piwik no script img

Theater unter Strafe gestellt

Der schwedische Dramatiker Lars Norén läßt Gefangene mit Nazisympathien Gefangene mit Nazisympathien spielen. Ein Journalist verklagte die Darsteller  ■ Von Reinhard Wolff

Zwei Schauspieler des schwedischen Riksteater (Reichstheater) sind Ende Februar von einem Journalisten der konservativen Tageszeitung Svenska Dagbladet angezeigt worden. Wegen Volksverhetzung. Sie geben in dem Theaterstück „Sieben Drei“ von Lars Norén antisemitische und rassistische Sätze von sich. Von den Juden, die in Schweden nichts verloren haben, und vom fremden Blut, das dieses Land dekadent gemacht habe. Die beiden äußern sich dabei nicht nur als Schauspieler. Die Rollen von zwei Gefangenen mit rechtsradikalen Ansichten werden von zwei Gefangenen mit rechtsradikalen Ansichten gespielt. Es sind wegen verschiedener schwerer Gewalttaten verurteilte Häftlinge des Tidaholm-Gefängnisses, die bei jeder Vorstellung unter strenger Bewachung stehen.

In „Sieben Drei“ kommt der Schriftsteller John in ein Gefängnis, um dort Stoff für ein Theaterstück zu suchen. Das Stück ist „Sieben Drei“ selbst. Formal wollte Norén die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit aufheben. Inhaltlich war sein Ansatz, ein Stück über Gefangene, das Gefängnisleben und Resozialisierung zu schreiben. Und er wollte mit seiner Theaterarbeit gleich selbst Resozialisierungsarbeit leisten. Das Thema Rechtsradikalismus kam erst dazu, als sich herausstellte, daß die von ihm als Schauspieler ausgewählten Gefangenen Neonazis waren.

Den Schauspielern Mats und Tony schrieb er daraufhin Sätze in den Text, die die Gefangenen Mats und Tony in der Vorbereitungsphase tatsächlich gesagt hatten. Alle Argumente von John, dem Autor – von einem professionellen Schauspieler gespielt –, prallen im Stück von ihnen ab. Am Ende von „Sieben Drei“ steht ein verzweifelter John auf der Bühne, der für sich den Schluß zieht, daß die Wurzeln des Problems auf einer anderen als der argumentativen Ebene liegen, und ansonsten auch nicht weiter weiß. „Dort, wo ihr Nazismus seht, sehe ich Verzweiflung“, sagt Norén.

Die wenigen KritikerInnen, die das Stück ästhetisch wie inhaltlich nicht verdammt haben, heben es vom inhaltlichen Ansatz her in den Himmel: Nichts als Liebe zu den Menschen spreche aus ihm, es sei „eine Art neuer Bergpredigt“ (Roger Fjellström, Autor und Lektor, im Svenska Dagbladet). Für Erik Sidenbladh, der jetzt die Strafanzeige erstattet hat, ist „Sieben Drei“ hingegen künstlerisch eine Katastrophe, inhaltlich nichts als ein mißlungenes Interview mit einigen Verbrechern und juristisch ein klarer Fall von Volksverhetzung:

„Das Reichstheater benutzt unser aller Steuergelder dazu, wirkliche Nazis ihre antidemokratischen und rassistischen Gedanken verbreiten zu lassen. Ich ergehe mich nicht in feministischen Protesten über die Art, wie bestimmte Rollenfiguren in Strindbergs Stücken Frauen behandeln. Wenn aber jemand von der Bühne zum Ausdruck bringt, daß dies auch seine eigenen Ansichten sind, müssen wir im Publikum eine Antwort geben. Ich möchte gerne geklärt haben, ob das Theater eine Art rechtsfreier Raum ist, in dem Gesetze und normaler Anstand nicht gelten.“

Isa Stenberg, Produzentin von „Sieben Drei“, hatte sich „in den wildesten Träumen nicht vorstellen können“, daß jemand auf die Idee einer Strafanzeige gegen die Schauspieler kommen könnte. Doch formaljuristisch scheint diese Zielrichtung korrekt. Der Medienjurist Peter Danowsky stellt fest: „Für Äußerungen, die auf einer Bühne gesagt werden, ist in erster Linie der Schauspieler selbst verantwortlich. Autor, Regisseur und Produzent könnten in zweiter Linie möglicherweise ebenfalls belangt werden.“ Sidenbladh behält sich insofern auch eine Erweiterung seiner Strafanzeige auf Norén und Stenberg vor. Auch Thomas Nyh, Jurist beim Theaterverband, hält die Sache für justitiabel. Entscheidend für ihn ist, inwiefern den möglicherweise strafbaren Äußerungen auf der Bühne widersprochen wird. Schwedens Verfassung und der Tatbestand der Volksverhetzung scheinen der Justiz also tatsächlich die Möglichkeit zu geben, Theater unter Strafe zu stellen. Da dies aber auch die meisten von Noréns KritikerInnen nicht wollen, wird jetzt überall in den Medien nach Notbremsen gefahndet: Lars Linder vom liberalen Dagens Nyheter wendet sich gegen die Berührungsangst, die er hinter der Anzeige vermutet, „dem Traum von einer klinisch sauberen Gesellschaft“, den auch Noréns Hauptfiguren haben. Statt dessen müsse man Noréns Absicht berücksichtigen, und diese sei es sicher nicht, Nazipropaganda zu machen.

Lars Norén, Schwedens führender zeitgenössischer Dramatiker, hatte sich 1973 nach einem ähnlichen Entrüstungssturm gegen sein Stück „Fursteslicken“ („Arschkriecher“) entschlossen, „nie mehr“ auf Kritik zu reagieren. Gleichwohl antwortete er jetzt Anita Goldmann, deren Kritik in der Tageszeitung Aftonbladet ihn offenbar am empfindlichsten traf. „Was machst du, Schwedens bedeutendster Dramatiker“, schrieb Frau Goldmann, „der diesen authentischen Nazis eine so wunderbare Bühne gegeben hat, ihre Ansichten vorzutragen? Diskutierst du mit ihnen, zeigst du deine Abscheu, unterrichtest du sie? Nein, du bist durcheinander, verwirrt, gibst ihnen ein paar Minuten später eine dicke Umarmung zum Abschied.“

Lars Norén erwidert darauf: „Ich glaube an das Gespräch. Ich glaube nicht mehr an Argumente und Debatten. Sollen wir weiterhin strafen und dämonisieren, uns in Gute und Schlechte einteilen oder versuchen, in dem anderen etwas zu finden, das zur Veränderung, zu Freude, Offenheit, dem Gegensatz von Angst führen kann?“ Ein Erklärungsversuch, der von den meisten Seiten als unzureichend abgetan wurde.

In der Tageszeitung Expressen schreibt die Schriftstellerin Kerstin Ekman: „Wir brauchen Köpfe, sagten die Nazis in Deutschland. Und die Köpfe kamen. Die Intellektuellen begannen sich für den Nationalsozialismus zu interessieren. Die Nazis in Schweden sind eine verschwindend kleine Gruppe. Aber jetzt kommen die Intellektuellen und sind neugierig und voller Einfühlungsvermögen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen