Thomas Pletzinger: "Bestattung eines Hundes": Blut, Schweiß und Sperma

Thomas Pletzinger beschwört die Schicksalsmächtigkeit der Generation Pop und schreibt gegen das Klischee an, dass Thirtysomethings keine Biografie mehr haben können.

Thomas Pletzinger, geboren 1975 und wohnhaft in Berlin, gilt als vielversprechendes Schreibtalent. Besitzt er doch genau jene Referenzen, bei denen Lektoren und Literaturagenten hierzulande leuchtende Augen bekommen: studiert am Literaturinstitut Leipzig, Gewinner des Prosanova-Wettbewerbs und des MDR-Literaturpreises, längere Aufenthalte in New York und Brasilien. Da wurde auch Olaf Petersenn, Lektor beim Verlag Kiepenheuer & Witsch, hellhörig. Nach der Lektüre einer hundertseitigen Leseprobe machte Petersenn Pletzinger sofort zur Chefsache und stellte dem Autor außerdem einen Volontär an die Seite, der ihm bei der Weiterentwicklung seines ersten Romans half. Einmal ging diese Hilfe dann offenbar sogar so weit, dass man sich zu dritt einen Tag lang in ein Kölner Hotel einmietete. "Ja", witzelte Pletzinger kürzlich freimütig bei seiner ersten Lesung aus "Bestattung eines Hundes", diese Hotelerfahrung sei "wohl das Naheste an Rock n Roll" gewesen, "was man als Schriftsteller erleben kann".

Rock n Roll? Nun ja: Inhaltlich ist das kein schlechtes Stichwort für dieses Debüt. Denn darin fließen wirklich sehr viel Alkohol, Blut, Schweiß und Sperma. Und wird jede Menge gesoffen, gevögelt, gekokst, gezockt, geschossen, geliebt, gelitten und gestorben. Und das gleich in fünf verschiedenen Ländern auf drei Kontinenten.

Es ist ein ziemlich lautes Buch voll drastischer Szenen, das um die großen Schicksalsfragen kreist. Vor allem um die Frage, was eigentlich die eigene Identität ausmacht. Nicht umsonst wird Max Frischs Erzählung "Montauk" im Roman zitiert und stand ihm wohl auch Pate. Zumindest hängt auch Pletzingers Hauptfigur, der Ethnologe Daniel Mandelkern, wie Frischs Alter Ego aus "Montauk" in der Sinn- und Ehekrise fest und fährt zur inneren Einkehr an einen Urlaubsort mit Blick aufs Wasser. Nur dass Mandelkern um einiges jünger ist und außerdem nicht ganz freiwillig fährt. Er arbeitet nämlich als freier Kulturjournalist und ist am Luganer See mit einem erfolgreichen Kinderbuchautor namens Dirk Svensson zum Interview verabredet, um ein Zeitungsporträt zu schreiben.

Keine leichte Aufgabe. Nicht nur weil Svensson als medienscheuer Kauz gilt, der zurückgezogen mit dreibeinigem Hund lebt, sondern auch weil Mandelkern ausgerechnet mit seiner Chefin verheiratet ist. Eine Verwischung von Arbeits- und Privatsphäre, die dem Journalisten gleich doppelt zusetzt: einmal beruflich, weil die resolute Karrieristin Elisabeth einen brillanten Artikel von ihm erwartet. Zum anderen privat, weil sie mit 38 Jahren endlich ein Kind von Mandelkern will. Zu viel Druck für Pletzingers Ich-Erzähler, der wie viele postmodern geschulte Popintellektuelle irreversible Lebensentscheidungen scheut. Der 33-Jährige nutzt denn auch die Geschäftsreise prompt zur Flucht, um für ein paar Tage beim gleichaltrigen Autor Svensson unterzutauchen.

Man kann "Bestattung eines Hundes" als Antwort auf Katharina Hackers preisgekrönten Bestsellerroman "Die Habenichtse" lesen, der ebenfalls von der visionslosen Desorientierung heutiger Jungakademiker erzählte. Nur dass Pletzinger genau die Gegenthese zu Hackers bitterer Generationsdiagnose einer ebenso geschichtslosen wie moralfreien "Habenichts"-Haltung zu vertreten scheint. Denn sein Roman will offenbar eines: zeigen, dass man auch als nach 1965 Geborener eine schicksalsträchtige Biografie haben kann.

Dazu konfrontiert der Debütant seinen Journalisten in Gestalt Svenssons mit einem Altersgenossen, der den biografischen Gegentypus zu jenem darstellt. Während Mandelkern den grüblerisch gelähmten Bildungsbürger gibt, entpuppt sich der Kinderbuchautor als risikofreudiger Lebemann mit betont wilder Vorgeschichte. Von der erfährt der krisengeschüttelte Ethnologe aus einem Romanmanuskript, einer Art geheimem Tagebuch, das er bei Svensson findet. Die heimliche Lektüre beantwortet Mandelkern dann nicht nur alle journalistischen Fragen, sondern wird für ihn auch zur Therapie, nach der er endlich Mut zu Entscheidungen aufbringt.

Die Vision des ganz anderen Lebens als Lebenselixier: Das ist ein betörender, wenngleich kein ganz neuer Gedanke, weil in ihm das Urversprechen von Literatur überhaupt mitschwingt, wonach Lesen andere Lebensmöglichkeiten miterleb- und nachlebbar macht. Was einen darüber hinaus zunächst sofort für "Bestattung eines Hundes" einnimmt, ist die klug verschachtelte, komplexe Erzählstruktur. Immer wieder werden in die Haupthandlung nicht nur Passagen aus Svenssons Manuskript, sondern auch Erinnerungssplitter, Interviews, Kinderbuchverse, Wissenschaftszitate, Kartengrüße und Zeichnungen eingeschoben. Mit Pletzinger traut sich endlich einmal ein deutscher Autor, mit den Genres zu spielen.

Dennoch wirkt seine Geschichte in ihrem Drang, unbedingt etwas Bedeutsam-Lebenspralles zu erzählen, gelegentlich einfach zu übertrieben. Allein Svenssons Rückblenden enthalten schon so viel dramatischen Konfliktstoff, dass es für drei Tragödien ausreichen würde. Nicht genug, dass der spätere Kinderbuchautor unglücklich in die Freundin seines besten Freundes verliebt war und die Freundin wiederum schwanger war, ohne zu wissen, von wem der beiden Freunde. Das Baby kommt auch noch zum größten Terroralarm kurz nach 9/11 in New York zur Welt, nachdem das Freundestrio es vorher schon - gemeinsam auf Hilfsmission im brasilianischen Slum - mit korrupten, schießwütigen Polizisten zu tun hatte. Darf man sich da noch wundern, dass schließlich nicht nur die Freundin samt Sohn zufällig genau zeitgleich mit Mandelkerns Interview bei Svensson auftaucht, sondern auch noch dessen dreibeiniger Hund, der die ganze wilde Vergangenheit seines Herrchens miterlebt hat, plotgerecht-pünktlich stirbt?!

Man hat den Romanen von Leipziger Institutsabsolventen zuletzt oft Risikoscheu und Lebensferne vorgehalten. Diesen Vorwurf kann man Pletzingers rasant erzähltem Debüt sicherlich nicht machen. Vielleicht aber hat sich der zweifellos begabte Autor diese Kritik etwas zu sehr zu Herzen genommen. Wo Schicksal so zum Spektakel gerüstet wird - und dabei jede seelische und körperliche Intimität minutiös ausgeleuchtet -, bleibt dem Leser kaum noch Raum für eigene Vorstellungen und Deutungen. Und auch nicht: zum Mitfühlen.

Thomas Pletzinger: "Bestattung eines Hundes". Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008, 352 Seiten, 19,95 Euro

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