Tiere in Gefangenschaft: Eingepfercht hinter Glas oder Gittern
In Zoos und Aquarien ist eine artgerechte Haltung nicht möglich. Viele Tiere sind traumatisiert, da auch ihre Sozialverbände aufgelöst wurden.
MÜNCHEN taz | Befreit die gefangenen Elefanten und Orcas! Das ist nicht nur die Forderung von Tierschützern, sondern die Überschrift eines im Frühjahr erschienenen Leitartikels in der Zeitschrift Scientific American. Die Argumentation der Redakteure: Diese Tiere haben einen so komplexen Sozialverband, dass sie in Zoos und Delfinarien erheblich litten.
Eine Orca-Mutter bleibt etwa mit ihren Jungen ein ganzes Leben zusammen, begleitet oft bis zu vier nachfolgende Generationen. Diese sogenannten Delfinschulen haben ihren eigenen Dialekt, vereinen sich in Clans und bilden ganze Stämme und Nationen. Bei der Jagd kooperieren die Schwertwale. Sie machen etwa gemeinsam Wellen, um Robben von ihren Eisschollen herunterzuschubsen.
Auch bei Elefanten gibt es solche Sozialverbände. Stirbt ein Mitglied der Herde, trauern die Tiere sogar: So hat der britische Zoologe und Dokumentarfilmer Iain Douglas-Hamilton in Kenias Samburu National Reserve beobachtet, wie Elefanten eine verstorbene Matriarchin immer wieder besuchten, ihren Körper berührten und mit Zweigen bedeckten. Elefanten empfinden zudem Empathie, sie trösten Artgenossen, wenn sie Angst haben.
Durch Gefangenschaft werden diese Familienbande jedoch zerstört. In den vergangenen Jahren sind immer wieder Vorfälle wie Orca tötet seinen Trainer bekannt geworden.
Auch Elefanten zeigen immer häufiger aggressives Verhalten, wie man es bislang nicht von den Dickhäutern kannte. So sterben rund 500 Menschen pro Jahr durch eine Elefantenattacke. In einem afrikanischen Nationalpark haben Elefanten sogar mehrere Nashörner ohne Grund angefallen. Es kam vor, dass Zoo-Elefanten ihre Jungen oder den Wärter töteten.
Zunehmende Wilderei
Verhaltensbiologen um Gay A. Bradshaw von der Oregon State University haben bereits 2005 in einem in der Fachzeitschrift Nature erschienenen Artikel vermutet, dass dies einerseits Folge der brutalen und anhaltenden Jagd auf Elfenbein ist. Laut der Welt-Naturstiftung (WWF) wird Afrika derzeit von einer Wildereikrise gebeutelt, die Elefanten und Nashörner massiv bedroht. Jährlich werden rund 22.000 Elefanten wegen ihrer Stoßzähne erlegt, vor allem ältere Tiere, die den jüngeren als Vorbild dienen.
Anfang des 20. Jahrhunderts lebten noch drei bis fünf Millionen Elefanten in Afrika, derzeit sind es nur noch 500.000 Tiere. In der ostasiatischen Kultur gilt Elfenbein als Statussymbol, auf dem Schwarzmarkt werden hohe Preise erzielt. George Wittmyer, Naturschutzbiologe an der Colorado State University, legte kürzlich eine Studie vor, laut der viele Elefantenpopulationen auf dem afrikanischen Kontinent in 10 Jahren ausgelöscht sein könnten.
Aggressive Tiere
Aber auch die Unterwerfungsrituale, die für Zoos bestimmte Elefanten vor allem früher über sich ergehen lassen mussten, sind verstörend. Tiere seien durch diese Gewalt traumatisiert und zeigten regelrechte Posttraumatische Belastungsstörungen, so schreibt Bradshaw. Das alles mag reichlich anthropozentrisch klingen, doch bislang gibt es keine andere plausible Erklärung für die derzeit beobachtete Aggression der Tiere.
Tiere in Gefangenschaft sind dann nicht nur von ihrer Herde getrennt, sie sind auch in ihrem Radius extrem beschnitten und werden oft übergewichtig oder unfruchtbar. Viele zeigen Stressreaktionen wie ruckartige Kopfbewegungen oder laufen rastlos in ihrem Käfig auf und ab. Schwertwale beginnen an ihrem Pool zu knabbern.
Tierschützer fordern darum, die jüngeren Tiere freizulassen, den älteren Orcas sollte man eine Art betreutes Wohnen in Lagunen ermöglichen, also mit Fütterung, wenn sie nicht mehr jagen können. Ebenso sollten zumindest die Elefanten freigelassen werden, die noch eine Chance auf Überleben in der Natur haben, finden die Redakteure des Scientific American. In den USA, in Kanada und Indien haben große Zoos bereits ihre Elefantenhäuser geschlossen.
Fragwürdige Wiederaussiedlungsprojekte
Das Argument, dass Zoos und Aquarien einen Bildungsauftrag haben und dazu beitragen, dass Menschen Empathie für die Tiere und die Umwelt entwickeln, wiege nicht so viel wie das Leiden der Tiere. Die Wissenschaftsjournalisten plädieren auch dafür, dass Captive Breeding Programs beendet werden, die viele Zoobefürworter für notwendig halten, um vom Aussterben bedrohte Arten zu erhalten. Bei solchen Programmen wachsen Tiere einige Jahre im Zoo auf und werden dann freigelassen.
Auch beim Internationalen Tierschutz-Fonds (IFAW) sieht man die Zoohaltung von Elefanten wegen ihres hohen Bedarfs an sozialem Austausch, an Bewegung und Beschäftigung mit Artgenossen und der Umgebung kritisch: „So wie Elefanten in der Mehrheit der Zoos heute noch gehalten werden, lehnen wir es ab. In manchen Zoos werden Elefanten beispielsweise nachts noch angekettet“, sagt Kampagnenleiter Robert Kless. Delfinarien lehnen die Tierschützer dagegen rundweg ab. „Man kann in diesem Fall die Gefangenschaft nicht so gestalten, dass es artgerecht ist“, sagt Kless.
Die neue angelsächsische Tierrechtsbewegung Animal Rights, der auch die Wissenschaftlerin Bradshaw angehört, lehnt auch Zoos ab. Tiere seien fühlende Wesen und dürften gar nicht vom Menschen genutzt werden, egal ob als Zooattraktion, Milchkuh oder Versuchstier. Auch artgerechte Haltung spiele dabei keine Rolle.
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