar. Noch in der vergangenen Woche hatte das Agrarministerium die Veröffentlichung Plans auf taz-Nachfrage für Juni angekündigt.
Erarbeitet wird der Katalog von einem Ausschuss mit Vertretern der Behörden, der Agrarwirtschaft, von Tier- und Verbraucherschutzverbänden.
Tierschutzindikatoren sollen entwickelt werden, die die Einhaltung der Tierschutzziele "objektiv überwachbar" machen sollen.
Um das Vertrauen der Verbraucher zu stärken, will das Agrarministerium bis 2014 ein Tierschutzlabel entwickeln.
Einige Maßnahmen sollen zunächst erprobt werden. In einem Pilotbetrieb wird etwa untersucht, wie sich Legehennen mit ungekürzten Schnäbeln bei der Bodenhaltung verhalten.
Vermieden werden sollen Kannibalismus und Federpicken.
Die wurde kurzfristig vorgezogen - am Montag waren erneut Tierquälerei-Vorwürfe gegen einen niedersächsischen Putenmastbetrieb bekannt geworden.
Da hatte die Tierrechtsorganisation Peta massive Tierquälereien in einem Betrieb in Emstek bei Cloppenburg aufgedeckt. Auf Fotos und Video hat Peta die erschütternden Zustände dokumentiert: Verletzte, deformierte und sterbende Puten auf matschigem Boden, dazwischen verwesende Tierkörper. Bilder, die laut Peta "typisch für fast alle Mastanlagen" sind.
Ähnliches führen auch Wissenschaftler der Uni Leipzig an, die 18 deutsche Betriebe, davon sechs niedersächsische, untersucht haben. Ihr Ergebnis: Entzündete Fußballen bei fast allen Tieren, etwas seltener Knochenbrüche, geschwürartige Brusthaut-Entzündungen oder Abzesse (taz berichtete).
Lindemann hingegen bezweifelte am Mittwoch, "dass diese Probleme bei der Massentierhaltung systemimmanent sind". In Zweifel zog er auch, dass es sich bei dem jüngst bekannt gewordenen Fall in Emstek um den ersten Tierschutz-Skandal in seiner Amtszeit handele: Nach Angaben der zuständigen Veterinärbehörde Cloppenburg stammten die Peta-Aufnahmen aus dem vergangenen Oktober, sagte er. Zu dem Material, das der taz vorliegt, gehören Bilder von Lieferscheinen aus dem Mastbetrieb. Darauf deutlich zu erkennen: Das Datum 4. April 2011.
Dem Landkreis Cloppenburg war der Betrieb bereits 2008 aufgefallen. Vor zwei Wochen entdeckten Kontrolleure dort erneut Mängel. "Erhebliche Tierschutz-Verstöße" waren auch dem Agrarministerium bekannt, wie Lindemann sagte.
In der Verantwortung sieht er sich dennoch nicht: Zuständig für die Kontrolle der Betriebe seien die Landkreise. Und denen könne das Agrarministerium nur fachliche Vorgaben machen. Weisungsbefugt sei einzig die Kommunalaufsicht und die habe das Innenministerium.
Tierquälereien, erklärte Lindemann indes, könne auch sein Tierschutzplan nicht verhindern. Bei den bekannt gewordenen Fällen seien stets "Fehler und massive Defizite im Management" die Ursache gewesen.
Zweifel, dass der Tierschutzplan tatsächlich Verbesserungen bringt, haben auch die Landtagsgrünen, SPD- und Linksfraktion. Die spricht von einem "Placebo-Plan", der Grünen-Agrarpolitiker Christian Meyer von einem "enttäuschenden Sammelsurium von wortreichen Ankündigungen". Er fordert konkrete Taten - etwa die Zustimmung Niedersachsens zur Bundesratsinitiative für ein Komplettverbot von Legebatterien.
Die SPD mahnt derweil eine schnellere Umsetzung des Plans an. Einige Verbesserungen - wie geringere Bestandsdichten bei Masthähnchen - ließen sich sogar sofort umsetzen. Opposition, Verbände und die Öffentlichkeit müssten nun darauf drängen, "dass Herr Lindemann nicht auf Zeit spielt", sagte die SPD-Agrarpolitikerin Andrea Schröder-Ehlers.
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