Theater zum Mitlaufen: Im Vorhof zur Wohnhölle

Das Freilauftheater in Osnabrück inszeniert den Kampf auf dem Wohnungsmarkt als Stationendrama. Schauplatz ist eine alte Bergwerksbrache.

Modellhäuschen in Wattebergen

Gesucht wird eine Wohnung, ein tiny house, aber keine Hundehütte Foto: Piesberger FreiLAUFtheater

„Schöner schattiger Garten“, steht auf einem historischen Foto des Piesberger Gesellschaftshauses in Os­nabrück, „hübscher geräumiger Saal“. Das Bild, zu sehen auf der Internetseite des Hauses, stammt aus Tagen, in denen die Telefonnummern noch zweistellig waren.

Und noch immer sieht der Ort aus, als sei die Zeit stehen geblieben: rosenumrankte Bruchsteinmauern, schmiedeeiserne Geländer, Kopf­stein­pflas­ter. Kohlebergleute haben sich hier im 19. Jahrhun­dert getroffen, Arbeiter der Sandsteinbrüche, Sonntagsausflügler aus der Stadt.

Schon damals wurde hier Theater gespielt. Wenn Sigrid Grafs Piesberger Freilauftheater, ein Kind des Hauses, von hier aus zu einer seiner skurrilen Orts­erkundungen aufbricht, zwischen Steinbrecher, Zechenbahnhof und Kanalhafen, vorbei an halb überwucherten Kesselwagen, ­tonnenschweren Maschinenresten, Stapeln verwitterter Eisenbahnschwellen und verrosteter Schie­nen, hat das also Tradition.

Das heutige Stück heißt „Wohnst du schon oder suchst du noch?“, und Miethaie bleiben dabei besser zu Hause. Leider geht es nicht wie geplant hinein in die düstere Tiefe des Bergs, einen versteckt liegenden alten Wasserstollen an einem verwunschenen Gleistal, das fast nie befahren wird. Aber die Makler der profit­geilen Piesberg Properties halten noch andere Wohn­höl­len bereit.

Das Publikum spielt mit, als Properties-Kunden bekommen sie schamlos übergriffige Bewerberauskunftsbogen. Festes Schuhwerk ist von Vorteil, denn es geht, wie immer, durch Gebüsch, über Geröll. Ein Aussteiger-Hippie in Leopardenfallshorts und Fellweste, high von psychoaktiven Pilzen, baut sich auf einer Wiese ein Zelt auf, das gleich drauf zusammenfällt. Eine perfide Horrorhexe lockt eine Mutter in einen Waggon, in dem Kinder zu Zombies werden. Bleiche Arbeitssklaven vegetieren in Storage-Boxen. Ein schmieriger Typ in Silberglitzer­jackett und Protzgoldkette weist eine Mieterin ab, weil sie keine Deutsche ist. Ein riesiges Radieschen wird in die Höhe gehievt, damit wir es von unten sehen, in unserer finalen Wohnung, dem Grab.

Das Ganze beginnt, draußen im Garten des Gesellschaftshauses, mit einem Nachrichtensprecher und einer Demo gegen Wohnraumknappheit. Das Ende, drinnen im holzgetäfelten Saal, den die Verkaufsshow der Piesberg Properties zwischendrin zu einer neonflackrigen Disco macht, ist ein allseitiges Hauen und Stechen um ein paar Quadratmeter eines Toten, der noch im Wohnzimmer liegt. Das Publikum brüllt vor Lachen.

Wer will, holt sich an der Fenstertheke ein Alster und liest den demonstrativen Aushang einer örtlichen Bürgerinitiative gegen Besserverdiener-Flächenfraß: ein Kommentar zur Inszenierung.

Die Logistik drumherum ist, wie immer, in den Händen der Jugend des THW, die sich nach knapp drei Stunden stolz verbeugt. Eine Gemeinschaftstat. Apropos Tat: „Hallo Diebe!“, sagt ein Schild am Eingang, „bringt uns schleunigst die geklauten Stühle und die Bank zurück!“

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Freier Journalist, Skandinavist. Schreibt hauptsächlich über Niedersachsen, schwerpunktmäßig über Stadt und Region Osnabrück. Themen: Kunst, Bühne, Umwelt/Naturschutz, Bildung, soziale Gerechtigkeit.

Dieser Artikel stammt aus dem stadtland-Teil der taz am Wochenende, der maßgeblich von den Lokalredaktionen der taz in Berlin, Hamburg und Bremen verantwortet wird.

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