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Theater der Welt in MannheimGespenstisch präsente Gegenwart

Vorstellungskraft macht Theater erst möglich – spürbar in den Stücken von Dmitry Krymov und Rabih Mroué. Erste Eindrücke vom Festival in Mannheim.

In „Tararabumbia“ sind das Theater und die Geschichte auf einem Transportband gelandet. Bild: Christian Kleiner

„Hallo Welt“ steht auf den roten T-Shirts, von denen in Mannheim gerade sehr viele zu sehen sind. Denn hier begann am Wochenende das Festival Theater der Welt, das alle drei Jahre in einer anderen deutschen Stadt gastiert. Und gleich zur Eröffnung kam die Welt auf die Bühne, oder zumindest ein ziemlich großer Teil von ihr, und das Theater zuckte etwas verschreckt zusammen in der Uraufführung der „Schutzbefohlenen“ von Elfriede Jelinek.

Doch zu viele Konflikte um Ausgrenzung, zu viele Debatten über Rassismus versuchte der Regisseur Nicolas Stemann in die Inszenierung hineinzupacken. Gut, dass das Stück für eine weitere Aufführung im Thalia Theater Hamburg noch bearbeitet wird. Dabei ist der Text eine großartige Herausforderung. Wut über ein Europa, das Flüchtlinge zurückweist, und Verzweiflung über deren ausweglose Situation hat Elfriede Jelinek in einen Text gepackt, der Motive aus einer antiken Tragödie mit der Bildern von Asylsuchenden heute verknüpft.

Die Ertrunkenen von Lampedusa, die Besetzung einer Kirche in Wien durch Flüchtende, der eurokratische Vorschriftendschungel und die heuchlerischen Regeln für ein Miteinander aus einer Broschüre „Zusammenleben in Österreich“ geben dem Text viele Realitätsbezüge.

Das ist gut. Zugleich aber ist es ein artifizieller und imaginierter Text. Es wird immer über Bande gesprochen. Was einer, der in Europa nicht gewollt wird, demjenigen entgegenschleudern könnte, der sich Regeln ausdenkt, ihn fernzuhalten. Und wie der ankommende Migrant, machte er sich denn die Logik derer zu eigen, deren Akzeptanz er sucht, eigentlich nur an seiner eigenen Abschaffung arbeiten kann. Das ist oft ein großer Zynismus, durch den man da hindurchmuss, bis man bei der Empathie ankommt.

Das funktioniert in Stemanns Inszenierung zwar in gewohnter intellektueller Eleganz, solange sich die Schauspieler den Text wie Bälle zuwerfen. Wenn zum Beispiel aus dem Satz, „Der Rassismus hat bei uns keinen Platz“, ein anderer Satz folgt: „Dann muss er halt stehen, der Rassismus“. Und der steht dann in der U-Bahn und beklagt, warum „der Ausländer“ einen Sitzplatz hat. Aber ein Teil der Inszenierung ist ein großer „Flüchtlingschor“, über 20 Personen, in Mannheim kurzfristig gecastet. Dessen Mitspieler sollen nun mit ihren Erfahrungen an den Text andocken. In dem Moment gerät der Rhythmus aus dem Tritt, und statt sich aus vielen Einzelnen zusammenzusetzen wird der Chor zum Bild der Masse.

Ohne Verantwortung

Mal klettern sie über einen Zaun aus Stacheldraht, mal verschließen sie Kapuzen über dem Kopf wie einen Leichensack, zum Schluss betteln sie und umringen die Schauspieler, bis man nichts mehr von denen sieht. Da wird einem doch mulmig, wie Ängste in Bilder umgesetzt werden. Ein verantwortungsbewusstes Dokumentartheater aber sieht anders aus und benutzt die Mitspielenden nicht nur als Authentifizierungsnachweis.

Zwar wird deutlich, dass sich Regisseur und Schauspieler dieser Problematik bewusst sind, aber aus der Klemme sind sie damit nicht. Vor Jelineks Stück hatte der Internetaktivist Jacob Appelbaum zur Eröffnung geredet. Ihm war vor Kurzem der Henry-Nannen-Preis verliehen worden, für investigativen Journalismus und seine Aufklärungsarbeit in der NSA-Affäre.

Dass dieser Preis auf einen Mann zurückgeht, der früher ein Propagandist des Nationalsozialismus war, erschreckte Appelbaum. Er forderte von Deutschland größere Sensibilität gegenüber denen, die es nach dem Willen der Nationalsozialisten nie hätte geben dürfen. Dieser agitatorische Auftakt und Jelineks Furor hätten zusammen einen starken Zündfunken geben können. Doch stattdessen entstand eher der Eindruck, dass die ästhetischen Mittel diesem starken Einbruch von Realität dann doch nicht gewachsen waren.

Das war zum Glück ganz anders in weiteren Produktionen des ersten Wochenendes. Dabei markieren „Riding on a cloud“ von Rabih Mroué aus Beirut und „Tararabumbia“ von Dmitry Krymov aus Moskau zwei extrem unterschiedliche ästhetische Positionen. Mroué ist ein Meister darin, den Anteil der Vorstellungskraft an der Herstellung von Realität stets mitzuerzählen und darin die eigentliche Antriebskraft von Theater auszumachen.

Bei Krymov hingegen hat die Kunst viel von einem Abwehrzauber gegenüber der Gegenwart, die als das nicht Ausgesprochene gespenstisch präsent ist. Ein Stapel Tonkassetten, ein Stapel kurzer Videos, ein Mosaik aus Bildern, Schriften (in Arabisch, Englisch und Deutsch untertitelt), damit erzeugt Yasser Mroué, der Bruder des Theatermachers, etwas, das sich zur Erklärung eines Lebens zusammensetzt. Was dabei zur Sprache wird, ist einmal durch die Sprachlosigkeit hindurchgegangen. Mit 17 Jahren war Yasser fast schon einmal tot, ein Kopfschuss während des Bürgerkriegs im Libanon. Er überlebte, verlor aber einen Teil seiner Sprache und konnte auch Bilder nicht mehr erkennen. Aus dem Misstrauen in die Systeme der Darstellung hat Mroué schon viele seiner Werke gebaut. „Riding on a cloud“ aber ist auch eine Liebeserklärung an den Bruder, an familiäre Bindungen, an die Notwendigkeit, sich die eigene Geschichte wieder und wieder zu erzählen, wenn so vieles um einen herum zerstört wird.

Zärtliche Langsamkeit

Auch dann, wenn diese Geschichte dabei zu einer anderen wird, Fakten und Fiktion nicht zu trennen sind. Die Langsamkeit der Erzählung wird zur Zärtlichkeit, die Einsamkeit von Yasser auf der Bühne zunehmend zu einem Raum, der immer mehr auf ihn zugeschnitten ist. Bild und Text verhalten sich dabei nie illustrativ, sondern stets mit Abweichungen und Interpretationsspielraum. Im Akt des Benanntwerdens verändert sich da jedes Ding ein wenig. Selten erfährt man so luzide, was Sprache mit dem Sprechenden macht und umgekehrt.

In „Tararabumbia“ sind das Theater und die Geschichte auf einem Transportband gelandet. Eine gigantische Parade mit über 80 Beteiligten zieht sozusagen in Supercinemascope vorüber, darunter Kinder und Riesen, Tschechows Schwestern und Duellanten, Synchronschwimmerinnen und Taucher aus der Sowjetzeit. Das Ganze wirkt wie ein surrealistisches Begräbnis erster Klasse, in dem man sehr viele Klischees von dem, was seit hundert Jahren als russisch gilt, bestätigt sieht. Artistik und Slapstick grundieren den Aufmarsch ironisch. Er ist nostalgisch und er ist traurig und irgendwann denkt man, das liegt eben auch daran, dass er nie in der Gegenwart ankommt.

Matthias Lilienthal ist der diesjährige Leiter des Festivals. Er hat auch eine Gruppe Architekturstudenten geholt, die nun um das Theater herum campieren, workshoppen und unter dem Label Shabbyshabby eine Reihe von Behausungen für Festivalbesucher entworfen haben. Oft Hardcore: Aus Abfallcontainern auf dem Marktplatz, aus Drainagenschläuchen gewickelt oder auf Gerüste gestellt, sehen sie oft mehr wie ein Mahnmal gegen Obdachlosigkeit aus denn wie eine kuschlige Unterkunft. Romantisch wirkte davon nur eine Ansammlung aus Regenschirmen, die das Vorderdeck eines Schiffs auf dem Neckar in ein Shabbyshabby-Zimmer umgewandelt haben.

Doch wenn man zuschaut, wer nun alles zu Fuß oder mit dem Rad diese flüchtigen Architekturen erkundet, sieht man, dass eines von Lilienthals Zielen doch funktioniert: Einheimische und Zugereiste auf einen Entdeckungsparcours durch die Stadt zu schicken und sie unerwartete Winkel entdecken zu lassen.

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