„The Underground Railroad“ auf Amazon: Flucht aus der Sklavenhölle
Colson Whiteheads Bestseller„The Underground Railroad“ wurde für Amazon als Serie verfilmt. Es nähert sich dem bis heute nicht verarbeiteten Trauma.
Die Underground Railroad, das sollte man an dieser Stelle gleich zu Beginn noch einmal erwähnen, trug ihren Namen bloß rhetorisch. Tatsächlich verbarg sich hinter dem Begriff ein von Gegnern der Sklaverei betriebenes und im Geheimen operierendes Schleusernetzwerk, das in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts rund 100.000 fliehenden Sklaven aus den amerikanischen Südstaaten in den sicheren Norden und teilweise bis nach Kanada zu bringen vermochte.
Wenn sich nun in der Serie „The Underground Railroad“ – genau wie in Colson Whiteheads mit dem Pulitzer Prize ausgezeichneten Roman, auf dem sie basiert – tatsächlich ein echtes Eisenbahnnetzwerk unterirdisch mit endlosen Tunneln und Schienen über die Südstaaten erstreckt, dann haben wir es hier also mit alternativer Geschichtsschreibung zu tun. Und doch könnte der Blick von Oscar-Gewinner Barry Jenkins, der alle zehn Episoden als Regisseur und Showrunner verantwortet, auf die Ungeheuerlichkeit der Sklaverei kaum realer und wahrhaftiger sein.
Im Zentrum der Geschichte steht die junge Cora (Thuso Mbedu), die – irgendwann in den Jahren vor dem Amerikanischen Bürgerkrieg – auf einer Baumwollplantage von ihrer Mutter zurückgelassen wurde. Trotz der Grausamkeit, die sie tagein, tagaus mit ansehen und nicht zuletzt am eigenen Leib erfahren muss, ist sie zunächst zögerlich, als ihr Caesar (Aaron Pierre) von der Underground Railroad erzählt.
Doch weil der Sadismus des neuen Plantagenbesitzers (Benjamin Walker), der seine Sklav*innen nicht nur behandelt wie Vieh, sondern sogar persönlich überwacht, dass genug Nachwuchs gezeugt wird, keine Grenzen zu kennen scheint, lässt sie sich schließlich zur Flucht bewegen.
Das Trauma der Sklaverei
Schnurgerade in die Freiheit verläuft ihr Weg nicht; wo immer Cora ankommt, warten auch jenseits der Sklaverei Brutalität und Gefahren auf sie. In South Carolina wird ihr zwar das Lesen beigebracht, doch im Museum müssen die Schwarzen die Unterdrückung, der sie gerade entkommen sind, nachspielen und sich Eugenik-Experimenten unterziehen.
„The Underground Railroad“ ist ab dem 14. Mai auf Amazon Prime Video verfügbar.
In North Carolina sind Schwarze gleich gar nicht erst erlaubt und werden an den Bäumen am Wegrand aufgehängt. In Tennessee brennen die Felder, als Vorboten des nahenden Krieges, während sich Indiana als Utopie (oder doch eher Illusion?) inklusive von freien Schwarzen betriebener Farmen präsentiert. Und stets sind ihr der Sklavenjäger Ridgeway (Joel Edgerton) und sein elfjähriger Schwarzer Handlanger Homer (Chase W. Dillon) auf den Fersen.
Jenkins orientiert sich an der episodischen Struktur von Whiteheads Roman, die sich bestens eignet für ein serielles Erzählen, doch er nimmt sich auch Freiheiten heraus, nicht nur gegenüber der Vorlage, sondern auch was die Länge der einzelnen Folgen angeht. Die meisten sind über eine Stunde lang, doch es gibt auch ein 20-minütiges Intermezzo, das sich einer Nebenfigur widmet, die bei Whitehead gar nicht vorkam. Die Serie in einem Rutsch zu bingen, ist möglich, aber nicht empfehlenswert: Zu dicht ist die Erzählung, zu atemberaubend die Bildgestaltung (Kamera, wie immer bei Jenkins: James Laxton), als das man nicht jede Folge nachwirken lassen will. Und zu unerträglich ist immer wieder das Gezeigte.
Gerade weil er ein leicht verzerrtes Spiegelbild der US-amerikanischen Geschichte präsentiert, wird Jenkins’ Blick besonders klar und eindringlich. Letzteres zeigt sich eindrucksvoll auch in einem begleitenden Kurzfilm mit dem Titel „The Gaze“, den Jenkins auf der Plattform Vimeo präsentiert. Wortlos setzt er uns dort dem Blick all jener (von Statisten verkörperten) Menschen aus, deren Geschichten in der Serie nicht erzählt werden und doch untrennbar damit verknüpft sind.
Dem bis heute nicht verarbeiteten Trauma der Sklaverei kommt „The Underground Railroad“ – übrigens auch durch herausragende Schauspielleistungen – mit seiner Konzentration auf die Gesichter und den mitunter unerwarteten narrativen Aufbau näher als es selbst einem Film wie „12 Years a Slave“ gelungen ist. Und ist dabei spannender und entsetzlicher als dezidierte Horrorserien wie „Them“ oder „Lovecraft Country“, die den menschenverachtenden Umgang mit Schwarzen Menschen in den USA vor allem als Genre-Elemente zu nutzen schienen.
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