Theologische Zoologie: Das Tier im Menschen
Rainer Hagencord ist Biologe und Priester. Ein Gespräch über Billigfleisch als Sünde, das Tierische im Menschen, die Fehler der Theologie und die Rolle von Ochs und Esel bei Jesu Geburt.
taz: Herr Hagencord, der Mensch wurde aus dem Paradies vertrieben. Was ist mit dem Tier passiert?
Rainer Hagencord: Die Bibel schweigt, aber es ist naheliegend, dass es den Garten Eden nicht verlassen hat. Allerdings ist der Garten Eden kein Ort, sondern das Bild für einen Wesenszustand.
Steht das Tier damit etwa Gott näher als der Mensch?
Am 15. Dezember eröffnete der 48-Jährige das Institut für Theologische Zoologie in Münster. Der Theologe studierte nach vier Jahren Gemeindearbeit Biologie und Philosophie.
Thomas von Aquin sagte, das Tier lebt Gott unmittelbar. Ein großes Wort. Die Gottunmittelbarkeit hat der Mensch verloren. Wenn man mit dem Bild von Eden spielt, dann wird es plötzlich doch greifbar. Es wird deutlich, wir Menschen haben die Verantwortung und die Last, unser Leben zu gestalten, mit Leiden und Tod umzugehen, wir müssen uns selbst finden. Jeder, der sich auf die Begegnung mit einem Tier einlässt, ihm wirklich in die Augen schaut, der sieht, dass das Tier diese Not der Identitätsfindung, die Sorge vor dem Tod nicht kennt.
Theologische Zoologie heißt Ihr Institut - womit genau beschäftigen Sie sich?
Damit, die biblischen Texte neu zu sichten, auch im Umfeld ihrer Entstehungsgeschichten von vor 2.000 Jahren. Man kann die Bibel auf unterschiedliche Arten lesen. Analysiert man die biblischen Texte über Mensch, Tier und Gott mit wissenschaftlichem Anspruch, also einer historisch-kritischen Methode, dann können wir feststellen, dass die Tiere in der Theologie des Alten Testaments eine besondere Wertschätzung haben. Ich glaube, dass ich mit diesen Appellen, mit denen die Kirche die Menschen jahrelang klein gehalten hat, nicht weiterkomme. Aber mit tatsächlichen Fakten, wie ich die Bibel zu lesen habe, wie die Theologie anders denken kann, einerseits und biologischen Fakten andererseits, kann ich eine Bewusstseinsveränderung hervorrufen. Das ist Ziel meines Institutes.
Wie gestalten Sie Ihre Arbeit?
Neben meinen Lehraufträgen in Hochschulen in Münster möchte ich, dass das Thema auch stärker in Schulen seinen Platz findet. Ich glaube, dass Kinder und Jugendliche ein ganz anderes Gespür haben für Fragen nach Massentierhaltung, Fleischkonsum und Respekt vor der Natur. Sie können viel verändern, da habe ich auch ein politisches Interesse. Außerdem möchte ich das Thema in Bildungs- und Exerzitienhäusern und Klöstern setzen. Derzeit bin ich mit Pilotprojekten unterwegs, auch in Zoos und Nationalparks.
Aber wie lässt sich Gegensätzliches wie Religion und Wissenschaft vereinen?
Indem ich hingehe und die Fakten aus der Zoologie, vor allem aus der Verhaltens- und Evolutionsbiologie, erschließe und mich frage, was sage ich als Theologe dazu. Wenn ich biblische Texte und auch theologische Argumentationsfiguren sichte und vergleiche, dann ziehe ich daraus Konsequenzen sowohl für die Anthropologie als auch für ethische Postulate. Dann gucke ich auch in die Malerei, Dichtung und die Poesie, in all die anderen Spuren der Anthropologie, die auch eine Wertschätzung für die Natur beibehalten haben, und damit bin ich wieder in anderen Wissenschaftsdisziplinen.
Wird es wohl bald auch die Disziplin Theologische Botanik geben?
Die Begriffe klingen dann sehr schwierig. Aber jenseits aller Begriffe ist es natürlich klar Folgendes zu sagen: Wenn wir unsere christlichen Wurzeln noch einmal sichten, und das ist Aufgabe meines Institutes, dann müssten wir im Grunde auf eine neue Ehrfurchtshaltung kommen gegenüber allem, was lebt. Da würde ich dann auch die Pflanzen nicht ausschließen. Die Gefahr ist immer, dass man in eine Esoterik rutscht. Dann werden Pflanzen plötzlich auch beseelt. Mir geht es eher darum, eine andere Haltung des Menschen gegenüber der Natur zu begründen, und zwar mit theologischen und naturwissenschaftlichen Argumenten.
Was können Sie Ihren Theologiestudenten Besonderes mitgeben?
Tatsächlich eine Neusichtung und Neulektüre der biblischen Texte. Ich erlebe auch in diesem Semester, dass manche Studierende dasitzen und große Augen bekommen, obwohl sie kirchlich sozialisiert sind. Aber eine solche Wertschätzung für das Tier, die sich in der Bibel findet, haben sie noch nicht erlebt. Die Tiere sind vergessen in der Theologie, in der Bibel sind sie das nicht. Deswegen ist mein erster Ansatz, eine Art Schocktherapie zu veranstalten und die Leute erst einmal die biblischen Texte richtig lesen zu lassen.
Aber warum erst so spät?
Man hat etwas überlesen, vielleicht auch bewusst ausgeklammert. Der Mensch ist in der Neuzeit neu definiert worden. Die großen Denker damals sahen den Menschen als Herrscher über die Natur, mit natürlich großartigen Folgen, was Freiheit und Autonomie des Menschen betrifft. Allerdings haben sie dabei oft auf Kosten der Natur und der Tiere argumentiert. Als Wissenschaftler muss ich auch andere Sichtweisen in den Vordergrund rücken, die auch das Tier und Natur wertschätzten. Nikolaus von Kues zum Beispiel ist für mich ein großer Denker.
Auch eine Neusichtung der Bibel hinsichtlich der Rolle des Menschen wäre sicher interessant.
Das ist wirklich naheliegend. Wenn Sie das Tierische wertschätzen und somit auch dessen Anteile im Menschen, kommen schnell die heißen Fragen nach Sexualität und Umgang mit Gefühlen auf. Wir müssen unser Verhältnis zur Natur ändern, aber auch zum eigenen Leib. Wenn wir uns als Gläubige fragen, welche Rolle spielt denn mein Leib, das Animalische in mir für ein echtes Menschsein, dann sind wir mitten in der Anthropologie.
Bekommen Sie bei solchen Auslegungen nicht Probleme mit Ihrer Kirche?
Mein Bischof stellt mich mit einer halben Stelle frei für diese Arbeit. Das heißt ja schon mal was. Viele Kollegen innerhalb der Kirche schätzen meine Arbeit sehr und merken, dass da ein wichtiges Thema bearbeitet wird. Andererseits bleiben aber auch viele bei der Überschrift hängen. Wenn man nicht mal drei Sätze liest, sondern nur den Begriff, meinen Leute halt, das ist wohl Spinnerei, der kümmert sich um psychotische Katzen und macht hier irgend so einen Fundamentalismus auf.
Wie kommt es denn, dass Sie sich so intensiv mit Tieren beschäftigen?
Schon als Kind war ich leidenschaftlicher Biologe. Nach meinem Theologiestudium und vier Jahren Arbeit in der Gemeinde brauchte ich von alledem Abstand. Mit Billigung meines Bischofs habe ich dann noch einmal Biologie studiert. Mit Staunen habe ich die Erkenntnisse der Biologie über Denken, Fühlen und Kulturfähigkeit bei Tieren entdeckt und stellte fest, dass das in der Theologie nicht angekommen ist. Außerdem nenne ich es eine Empörung. Empörung darüber, dass Kirche, Theologie und Gemeinden angesichts des unermesslichen Tierleidens heutzutage weiterhin schweigen.
Wie hat sich denn ein guter Christ gegenüber Tieren zu verhalten?
Ich glaube, das muss jeder selber für sich finden. Bei meinem Konsumverhalten fängt es an: Welches Fleisch kaufe ich, welchen Beitrag leiste ich dafür, dass die Regenwälder nicht weiter abgeholzt und die Meere immer mehr leer gefischt werden – bis hin zur Frage des täglichen Umgangs mit meinen Mitgeschöpfen.
Sind Sie Vegetarier?
Überwiegend schon. Ich esse ganz gern mal ein Stück Fleisch, aber dann natürlich vom Biometzger nebenan.
Gerade zu Weihnachten sind Ochs und Esel allgegenwärtig. Welche Rolle spielen diese Tiere bei Jesu Geburt?
Die Bibel redet davon nicht. Franz von Assisi hat als Erster Ochs und Esel in die Krippe gestellt. Das liegt natürlich auch an der agrarwirtschaftlichen Kultur. Diese Tiere waren einfach immer da. Da steht nicht spektakulär eine Giraffe oder ein Krokodil, sondern die Tiere, mit denen Israel permanent zu tun hatte. Jesus selbst reitet beim Einzug in Jerusalem auf einem Esel.
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