Theatertreffen 2013: Über das Gestern ins Heute zielen
Man ist einfach froh, Bewährtes wiederzufinden: Die Kritikerjury hat ihre Auswahl für das Theatertreffen im Mai bekannt gegegen.
![](https://taz.de/picture/172960/14/Ratten.jpg)
Die „Medea“, die Michael Thalheimer am Schauspiel Frankfurt inszenierte, „könnte ein rauschenden Erfolg“ werden, prognostizierte unsere Autorin Shirin Sojitrawalla nach der Premiere. So wirkmächtig sei die präzise Choreografie von Worten, Körpern und Licht; so unfassbar wuchtig und unfassbar glaubwürdig zugleich verkörpere die Schauspielerin Constanze Becker die Kindsmörderin Medea.
Und man dachte als Leser im fernen Berlin erleichtert, dass Michael Thalheimer mit diesem antiken Stoff zur Stärke seiner früheren Arbeiten in Hamburg und Berlin wieder aufgeschlossen hat. Und dass das Schauspiel Frankfurt endlich etwas von dem Glanz abbekommt, den Oliver Reese, der vom Deutschen Theater in Berlin als Intendant nach Frankfurt ging, im Gepäck zu haben versprach.
Nun ist die „Medea“ tatsächlich erfolgreich, sie gehört zu den 10 Inszenierungen, die zum Theatertreffen in Berlin (3. bis 19. Mai) eingeladen sind. Die siebenköpfige Kritiker-Jury gab dies am Montag bekannt und kommentierte ihre Auswahl im Haus der Berliner Festspiele auf der Seitenbühne, während in den anderen Räumen des Hauses das Berlinale-Kino Einzug erhalten hat.
Schon gefeiert
Ähnlich wie mit Thalheimer geht es einem bei vielen der eingeladenen Aufführungen: Man ist ja froh, dass man sie hat, die Inszenierungen von Karin Henkel und Katie Mitchell (“Die Ratten“ und „Die Reise durch die Nacht“, beide Schauspiel Köln), von Herbert Fritsch (“Murmel Murmel“, Volksbühne Berlin), Johann Simons (“Die Straße. Die Stadt. Der Überfall“, Kammerspiele München) - aber große Überraschungen erwartet man da eigentlich nicht mehr.
Ihre Handschriften sind bekannt, die Leistungen der Ensembles in Köln und München schon vielfach ausgezeichnet. Und auch die Schauspielerinnen, auf die man sich bei dieser Auswahl freuen kann, - Lina Beckmann, Constanze Becker, Sandra Hüller, Wiebke Puls - wurde alle schon in Berlin gefeiert, oder gar mit Preisen beim Theatertreffen ausgezeichnet.
Das spricht nicht gegen die Auswahl, ist eher ein Garant für ihre Solidität - aber es nimmt eine Illusion fort, nämlich die, dass sich das Theater im Raum seiner vielen Möglichkeiten irgendwo immer, wenn man nur sorgfältig genug sucht - schließlich sah die Jury 423 Inszenierungen, in 69 Städten - , auch in eine neue Richtung entwickeln kann, andere Stoffe und Denkformen findet. Letztes Jahr war das so - dieses Jahr nicht.
Die soziale Kälte der Gegenwart
Wo die Gegenwart der Auswahl aber doch ihren Stempel aufgedrückt zu haben scheint, zeigt sich in der Wiederbeschäftigung mit Autoren wie Hans Fallada (“Jeder stirbt für sich allein“, Luk Perceval am Thalia Theater in Hamburg), Gerhart Hauptmann (“Die Ratten) und Bertolt Brecht (“Die heilige Johanna der Schlachthöfe“ (Sebastian Baumgarten, Schauspiel Zürich). Es ist die soziale Kälte der Gegenwart, die Entsolidarisierung der Gesellschaft, die Dramaturgen und Regisseure nach diesen Texten greifen lässt.
Sie zielen, wie es Franz Wille, einer der sieben Juroren ausdrückte, über das Gestern ins Heute. Und so, wie er und weitere Jurymitglieder davon erzählten, taugen sie als analytisches Instrumentarium des Heute auch gerade dann, wenn sie den zeitlichen Horizont ihrer Entstehung und den Abstand mitreflektieren.
Und trotzdem ist das auch ein bedenklicher Befund - dass unsere Stadttheater keine anderen Texte als diese Klassiker haben, den aktuellen Problemlagen heute auf den Leib zu rücken.
Eine schöne Geste ist die Einladung von „Krieg und Frieden“ nach Lew Tolstoi in der Inszenierung von Sebastian Hartmann am Centraltheater Leipzig. Sie gilt nicht nur einem Regisseur, um den in seiner Zeit als Intendant in Leipzig heftig gestritten wurde, sondern auch einem großartigen Zugriff auf einen Roman, Verdichtung von Motiven und Verwandlung von Bildern - so wie dieses Ensemble das entwickelt, kann eben nur das Theater erzählen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!