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Foto: Mark Schulze Steinen

Theater mit GefangenenEin Stück weit in die Welt kommen

In Berlin macht das Projekt „aufBruch“ mit Häftlingen Theater. Was bedeutet es den Gefangenen? Was motiviert sie? In der JVA Tegel spielen sie Brechts „Arturo Ui“.

R aucht auf!“, sagt Peter Atanassow, der Regisseur. „Danach geht’s los!“ Die meisten rauchen, fast alle haben Plastiktüten oder Jutetaschen dabei, aus denen sie Tabakbeutel, Kekse oder Cola kramen. Zinkeimer, mit Sand gefüllt, gehören zu den wichtigsten Requisiten dieses ungewöhnlichen Theaterensembles. Einige holen sich einen Kaffee aus der Teeküche, ein Teilnehmer schneidet eine Ananas auf. Nach und nach treffen Mitspieler ein.

Es ist 16 Uhr, ihr zur Zeit verkürzter Arbeitstag im Strafvollzug liegt hinter ihnen. Ein fast zeremoniell anmutender Moment des Ankommens und Innehaltens, Begrüßung per Handschlag oder Schulterklatschen, der Umgang miteinander ist respektvoll. Hier im Raum sind alle per Du, ob Gefangener, Gast oder Teil des Teams von aufBruch. In den nächsten Wochen wird es mit 17 Insassen der Justizvollzugsanstalt (JVA) von Berlin-Tegel in einem verlassenen Innenhof ein Stück von Bertolt Brecht erarbeiten. Hier sind ausschließlich männliche Erwachsene inhaftiert.

Die taz hat die Proben zu „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ über mehrere Wochen bis zur Premiere begleitet. Sie hat mit vielen Mitmachenden gesprochen, manche Gefangene belassen es, wie im Programmheft, bei ihren Vornamen, andere sind stolz, mit vollem Namen dabei zu sein. Warum und wie lange sie einsitzen, wissen sie teilweise selbst nicht voneinander. Manche erzählen es im Laufe der Zeit, andere nicht. Hier geht es darum, sich vorurteilslos zu begegnen.

Ich muss noch 20 Jahre hier sitzen. Das Theater gibt mir die Kraft, von Jahr zu Jahr weiterzumachen

Adrian Zajac, Insasse der JVA Tegel

Die Männer sind in unterschiedlichen Abteilungen untergebracht, arbeiten an unterschiedlichen Orten im Gefängnissystem. Warum sie beim Theater mitmachen? „Ablenkung spielt eine große Rolle“, sagt Jimmy Juma, „man spürt weniger, dass man eingesperrt ist.“ Dass die Proben in Gemeinschaft und an der freien Luft stattfinden, macht die Sache darüber hinaus attraktiv.

Bertolt Brecht schrieb „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ 1941 im US-amerikanischen Exil als Parabel auf den Aufstieg der Nazis in Deutschland. „Warum hat der so einen komischen Namen“, wundert sich in einer Rauchpause ein Mitspieler, „kann der nicht Francesco oder anders, jedenfalls hübscher heißen?“ Schließlich ist der Obergangster bei Brecht eine Mischung aus Al Capone, der im Chicago der 30er Jahre die Mafia befehligte, und Adolf Hitler. „Der Kleinbürger kann letztlich nur durch das Verbrechen in dieser Gesellschaft aufsteigen“, das ist für Peter Atanassow die Aussage Brechts.

Während der siebenwöchigen Theaterprobenzeit: Regisseur Peter Atanassow Foto: Foto: Mark Schulze Steinen

Jimmy spielt den Ansager, der 27-Jährige ist in Kenia englischsprachig aufgewachsen. Ihm gebührt die erste Szene, die volle Aufmerksamkeit. „Es ist toll, dass Peter mir die Rolle anvertraut“, sagt er. „Der Ansager braucht eine besondere Energie. Ich bekomme immer mehr Selbstvertrauen, wenn ich den deutschen Text spreche.“ Die Brecht’sche Sprache will einfach klingen, ist aber kunstvoll, mit einem darunterliegenden Reim. Jimmy wurde von einem Kumpel angeworben. „Jetzt fühle ich mich verpflichtet, gut zu sein. Die Leute draußen sollen mitbekommen, dass Knackis auch was in der Birne haben.“

Im Verlauf der Probenbesuche kommen verschiedene Antworten auf die Frage nach der Motivation. Abwechslung, Selbstvertrauen, Spielfreude und Neugier sind einige davon. „Bei unserer Arbeit entsteht ein mentaler Freiraum“, sagt Regisseur Peter Atanassow. „Die Gefangenen können etwas Neues ausprobieren, andere Leute kennenlernen, die Welt in neuen Zusammenhängen sehen. Man kommt ein Stück weit in die Welt, sieht etwas von ihr. Die Welt kommt zwar zu dir, weil du nicht raus darfst, aber du machst neue Erfahrungen und deine Perspektive verändert sich.“

10. Juli. Peter Atanassow, Jahrgang 1968, derbe Schuhe, warme Kleidung, hat die Schauspieler im Kreis um sich geschart. Der Regisseur als Dompteur, Animateur oder „Vorarbeiter“, wie er selbst sagt. „Alles, was ich von den Gefangenen als Schauspieler verlange, muss ich selbst können. Nur dann sind sie bereit, mir zu folgen.“ Ata­nassow hat das Handwerk an der Hochschule für Film und Fernsehen in Babelsberg gelernt. Am Anfang einer Probe steht immer: Körper und Zunge lockern, Vokale kauen, Konsonanten spucken. „Sprecht mir nach“, sagt Atanassow, „verlaufen-saufen-rauchen“, „verstehen-gestehen-bestehen“, die Männer kennen die Wortspiele, „haltet das Tempo“, sagt er. Das chorische Sprechen bedarf besonderer Präzision. Jetzt am Anfang der Probenarbeit klappert es noch ziemlich.

„Was wir hier zeigen, weiß der ganze Kontinent / Es ist das Gangsterstück, das jeder kennt“, deklamiert der Männerchor. So endet der Prolog. Die meisten lesen den Text noch ab. „Hört aufeinander!“, ruft Atanassow, „nicht so breit, nicht so selbstgefällig! Trennt die Silben! Macht es aggressiver! Das Deutsche braucht den Rhythmus eines Maschinengewehrs.“

Das Sprechen im Chor, als Gruppe, schon im Theater der Antike ein Stilmittel, macht Sinn bei einem Stück von Brecht, das immer zugleich Lehrstück ist. Eine politische Botschaft bekräftigen, laut in die Welt schicken. Es ist aber auch ein Mittel, möglichst viele Spieler gleichzeitig einzubinden. Und: „Der Chor nivelliert Hierarchien“, sagt Atanassow. „Man kann im Knast eine große Nummer sein, aber wenn du deinen Text nicht kannst, kriegt das jeder mit. Und jemand anderes, der vielleicht ein kleines Licht ist, ist viel besser. Du musst den Text können, die Intonation treffen, die Pausen halten. Der Chor hat etwas sehr Demokratisches.“

Mehr als 20 Jahre schon existiert das Gefange­nentheaterprojekt aufBruch, heute eine gemeinnützige GmbH mit Haushaltstitel beim Berliner Senat für Justiz, Abteilung Soziale Arbeit, der alle zwei Jahre neu beantragt werden muss. Das war nicht immer so, anfangs gab es nur eine Basisfinanzierung durch den Kultursenat. Sozialarbeiter und Therapeuten schätzten ihre Arbeit, erzählt Atanassow bei einem Vorgespräch im Produktionsbüro. Gerade weil sie keinen rein pädagogischen Ansatz haben.

„Wir machen Theater“, erklärt er, „und das muss funktionieren. „Unser Trainingspensum ist ziemlich straff.“ In der Regel spielen einige Leute aus früheren Produktionen mit, neue Mitspieler kommen durch Aushänge, persönliches Casting und Werbung durch Mitgefangene hinzu. Nicht alle bleiben dabei. „Wer die Arbeit nicht leisten kann oder will, der geht wieder oder fliegt raus“, sagt Atanassow, „wir können nicht alle mitnehmen. Sie müssen gewisse Fertigkeiten entwickeln, die sie vorher haben schleifen lassen, um hier mitzumachen.“ Wenn sie dann diese Fähigkeiten in sich entdeckten, sei es manchmal eine Offenbarung.

Den Verführer der Massen spielt der einsitzende H. Peter Maier C. d. F. mit schnarrender Stimme Foto: Foto: Mark Schulze Steinen

„Für mich ist das hier erst der Anfang“, sagt Maximilian Sonnenberg, der den Trust-Vertreter Clark spielt. „Ich will draußen weiter Theater machen.“ Es ist seine dritte Produktion. Obwohl früher ohne Berührung mit Theater, habe er totale Gänsehaut bekommen, als er das erste Mal mitgeprobt hat, das war bei Camus’ „Die Gerechten“. Seitdem ist er vom Theaterspielen angefixt, er schätzt die Möglichkeiten der Selbstverwirklichung, die Wertschätzung, fühlt sich wahrgenommen. „So kann ich meiner Situation einen Sinn geben.“ Maximilian lernt spielen und erlernt nebenbei Spielregeln. Er könne seither besser mit seinen Beratern, wie zum Beispiel Sozialarbeitern, umgehen, hat er festgestellt. „Ich falle ihnen nicht mehr so schnell ins Wort, bleibe höflich. Das Theater nimmt ganz viel innere Unruhe von mir“, sagt er.

Der Probennachmittag ist mit einer Pause in viereinhalb Stunden vorbei; zwischendurch hat sich die Gruppe geteilt, um die Lieder einzustudieren, die eingestreut werden sollen. Sie singen sie mit Inbrunst. Showeinlagen gibt es auch, von „Mein kleiner grüner Kaktus“ der Comedian Harmonists bis zum „Affenkönig“ aus dem Dschungelbuch und einer Ballade des Komponisten Hanns Eisler ist Diverses dabei. Die Darsteller werden dafür bei der Premiere viel Applaus ernten. Anfang Juli sind sie davon jedoch weit entfernt.

Regisseur Peter Atanassow verspricht: „Beim nächsten Mal ist Schluss mit der Zettelwirtschaft. Dann sage ich euch, wer wen spielt.“ Bislang hat er „nur Text, Text, Text“ gemacht, Rollen von verschiedenen Leuten lesen lassen, bis er und sein Team eine Vorstellung davon haben, was für wen passt. „Die Jungs trennen sich nicht gern wieder.“ Künftig geht es daran, Teilszenen zu proben, Bilder zu bauen, Übergänge auszuprobieren.

Erstmal in Freizeitkleidung üben

Atanassow ist seit 2003 bei aufBruch dabei, er leitet das Projekt gemeinsam mit dem Bühnenbildner Holger Syrbe und der Produktionsleiterin Sybille Arndt. Zum engeren Kern gehören unter anderen auch die Dramaturgin Franziska Kuhn, Berenice Fisk macht die Regieassistenz. Haemin Jung schaut an diesem Tag vorbei, um Maß für die Kostüme zu nehmen. Geprobt wird bis kurz vor Schluss in normaler Freizeitkleidung. „Können wir nicht eine Feedback-Runde nach den Proben einlegen?“, fragt einer der Darsteller. „Das stiehlt uns Zeit, die wir dringend benötigen“, sagt Peter Atanassow. „Kommt zu mir, wenn ihr Probleme habt.“

Vier Produktionen im Jahr macht aufBruch, für „Arturo Ui“ haben sie sieben Wochen Probenzeit, vier Tage pro Woche. Wenn um 20.30 Uhr die Probe vorbei ist, die Gefangenen abgeholt sind, die langwierige Prozedur des Auf- und Abschließens und der Marsch durch die weiträumige Anlage der Anstalt hinter ihnen liegt, steigt das Team ins Auto und fährt von Tegel in die Pappelallee im Prenzlauer Berg.

Dann werten sie die Probe aus, nehmen Striche im Text vor, verabreden einen Plan für den nächsten Probentag. Die Menschen aus dem Knast müssen hart an sich arbeiten während der Probenzeit. Einen hohen Anspruch an sich selbst haben auch die Organisatoren des Theaterprojekts.

20. Juli. Ein Mitspieler fällt wegen Krankheit aus, seine Rolle als Dogsborough, der sich als bestechliche moralische Instanz erweist, übernimmt Nicolas. Von großer Statur, verleiht er seiner Rolle des Alten viel Komik, wenn er im Abgang mit seinen langen Beinen den Stock wegkickt. Nicolas hat frankophone Wurzeln; wenn er „Asche“ sagt, klingt es ein bisschen wie „Arsch“. Alle müssen lachen, viele in der divers aufgestellten Truppe haben einen Akzent in ihrer Aussprache, türkisch, arabisch, einige berlinern mit Vergnügen, das verleiht der Sprache Brechts eine ganz andere Klangfarbe und neue Akzentuierung.

Der Regisseur hat die Rolle des Arturo Ui zweimal vergeben – es gibt einen jungen und einen gereiften Ui. Robin spielt den aufsteigenden jungen Verbrecher als grimassierenden, sich krümmenden und windenden Möchtegern-Gangster, mit großen aufgerissenen Augen, der Schauspielunterricht nimmt, um später Erfolg im Geschäft und in der Politik zu haben.

Der inhaftierte Nicolas (Foto Mitte) gibt die Rolle des Dogsborough in diesem Stück von Brecht mit Verve Foto: Foto: Mark Schulze Steinen

Den Verführer der Massen gibt H. Peter Maier C.d.F. mit schnarrender Stimme, eine Mischung aus Operettenkönig und Pseudodikator. „Ich bin auf diese gespaltenen Persönlichkeiten abonniert“, sagt er, „die zwischen extremer Stärke und Schwäche oszillieren. Ich weiß, ich bin überzeugend. Aber es ist gespielt.“ Maier gehört zum Stammensemble. „Alles, was ich gelernt habe, verdanke ich Peter“, sagt Maier. Er diskutiert mit dem Regisseur, ob er weiter den Hitler’schen Sprachduktus imitieren soll. Maier: „Du weißt nicht, wie anstrengend das ist.“ – Atanassow: „Ich denke darüber nach.“ Am Ende ist er raus.

Robin ist der junge Ui. Er freut sich, dass ihm der Regisseur gleich beim ersten Mal eine Hauptrolle gegeben hat. „Jeder hat eine zweite Chance verdient“, sagt er und staunt doch. „Ich werde hier als Mensch wahrgenommen und nicht als Verbrecher, Killer oder Dreckschwein.“ Die Posen und die verzerrte Körpersprache hat der 41-Jährige selbst entwickelt. „Unter der Dusche oder nachts im Bett“, sie dann mit dem Regisseur durchgesprochen. „Ich erkenne mein Verhalten wieder, wenn ich den Zampano spiele“, stellt er fest.

„Die Probe war in Ordnung“, sagt Peter Ata­nassow hinterher. „Ein bisschen Pausenhofatmosphäre entsteht immer. Die Jungs albern herum. Es kommt nicht mehr so darauf an wie am Anfang. Sie vertrauen uns und geben Verantwortung ab.“

7. August. Statt Badeschuhen und Shorts sind Jacken und Mützen angesagt. Der Sommer macht schlapp. „Im Moment herrscht ein bisschen Lagerkoller“, sagt der Regisseur. „Die Truppe ist ehrgeizig. Sie brauchen das Gefühl: Es wird schon.“ Und es wird. Das Sprechen im Chor klappert weniger, die Dramaturgin muss seltener soufflieren, keiner will sich blamieren. Vor sich selbst nicht und vor den eigenen Leuten nicht, die zu den Vorstellungen kommen werden.

Widerlegte Fast-Idylle

Noch elf Probentage, noch kein Durchlauf geschafft. Die Zuschauertribüne liegt im Schatten, der sonst fast südlich anmutende einstige Pausenhof, wo inzwischen Rasen und Bäume gewachsen sind, ist windig und kühl. Der Blick geht geradeaus auf eine abgeblätterte und dunkelrosa gestrichene Wand, nur die vergitterten Fenster widerlegen die Fast-Idylle.

Ringsum liegen aufgegebene Gebäude- und Zellentrakte, durch die man durch muss, wenn man zum Spielort gelangen will. Zwei ehemalige Justizangestellte mit Faible für das Theaterprojekt schieben abwechselnd während der Proben Wache. Die aufBruch-Leitung bekommt Schlüssel anvertraut, man kennt die Örtlichkeiten und Gegebenheiten gut. Doch auch sie müssen sich und das, was sie mit reinnehmen, jedes Mal anmelden, Taschenkontrolle und manchmal Leibesvisitation erdulden.

16. August. Die Musiker sind da. Mit Tuba, Schlagzeug und Akkordeon nehmen drei Mitglieder der Gruppe 17 Hippies in einem offenen kleinen Schuppen Platz. Sie werden die von ihrem Kollegen Christopher Blenkinsop arrangierten Lieder spielen, die Übergänge und Umbauten musikalisch begleiten.

Ihre Behausung ähnelt den zwei mobilen Bühnenelementen, die wie aufgeschnittene Blechkästen oder halbierte Garagen frontal zur Zuschauertribüne stehen und die sich schieben und drehen lassen. So entstehen blitzschnell kleine Spielorte und Spielszenen, die Brechts Ganoven, Gemüsehändler oder Trust-Vertreter in Aktion treten lassen. Auch Frauenrollen werden in diesem reinen Männerensemble mit Vergnügen übernommen. Heute wird in Kostümen geprobt.

„Hey, du hast ja eine Polizeijacke an“, sagt Adrian Zajac kurz vor Probenschluss zu Horst. Der Ältere trägt, als Ganove gekleidet, eine schwere schwarze Lederjacke. „Guck, da war mal das Abzeichen.“ Die Jacke stammt aus dem Fundus der Gruppe. Adrian, den alle Adi nennen, lacht und sagt: „Ich würde die nicht anziehen. Aber ich will noch ein paar Jahre mitspielen. Überlegt euch was!“

Er spielt den Ganoven Givola, der künstliche Klumpfuß schmerzt nach ein paar Stunden. „Schlechte Laune lässt man in der Rolle aus“, sagt er weise, es ist seine vierte Produktion. „Ich bin sehr dankbar“, erklärt er. „Ich muss noch 20 Jahre hier sitzen. Das Theater gibt mir die Kraft, von Jahr zu Jahr weiterzumachen.“

Das Gefängnis schafft gesellschaftliche Strukturen nicht ab, sondern spiegelt sie

Peter Atanassow, Regisseur bei aufBruch

23. August. Premierenabend, Premierenwetter. In Gruppen werden die Zuschauer an der Pforte eingelassen, durchgeschleust. Die Gefängnisgärtnerei hat in diesem Jahr tolle Arbeit geleistet, es grünt und blüht in den Innenhöfen. Teil der Inszenierung ist das nicht, auch wenn der Weg zum Spielort im verlassenen Teil des Anstaltsgeländes es auf diese Weise doch wird.

Es ist eine beeindruckende Kulisse für die einen, Normalzustand für die anderen. Tusch von der Kapelle – Jimmy hat seinen ersten Auftritt. „Verehrtes Publikum, wir bringen heute/ Ruhe dort hinten – Leute! / Und nehmen Sie den Hut ab, junge Frau! / Sie sehen heute die große historische Gangsterschau.“

Es wäre einfach zu scherzen, Gangster spielen Gangster. Endlich dürfen sie das mal – mit Betonung auf: spielen. Sie sitzen wegen kleiner oder großer Vergehen. Sie spielen Schurken, Arbeiter, Händler, ein Arsenal an korrupten oder korrumpierbaren Leuten, wie wir alle sind. „Das Gefängnis schafft gesellschaftliche Strukturen nicht ab, sondern spiegelt sie“, sagt Peter Atanassow. Früher habe ihn mehr die Gesellschaft interessiert, in der das Individuum nur scheitern könne; inzwischen sei es mehr das Individuum, das scheitert, als die Gesellschaft drumherum.

Fast alles geht glatt bei der Premiere, und das, was nicht glattgeht, hat Charme.

„Alles, was ich aus der Geschichte gelernt habe, ist, dass wir nichts aus der Geschichte lernen“, sagt Jimmy zum Schluss und zitiert auch noch auf Englisch den Dichter Peter Köck. „And all we learn from history is / that we don’t learn from history. / And all I learned from history / is someday we are history.“ Jimmy hat seine Nervosität verloren. Nach der Aufführung gibt es eine kleine Premierenfeier. 45 Minuten, in denen die Gäste mit den Theatermachern und Schauspielern reden können. Oder einfach nur Händchen halten.

aufBruch macht Theater im Gefängnis, das funktioniert. Wie unterscheidet es sich von Theater außerhalb der Mauern? „Das, was Theater interessant macht, das Sich-Ausliefern“, sagt Peter Atanassow, „da ist der Unterschied zwischen Amateuren und Profis am Ende gar nicht so groß. Profis können sich im Handwerk verstecken.“

Amateure können sich entdecken, sich kennenlernen.

„Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ spielt noch bis 15. September in der JVA Berlin-Tegel. Eventuelle Restkarten über gefaengnistheater.de/

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