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Theaterstück über DDR-JugendwerkhöfeWieder mal der schlimme Osten

Das Schauspiel Leipzig zeigt ein Dokumentartheaterprojekt über DDR-Jugendwerkhöfe. Das Stück mit dem Titel „Letzte Station Torgau“ bleibt einseitig.

Kittelschürzen, Stoffturnschuhe: Die Attribute stimmen in „Letzte Station Torgau“ Foto: Susann Friedrich

Zwei Stunden lang Zoni-Horror-Show. Dankbares Thema Jugendwerkhöfe in der DDR, voran das Jugendzuchthaus Torgau. Stimmt nicht ganz, denn bei allem Betroffenheitskitzel ist nichts zur makabren Show aufgegruselt worden in der Diskothek, dem Kammertheater des Schauspiels Leipzig. Ehemalige Insassen haben in dem Dokumentartheaterstück „Letzte Station Torgau. Eine kalte Umarmung“ authentisch berichtet, alles ist belegbar und von Spezialisten des dokumentarischen Theaters gekonnt inszeniert worden. Und es wirft dennoch 33 Jahre nach der formalen Einheit die zuvor in der DDR beliebte parodierende Frage auf: Was lernt uns das, Genossen?

Seit 22 Jahren arbeiten Regine Dura und Hans-Werner Kroesinger auf dem Feld des Recherche- und Dokumentartheaters zusammen. Aber können sie ob ihrer westdeutschen Prägung tatsächlich als unvoreingenommen gelten? Halten wir zunächst fest, dass in dem Korridor, in dem sich das Drama bewegt, Gültiges dokumentiert und packend in Szene gesetzt wird. Ein Blumenwiesenidyll auf der Leinwand und eine Wippe suggerieren eine frohe Kinderwelt. Noch nicht bedrohlich klingt auch der Leittext „Ihr Kind gehört uns allen“, der eine Erziehung auf das Ideal einer kriegsfreien, glücklichen kommunistischen Zukunft hin propagiert.

Doch dann bricht schnell herein, was an Brechts Nachgeborenen-Gedicht erinnert: „Die wir den Boden bereiten wollten für Freundlichkeit, konnten selber nicht freundlich sein.“ Drastische Geschichten der Einweisung in einen Jugendwerkhof werden erzählt, vom Entzug des elterlichen Sorgerechts durch die Jugendhilfe, so genannte Konfliktkommissionen oder Richter.

Demütigung mischt sich mit Hackordnungsritualen

Was mit den Halb- oder Viertelwüchsigen in diesen Quasi-Arbeitslagern und vor allem im geschlossenen Werkhof Torgau als Ultima Ratio geschah, kennt allerdings weltweit Beispiele. Demütigungen durch die Aufseher mischen sich mit Hackordnungsritualen unter den Insassen. Wobei das Schlagen von Jugendlichen in Werkhöfen interessanterweise eigentlich verboten war.

Die Schikanen werden von den sechs Spielern anschaulich geschildert, manchmal mit verteilten Rollen gespielt. Das Verbot von Schreibzeug, jeder geistigen Beschäftigung, von Freundschaften, Gruppenbildung, der Arbeitszwang, sportlicher Drill, sexuelle Übergriffe, speziell im Arrest in Torgau.

Die Methoden in der DDR waren auch von ideologischen Umerziehungsabsichten nach dem sowjetischen Muster des berüchtigten Pädagogen Makarenko geleitet. Also das Zerbrechen junger Menschen und deren fügsamer Wiederaufbau nach einem „Schockerlebnis“. Anstaltsleiter Horst Kretzschmar war ein besonders raffinierter Ausführender dieser Technik, in der Inszenierung die einzige Dauerrolle für Christoph Müller.

Auch die Attribute stimmen, typische Kittelschürzen, Stoffturnschuhe. Melancholische bis depressive Lieder schaffen Stimmung. Da wird es nur für den Kenner komisch, wenn er eine Staatsjugendliedmelodie wieder hört, die damals mit „Scheiße“-Strophen in der Kultur- und Kirchennische parodiert wurde. Mit denen konnte man wiederum einen FDJ-Singeklub von der Bühne jagen.

Der Verdacht einer bloßen Nachinszenie­rung des westdeutschen Master-Narrativs drängt sich auf

Multiperspektive und Kontextualisierung fehlen

Was völlig fehlt, sind Multiperspektive und Kontextualisierung. Der Verdacht einer bloßen Nachinszenierung des westdeutschen Master-Narrativs drängt sich auf. Nicht alle Renitenten waren Regimegegner. Und allein wegen des Westfernsehens kam niemand in den Jugendwerkhof. Torgau war ein KZ, das wusste man in der DDR. Aber in der spießigen Bevölkerung genossen Maßnahmen gegen „Asoziale“ auch einige Unterstützung. Wer um 1970 lange Haare trug, weiß das.

Für viele Kinder und Jugendliche aus schwierigsten familiären Verhältnissen waren Jugendwerkhöfe tatsächlich die letzte Auffangebene. Zum Beispiel im thüringischen Hummelshain, mit 190 Plätzen der zweitgrößte Jugendwerkhof der DDR namens „Ehre der Arbeit“. Die Führerin durch das mittlerweile verfallende Schlösschen mit Park berichtet, dass sich bis heute damalige Erzieher und Zöglinge dankbar treffen. Der MDR sendete 2016 Filmdokumente eines Lutz König. „In Hummelshain wurde man als Mensch behandelt“, titelt ein Artikel darüber.

Kein Wort auch zu vergleichbaren Verhältnissen in westdeutschen Kinderkasernen, zu traumatisierten Insassen katholischer Internate etwa. Erst das Programmheft weist etwa auf die Haasenburg GmbH hin. „Was lernt uns das?“ Als die mit Schulprojekten erfahrene Nancy Aris vor zwei Jahren das Amt der sächsischen Beauftragten für die SED-Opfer antrat, prägte sie die Wendung „Weder Grusel- noch Heldengeschichten“. Denn beides schaffe in der Geschichtsvermittlung Distanz bei der nachfolgenden Generation.

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3 Kommentare

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  • "Multiperspektive und Kontextualisierung fehlen"



    Eine Auseinandersetzung mit dem Unrechtsstaat DDR und seinen Mechanismen ist dringend geboten, Ostalgie ist immer noch verbreitet. Und dabei muss auch keine Relativiering im Sinne von "im Westen war es auch sehr schlimm" stattfinden, die das diktatorische Vorgehen verharmlost. Die Folgen stalinistischer Erziehung sehen wir auch im heutigen Russland. Wenn die historischen Fakten stimmen, ist es außerdem gleichgültig, ob dies von Menschen aus Ost oder West bearbeitet wird.

    • @Abraxas07:

      @Abraxas07. Ja und nein, denn so wie die Auseinandersetzung mit den Auswüchsen der DDR-Diktatur geboten ist, so ist eben die Einordnung in den historischen Kontext geboten, insofern hat der Hinweis auf die Parallelen zur BRD nichts mit whataboutism oder Relativierung zu tun, sondern lediglich mit der Klarstellung, dass nicht nur die DDR.das absolut Böse war, sondern dergleichen auch in der glorifizierten BRD möglich war, ebenso wie in Irland, GB, Kanada und wer weiß wo... es bedeutet also lediglich, dass derlei Auswüchse kein Patent in der DDR hatten...wie es gern geflissentlich vergessen wird, insbesondere von "Besser-Wessis"...insofern, doch (ohne es gesehen zu haben, nur aufgrund des gelesenen Artikels), "Multiperspektive und Kontextualisierung fehlen" !!!

      • @Max Weber:

        Man weiß wieder überhauptnicht wo man da ansetzten soll.... natürlich gibt und gab es Unrecht zu allen Zeiten in allen Systemen. Der feine Unterschied ist aber ob es qua Ideologie verordnet wird. Terror und Erniedrigung gehören nun mal zum Merkmal von Diktaturen und ganz besonders ausgesprägt in der Geschichte kommunistischer Diktaturen. Es war schlicht Staatsideologie und nicht die Verfehlungern einzelner Menschen wie im freiem, ja freiem Westen. Was Sie Herr Weber schreiben ist Relativierung in Reinform. Leute die diesem System entfliehen wollten sind an der Mauer erschossen worden oder vegetierten Jahrzehntelang in Bautzen. Das man auf sowas noch hinweisen muss....