Theaterstück über Kunst und Militär: Motivierter töten
Kunst machen im Dienste des Militärs? Eine zwiespältige Erfahrung! Davon erzählen zwei ehemalige Soldaten auf dem Spielart Festival in München.

„Ich will nicht drüber reden“, sagt Serge Okunev, als ihn Hamir Ssemwogerere nach seinen Gefühlen fragt. Okunev berichtet gerade von seiner Aufnahme in den russischen Wehrdienst und von der drohenden Gewalt, die auch von anderen Kameraden ausgeht. Sein Ausweg war: ein Militär-Gesangs- und Tanzensemble, das zur Unterhaltung der Soldaten eingesetzt wurde.
Der aus Russland stammende Serge Okunev und der ugandische Hamir Ssemwogerere verhandeln in der Theaterperformance „Oder kann das weg“ nicht nur den Zwiespalt, wenn Kunst als Propaganda genutzt wird, sondern, und das vor allem, auch ihre eigene Rolle und ihr Selbstverständnis darin: Künstler oder Soldat?
Das Stück aus der Bayerischen Theaterakademie August Everding, an der Okunev Regie studiert, gehörte zum Eröffnungsprogramm des Spielart Festivals in München und erweckt eine Vorahnung von der Internationalität des Programms.
Mit groteskem Witz
In einer Stand-up-Comedy-Einlage, samt auf Knopfdruck eingespielter Lacher, erklären sie die Umstände des jeweils anderen: Ssemwogerere stellt das russische Ensemble vor, und wie sie die Soldaten dazu bringen sollen, „motivierter zu töten“.
Okunev erzählt von dem seit 39 Jahren herrschenden, korrupten und Minderheiten unterdrückenden Präsidenten Ugandas, Yoweri Museveni, und dessen Tochter Natasha Museveni, die den Propagandafilm „27 Guns“ über ihren Vater als Befreier der Nation aus der Diktatur drehte. Ssemwogerere war Teil dieses Films. Mit groteskem Witz zeigen sie die Absurdität des Propaganda-Systems auf. Sie befinden sich im Aufruhr gegen totalitäre Systeme, die sie ausgenutzt haben.
Dabei lässt die Inszenierung statt schlichtem Schwarz-Weiß-Denken Platz für Ambivalenz. Außerhalb von Zeit und Raum, schafft sie eine Blackbox voller Erinnerungsfragmente, in der die Frage nach der eigenen Schuld in der Luft liegt. Während auf der Ebene der Texte fluide auf Russisch, Deutsch und Englisch Geschichten und Erinnerungen erzählt werden, strickt Okunev feinmaschig eine Inszenierung voller Symbolik und Codes. Mal sind es betende Hände, mal ist es das penibel gestaltete Bühnenbild.
Er bedient sich dabei auch vulgärer Symbolik. Ein ungenutzter Pfeil in Penisform liegt herum wie ein subtiler Hinweis auf den Zusammenhang von Macht und fragiler Männlichkeit. Zusätzlich nehmen drei nackte greenscreengrüne Papp-Glieder-Männchen eine Seite der Bühne ein. Sie stellen die Posen der drei weisen Affen nach (nichts hören, nichts sagen, nichts sehen). Meint Okunev damit sich selbst oder doch die auf den Bildschirmen hinter den Figuren wechselnden eingeblendeten Gesichter der Verantwortlichen?
Betont tiefe Stimme
Die passive Anwesenheit der grünen Männchen wechselt in einen Aktionsmodus, als sie zu Marionetten für die Karikatur der Diktatoren werden. Der Greenscreen wird genutzt, das Grün wird in einer Videoübertragung zu rohem Hackfleisch, das den Text der Darsteller unterstreicht. Mit betont tiefer Stimme benennen sie die „pure natural power“ und die größte Angst der Herrscher (gendern scheint hier überflüssig): den Verlust ihrer Macht. Grotesk ziehen sie die Diktatoren ins Lächerliche.
Multimedialität ist ein zentrales Element in Okunevs Ästhetik. Durchgängig werden Bühnenelemente per Video-Live-Übertragung in Großaufnahme projiziert, mal zeigt er Bilder wie aus privaten Fotoalben, mal nachgestellte Szenen aus dem Leben der beiden Erzähler.
Es fungiert als Mittel der Entfremdung. Die Kamera schafft eine Distanz zwischen dem Versuch der Selbstverletzung und dem, der sie tatsächlich begangen hat. Denn es bleiben ihre persönlichen Geschichten, verletzliche Momente, eigene Geständnisse.
Teil der Propagandamaschine
Es scheint, als wollten die beiden Abstand nehmen von dem, was sie früher getan haben. So auch, als sie sich einzureden versuchen, „was ich mache, ist wichtig, ich lerne hier viel, ich werde wertgeschätzt, ich bin ein guter Mensch, wir kreieren Kunst.“ Die gesprochenen Sätze werden immer weiter verzerrt und zerstückelt, werden ein Beat, dazu projizierte Bilder, die am Ende nichts weiter als Pixel sind und unweigerlich die Frage aufmachen: Was ist eigentlich Wahrheit?
Serge Okunev und Hamir Ssemwogerere waren Teil einer Propagandamaschine, sie wollten Kunst schaffen und waren doch Mitglied des Regimes. „Ich schäme mich“, sagt Ssemwogerere über „27 Guns“.
„Ich wollte es nicht sehen“, sagt auch Okunev im Bezug auf seine unweigerlich auf Videoaufnahmen festgehaltene Rolle. Er hatte gar überlegt, dieses Video nicht zu zeigen, erzählt er, während uns eine jüngere Version seines Gesichts fröhlich aus dem Youtube-Video des russischen Gesangs- und Tanzensembles entgegenblickt.
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