Theresa Hannig Über Morgen: Wenn der Bus mal wieder nicht kommt, hilft träumen von der Zukunft. Da gibt‘s zwar keine Flugtaxis, aber alle sind mobil. Und man darf ungehemmt wütend sein
An einem regnerischen Sonntag sitzen Felix und ich an einer Bushaltestelle im Nirgendwo. Ein falsch gelesener Fahrplan, Schienenersatzverkehr und Sonntag in der Provinz führen dazu, dass sich dieses Wartehäuschen anfühlt, wie das Ende der Welt. Ich halte mein Handy vorsichtig bis kurz vor den Regenvorhang, der vom löchrigen Dach herunterströmt, aber mehr als einen Strich Empfang kriege ich nicht. „Hier gibt‘s auch kein Uber“, seufze ich. Felix stört die Warterei nicht. Für ihn als Zeitreisenden aus dem Jahr 2125 ist jeder Besuch bei uns ein Abenteuer.
„Bei dir zu Hause könnten wir sicher ein Flugtaxi bestellen, oder?“, frage ich hoffnungsvoll.
„Natürlich nicht! Flugtaxis sind total ineffizient. Aber Fluxpods würden schon kommen. Das sind elektrische Fahrplattformen, die sich zu mehreren Einheiten zusammenschließen lassen und autonom fahren. Du kannst sie zu Fuß benutzen, aber auch deinen Roller einpacken, Einkäufe mitnehmen oder dein emotional support Pony.“
„Hm, aber keine Flugtaxis –schade.“
„Es gibt aber Hoverlins!“, versucht Felix mich aufzumuntern. „Die musst du dir wie Ein-Personen-Zeppeline vorstellen, die wie ein Liegefahrrad mit Pedalen oder wie ein Boot mit schwingenförmigen Luftrudern angetrieben werden.“
„Klingt schon besser“, sage ich, „aber sind die nicht total langsam?“
„Die urbane Mobilität ist sowieso U30 km/h, also auf Fuß- und Radverkehr optimiert. Das heißt, die Quartiere sind so geplant, dass alles fußläufig erreichbar ist: Wohnen, Einkaufen, Bildung, Sport, Kultur. Überall kommst du in fünf Minuten zu Fuß hin. Und wenn der Platz fehlt, bauen wir in die Höhe. Vertikale Stadtzentren sind sehr beliebt. Da kannst du entweder mit Zero-Grav-Aufzügen ultraschnell zwischen den Ebenen wechseln oder zu Fuß laufen und Strom erzeugen.“
„Wie das?“
„In den Böden sind Trittplatten verbaut, die aus der kinetischen Energie deiner Schritte Strom erzeugen. Am effizientesten ist das, wenn du eine Treppe hinuntergehst. Aber auch wenn du nicht gut zu Fuß bist, ist das kein Problem. Was ihr heute Barrierefreiheit nennt, ist bei uns ganz normal. Wir haben auch ein taktiles Leitsystem im Boden, Audiounterstützung bei Kreuzungen und leicht lesbare Verkehrszeichen. Außerdem gehören Service Botszum Angebot der Stadt – du hast vielleicht gedacht, in 100 Jahren hätte jede Wohnung einen eigenen Haushaltsroboter – aber das ist viel zu energieintensiv. Dafür hält unsere Stadt etwa ein Dutzend dieser Service Botsbereit, die zur Stelle sind, wenn jemand Hilfe braucht. So können die Menschen bis ins hohe Alter selbstbestimmt und mobil bleiben.“
„Würde der mich nach Hause tragen, wenn ich keine Lust mehr hätte an der Bushaltestelle zu warten?“
„Das auch. Ich glaube aber, es wäre besser, dich gleich zum Furypoint zu bringen.“
„Wohin?“
„Es läuft halt nicht immer alles super. Auch bei uns nicht. Deshalb kannst du beim städtischen Furypoint deine Aggressionen rauslassen: an Schaumstoffpuppen, VR-Avataren oder masochistischen Freiwilligen. Du kannst deine Beschwerde auch bei besonders geschulten Wutmanagement-Beamten loswerden, bei denen du nicht konstruktiv, noch nicht einmal freundlich sein musst. Du kannst komplett eskalieren und alles anprangern, was du scheiße findest. Fluchen ausdrücklich erlaubt! Wenn du fertig bist, stellen die dir eine Beschwerdequittung aus, übertragen dein Anliegen in kompliziertes Beamtendeutsch und leiten es an die zuständige Behörde weiter.“
„Großartig. Kannst mich gleich anmelden! Der nächste Bus kommt nämlich erst morgen früh!“
Theresa Hannig, 40, ist Science-Fiction-Autorin, Politikwissenschaftlerin, Grünen-Stadträtin und ehemalige Softwareentwicklerin.
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