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Theaterfilm bei ArteWoyzeck im Wedding

Das Artifizielle und das Naturalistische: Zu Georg Büchners 200. Geburtstag zeigt Arte eine „Woyzeck“-Filmfassung des Theaterregisseurs Nuran David Callis.

Was kann Woyzeck (Tom Schilling) Frau und Kind bieten? Bild: Oliver Vaccaro/Arte/ZDF

Es ist noch immer ein Wagnis, das Artifizielle und das Naturalistische so miteinander zu verschränken, wie es sich der Regisseur Nuran David Calis in seiner Filmfassung von Georg Büchners Drama „Woyzeck“ traut. Kunstsprache in einem der Wirklichkeit abgeschauten Milieu; poetische Sentenzen über den Verlust der Wirklichkeit mitten unter den Müllsammlern in den Tunnels der U-Bahn; Figuren, die wie auf einem einsamen Zeitstrahl gereist erscheinen mitten in dem Gewimmel einer Einkaufsstraße.

Wann hat man denn so etwas schon gesehen? In alten Fassbinderfilmen vielleicht? Eben wenn Theaterleute sich in den Film begeben.

Der „Woyzeck“ von Nuran David Calis ist ein ungeheuer trauriger und bedrückender Film. Wie in Trance, wie in einer Blase voller Einsamkeit gefangen, bewegen sich Woyzeck (Tom Schilling) und seine Freundin Marie (Nora von Waldstätten) zwischen ihren Mitmenschen. Warum das bei Woyzeck so ist, das erklärt einerseits seine Geschichte: Er sammelt unter Tage mit zwei Kumpels den Dreck in der U-Bahn, er jobbt in einem Restaurant in der Küche, und er schluckt Pillen in einer medizinischen Versuchsreihe.

Kein Wunder, dass er halluziniert, sich verlangsamt, seine Wahrnehmung sich verschiebt und er Stimmen aus dem Jenseits hört. Marie wiederum leidet an seiner Unerreichbarkeit. Aber wenn sie so voreinander stehen, gespannt und vibrirend von den Worten, die ungesagt bleiben, in ihrer engen Wohnung oder in einem Hinterhof, dann sieht man andererseits auch immer zwei Bühnenfiguren, die es hinausgeschleudert hat in eine vielfach beschleunigte Welt.

Die Verbindung von klassischem Drama und Gegenwart

Das Experiment, die Sprache und die emotionale Intensität der klassischen Dramen mit dem Gefühlshaushalt und den kulturellen Codes der Gegenwart zusammenzubringen, betreibt Nuran David Calis im Theater schon seit etwas mehr als zehn Jahren. Er hat mit Schülergruppen und jungen Leuten aus randständigen Stadtvierteln eigene Geschichten für die Bühne erarbeitet, Hiphop mit „Romeo und Julia“ verbunden, Migrationsgeschichten von mehreren Generationen gesammelt und Stoffe von Wedekind und Schiller mit sehr jungen Schauspielern umgesetzt.

Das alles geschah auch unter dem Vorzeichen, das Disparate nebeneinander bestehender Welten zumindest durch Neugierde und ein teils auch naives Ausprobieren miteinander zu verketten. Es blieb aber ein Nebeneinander, eine Welt aus Fragmenten.

In seinem Theaterfilm „Woyzeck“ setzt er diesen Weg fort und geht noch ein Stückchen weiter: Denn jetzt baut er eine geschlossene, ja sogar klaustrophobisch verengte Welt aus diesen Elementen. Sein Woyzeck, das ist white trash; die ihn schickanieren, die coolen Zuhälter, Religiösität heuchelnde Restaurantbesitzer, der mit Drogen handelnde Arzt, sind die Fürsten in einem mafiös organisierten Kiez.

Gedreht wurde in Berlin-Wedding und tatsächlich hat Nuran David Calis diesen Ort bewusst gewählt. Weil er, der ob seiner migrantischen Herkunft aus einer armenisch-jüdischen Familie immer wieder in Diskurse um Minderheiten gesteckt wurde, einer der wenigen Regisseure mit Migrationshintergrund am Stadttheater, nun eine weitere Drehung suchte. „Ich brauchte einen Menschen, der eine Minderheit in einer Minderheit darstellt“, sagt er in der Arte-Information zum Film. „In Berlin-Wedding ist 'der Deutsche' in jeder Hinsicht in der Minderheit.“

Büchners raue Seite

Nuran David Calis will diesen Umstand zwar nicht werten. Aber natürlich nimmt die Erzählung des Woyzeck-Stoffs immer gegen dessen Peiniger ein. Es ist deshalb einfach, diese als Karikaturen der Repräsentanten gesellschaftlicher Macht zu stilisieren, was viele Theaterinszenierungen auch tun. Aber so einfach lässt Calis seine Zuschauer nicht davonkommen.

Die Produktion gehört zu einem Büchnerkulturprojekt, für das der 200. Geburtstag des Dichters und Dramatikers am 17. Oktober Anlass ist. Leicht macht es sich Arte mit dieser Büchner-Verfilmung nicht, eher bringt sie das Raue, sich quer zum Konsens Stellende des Dichters wieder in Erinnerung.

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1 Kommentar

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  • GS
    Günter Scholmanns

    Nach dem historisch belegten Fall sein "Werk" zu schreiben, ist ganz ohne Frage bei Büchner okay. Daraus eine kongeniale Vertonung zu komponieren, ist Alban Berg zu verdanken. Warum nun nach diesen beiden Meisterwerken nun auch noch das alles in die heutige Zeit als Spielfilm verlegt wurde, ergibt keinen kunsterzeugenden Sinn mehr. Und wenn Sie Faßbinder ansprechen, so müssen Sie ja auf jeden Fall z.B. auch "Berlin Alexanderplatz" meinen und "Effi Briest" und andere seiner Romanverfilmungen. RWF hat dabei immer sehr deutlich das originale Umfeld übernommen und darin nicht etwa sich persönlich als Kreator neuer künstlerischer Originalideen hervortun wollen. Für den oben genannten Alban Berg gilt das auch, der ja lediglich den original Werksnamen minimal veränderte.

    Im Übrigen ist es natürlich ein produktives Muss für jeden Intendanten und von mir aus auch jeden Regisseur, ein schon vorliegendes Werk sozusagen vollkommen neu zu erfinden und zu interpretieren, das ist klar! Aber ein eigenes Werk zu kreieren- was ansonsten immer zu begrüßen ist- und es dann als Adaption eines schon vorliegenden künstlerischen Meisterwerkes uns Kunstsuchenden anzubieten, ist ab irgendwann redundant und mit Verlaub- bei allem Respekt vor der hier sicherlich gelungenen Ergriffenheit- als künstlerische Originalität so langsam langweilig. Wie gesagt, bei allem Respekt vor Ihrer persönlichen Überzeugung, welche ich hier unbedingt schätze aber nicht teile.