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Thomas Mörsberger über Heimskandal„Nur Gewalt ist verboten“

Die Heimaufsicht habe beim Friesenhof korrekt gehandelt, schreibt Anwalt Thomas Mörsberger in seinem Gutachten. Nötig sei nur mehr Transparenz.

Strafe oder nicht? Sport im Mädchenheim. Foto: dpa
Kaija Kutter
Interview von Kaija Kutter

taz: Herr Mörsberger, Ihr Gutachten zum Friesenhof erweckt den Eindruck, dass Sie das Vorgehen der Heimaufsicht als juristisch korrekt bewerten und sogar Vorwürfe gegen die Einrichtung in Zweifel ziehen. Stimmt das?

Thomas Mörsberger: Nein. Aber bei Rechtsgutachten können solche Missverständnisse leicht entstehen. Es war nicht unser Auftrag, das konkrete Geschehen in den Einrichtungen des Friesenhofs zu ermitteln. Reinhard Wiesner und ich wurden nach den rechtlichen Rahmenbedingungen gefragt und inwieweit sie für das Vorgehen der Behörde relevant waren. Allerdings kommen wir in unserem Rechtsgutachten zu dem Schluss, dass es Klärungsbedarf gibt – sowohl hinsichtlich der Handlungsmaßstäbe für die Erzieher selbst wie für die Aufsichtsbehörden.

Ist es nicht unstrittig, dass Maßnahmen wie Strafsport oder das Wegnehmen von Schuhen nicht erlaubt sind?

Unzulässig ist, wenn diese Fragen nicht differenziert und differenzierend beantwortet werden. Das betrifft erneut sowohl das Geschehen im Heim wie die Frage, was die Aufsichtsbehörde tun darf oder muss.

Bild: dpa
Im Interview: Thomas Mörsberger

69, Rechtsanwalt, lebt in Lüneburg, leitete von 1993 bis 2004 das Landesjugendamt Baden und zählt zu den Kommentatoren des Jugendhilfegesetzes.

Also gibt es Fälle, in denen Kinder zum Sport gezwungen werden dürfen?

Sagen wir es so: Die Aufsicht sollte das Spektrum der pädagogischen Methoden nicht einengen. Auch Eltern kann man das Bestrafen nicht verbieten. Nur Gewalt ist verboten.

Hat die Behörde nicht schlicht zu spät reagiert?

Im Nachhinein spricht viel dafür, dass ein früheres Intervenieren besser gewesen wäre. Aber eine rechtliche Überprüfung muss sich an Grundregeln der Fairness halten.

Wie gehen Sie da vor?

Ich betrachte als juristischer Sachverständiger die Erwägungen, die zum jeweiligen Zeitpunkt getroffen wurden und prüfe, ob diese sich in dem Rahmen hielten, den das Gesetz zulässt. Und für die Aufsichtsbehörde gilt das sogenannte Opportunitätsprinzip. Das heißt, es ist zu prüfen, welches Vorgehen jetzt und in der Wirkung auf später am zweckmäßigsten erscheint. Es sind viele Dinge zu berücksichtigen: Wie erfahre ich, was geschehen ist? Wie sehen die Perspektiven aus? Habe ich die Beweise, um nicht bei einer gerichtlichen Überprüfung vorgeführt zu werden?

Also werden aus Angst vor Klagen die Augen zugemacht?

Hoffentlich nicht! Im Gegenteil. Gerade, wenn es schwierig wird, sollten die Augen weit geöffnet sein. Aber was nützt es, wenn ich martialisch auftrete und das Verwaltungsgericht gibt dem Einrichtungsträger recht, weil ich Vorwürfe nicht belegen konnte.

Beim Friesenhof waren die Hinweise deutlich. Abgeordnete berichten: Laut der Akten fanden Mitarbeiter 2008 und 2009 bei unangemeldeten Besuchen verschlossene Fenster vor. Eine Familienrichterin wies darauf hin, dass es in Dithmarschen unzulässigerweise geschlossene Heime gebe.

Nach meiner Kenntnis ging die Aufsichtsbehörde diesem Verdacht nach, der sich nicht bestätigt hat. Es gibt einen Unterschied zwischen Freiheitsentziehung, für die es eine richterliche Genehmigung braucht, und Freiheitsbeschränkung. Etwa wenn Eltern sagen, du gehst heute nicht raus.

Ein Graubereich, der in Heimen missbraucht werden kann.

Rechtlich ist der Unterschied zwar kompliziert, aber er gilt als geklärt. Wer sich darauf beruft, es handle sich in seiner Konzeption nur um Freiheitsbeschränkungen, der muss das exakt beschreiben und legitimieren können. Deshalb ist auch klar: Sie dürfen nicht dauerhaft einsperren, dürfen nicht schikanös agieren, sondern müssen ihr erzieherisches Verhalten begründen können. Allerdings ist es nicht einfach, von außen zu beurteilen, ob da die Grenzen adäquat eingehalten werden. Deshalb muss mehr Transparenz her. Wir brauchen eher „Heim-Einsicht“ statt Heimaufsicht.

Jugendliche müssen aber doch jederzeit telefonieren können, in den Friesenhof-Heimen durften sie das nicht.

Hört sich plausibel an. Aber wenn man mit einem Jugendlichen daran arbeitet, dass er endlich lernt, nicht jedem Konflikt durch Weglaufen oder den Ruf nach dem großen Bruder auszuweichen, dann ist ein jederzeitiges Nutzen des Handys alles andere als kindeswohlgemäß. Aber natürlich muss es in Abständen möglich sein, Kontakt nach außen aufzunehmen, um sich zu beschweren. Das durchzusetzen, sollte weniger Sache der Aufsichtsbehörden sein, denn da ist die Gefahr groß, dass relativ formal damit umgegangen wird. Es muss ein Standard bei den Einrichtungen werden. Und da sollten Eltern und Jugendämter hinterher sein.

Reichen denn die aktuellen gesetzlichen Vorgaben aus?

Nein. Aber ich plädiere weniger für schärfere Bestimmungen, die den Behörden mehr Eingriffskompetenzen geben. Vielmehr sollte man sich anschauen, auf was es ankommt, um Kinder und Jugendliche in Einrichtungen adäquat zu schützen. Da passiert wenig. Früher gab es bundeszentrale Weiterbildung für die Fachkräfte der Heimaufsicht. Alles abgeschafft! Den Ruf nach schärferen Gesetzen kenne ich aus den Reaktionen in Politik und Medien, wenn wieder was Schlimmeres passiert ist. Wir sollten genauer hinschauen, wo es wirklich hakt.

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