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Im Schatten der Männer

Das Kollektiv Raum + Zeit hat in München für den Bildschirm inszeniert: „Gespenster – Erika, Klaus und der Zauberer“

Hmm. Ganz schön viele Referenzen in diesem Stück. Ganz schön viel Kulturhuberei

Von Katrin Bettina Müller

Der Subtext ist eine tragische Geschichte. Er erzählt von einer Frau, die einst als Stil-Ikone der Moderne und des Androgynen verehrt wurde und geschätzt als spitzzüngige Kabarettistin gegen Nazideutschland: Erika Mann. Im Alter aber wird sie zur eifersüchtigen Hüterin des Familienruhms, verteidigt eine Villa voller Bücher gegen Eindringlinge der Gegenwart, wühlt sich in die Briefe des Vaters Thomas Mann und des Bruders Klaus Mann und kommt aus beider Schatten nicht mehr heraus. So erzählt es zumindest das Stück „Gespenster – Erika, Klaus und der Zauberer“, das am Mittwochabend im Stream Premiere hatte. Entwickelt wurde es vom Theaterkollektiv Raum + Zeit für die Kammerspiele München.

Bevor es losgeht, macht die neue Intendantin Barbara Mundel eine Ansage: Wie aufgeregt man sei, Premieren für den Stream zu entwickeln, das sei eine neue Herausforderung. Zuvor hatten die Kammerspiele Theater in Schaufenstern angeboten, aber weil zu viele Leute gucken kamen, wurde das verboten. Das hat man noch im Ohr, wenn es losgeht und vier Schauspieler in gläsernen Vitrinen zu sehen sind. Aus ihrem Schaufensterpuppenleben treten sie aber schnell heraus. Ab und zu huschen die schwarz gekleideten Kameraleute durch das Bild, die das Livespiel für den Stream einfangen. Das stört nicht sehr, eher schon, dass ein paar Mal die Verbindung abbricht und Silben geschluckt werden.

Gut folgen kann man trotzdem dem Text, den Lothar Kittstein vom Kollektiv Raum + Zeit geschrieben hat und Bernhard Mikeska inszeniert. Es ist spannend und emotionsgeladen, weil man erstens gute Schauspieler vor sich hat und zweitens der Soundtrack von Knut Jensen das Ganze mit Nervosität auflädt. Ein junges Geschwisterpaar (Katharina Bach, Bernardo Arias Porras) besucht die alternde Erika Mann (Svetlana Belesova) 1969 in der Villa über dem Zürichsee und will die Rechte, um „Die Geschwister“ von Klaus Mann zu verfilmen. Eine symmetrischen Konstruktion, geschaffen, um die Zeiten ineinander zu spiegeln. Erika Mann ist abweisend und will sich nicht einlassen auf die Verführungskünste der jungen Leute.

Die vierte Figur ist ein älterer Herr im grauen Anzug (Jochen Noch), in dem man wahlweise Thomas Mann, Luchino Visconti, der Manns Novelle „Tod in Venedig“ verfilmte, und deren Protagonist Gustav von Aschenbach sehen kann. So oder so bewegt den Mann im Anzug ein homosexuelles Begehren, das sich nicht ohne Scham und Erniedrigung zeigen kann.

Hmm. Ganz schön viele Referenzen. Ganz schön viel Kulturhuberei. Viel wurde über die Familie Mann, ihre vielen Künst­le­r:in­nen und die Verhältnisse der Familie schon geschrieben und in Szene gesetzt. Oft war dabei das Interesse der Gegenwart klarer an den Figuren. Zum Beispiel, als die französische Regisseurin Ariane Mnouchkine 1979 für ihr Théâtre du Soleil den „Mephisto“ von Klaus Mann bearbeitete, löste die Mitläuferrolle von Gustav Gründgens noch historische Diskussionen aus und die Androgynität der Geschwister Klaus und Erika war noch mehr ein Zeichen der Ermutigung, das die Gegenwart in der Vergangenheit suchte.

Jetzt hingegen weiß man nicht so genau, warum man wieder in diese von inzestuöser Hitze aufgeheizten Kammern der Gefühle hineingezogen wird. Für die Kammerspiele, die sich in der Intendanz von Barbara Mundel auch mit ihrer eigenen Geschichte beschäftigen wollen, gibt es freilich ein Motiv: Hier wurden 1930 „Die Geschwister“ von Klaus Mann uraufgeführt und, wie man im Stück erfährt, ob der empörten Reaktionen von Männern in Lodenmänteln in einer von Nationalsozialisten wimmelnden Stadt wieder abgesetzt. Die Aufführung findet zudem im neu nach Therese Giehse benannten Saal statt; die berühmte Schauspielerin hatte 1933 mit Erika und Klaus Mann das antifaschistische Kabarett „Die Pfeffermühle“ gegründet. Doch diese Ebene wird in der Inszenierung nur gestreift.

Theater im Stream ist besser als gar kein Theater, auch damit die Künst­le­r:in­nen weiterarbeiten können. Ich öffne vorher das Fenster und mache Kniebeugen, um Sauerstoff ins Hirn zu kriegen, und stelle ein Bier kalt. Am Ende ist der Weg zur Fernsehcouch doch zu nah, es fehlt die Durchquerung von Raum und Zeit auf dem Rückweg, die dem Nachklang eine Chance gibt.

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