piwik no script img

„The Rocky Horror Drag Show“ in BerlinSie feiern sich, wie sie sind

„The Rocky Horror Drag Show“ heißt der neue Hit des RambaZamba Theaters. Dieser aktualisiert, verfremdet und queert – im besten Sinne – die Vorlage.

Rocky und Frank N. Furter: Vorlage und Inszenierung, Drag-Performance und Geschlechterrollen, alles verschwimmt Foto: Katrin Ribbe

Berlin taz | Mit der Dunkelheit senkt sich auch die Leinwand im Saal des RambaZamba Theaters, in dem das Publikum um einen Catwalk herum Platz genommen hat. Statt Patricia Quinns legendären roten Lippen erscheint hier ein anderer, leicht glitzernder Kirschmund auf dem Schwarz der Projektion. Im Verlauf des Abends wird er sich als der der Dragqueen Judy LaDivina herausstellen, zu dem sich die Lippen von weiteren Dar­stel­le­r*in­nen gesellen werden.

Und die werden gemeinsam „Science Fiction Double Feature“ lip-syncen, während visuell ganz nah am Originalvorspann die Credits des folgenden Abends über die Saalwand flimmern: Die „Rocky Horror Drag Show“ hat begonnen und wird sich im Verlauf des Abends immer mehr von der prominenten Vorlage entfernen, diese aktualisieren, verfremden, im besten Sinne queeren – denn ja, auch das geht.

Ursprünglich als Musical unter dem Namen „The Rocky Horror Show“ 1973 von Richard O’Brian im Londoner Royal Court Theater uraufgeführt, wurde die 1975 erstmals vorgeführte Kinovariante mit später prominenter Besetzung (unvergessen Susan Sarandon im Unterrock) nach anfänglichem Kassenflopp schnell zu einem internationalen Underground-Kulturhit, bei welchem häufig das gesamte Publikum in einer Art Laiendarsteller*innen-Performance mitmachte.

Bernd und Janet

Nur logisch, dass auch im RambaZamba Theater erst mal der Tanzklassiker „Time Warp“ zum gleichnamigen Song erklärt wird – und – bis auf den eifrig schreibenden Kritiker in der zweiten Reihe – bei der Premiere tatsächlich nach dem üblichen anfänglichen Zögern, das jedwede Art theatralischer Partizipation begleitet, alle mitmachen, die körperlich dazu in der Lage sind.

Doch zuvor wird geheiratet, denn auf der Hochzeit verloben sich die konservativen Verliebten Brad (in diesem Fall Bernd) und Janet. Auch im Theater geschieht das auf einer Filmaufnahme, hier allerdings – sehr lustig – mithilfe von amateurhafter Animation.

Statt Reis wird erst mal Shade (wie die öffentlichen Sticheleien in der Ballroom-Szene heißen) gestreut, wenn Dragqueen Bibingka in der Rolle der Magenta das Publikum begrüßt: „Wie schön, dass alle so schön gekommen sind. Judging by your outfits it looks like you’re familiar with the genre of horror.“

Aus Biesenthal nach Berlin

Und dann geht es los. Bernd und Janet verirren sich aus Biesenthal kommend im lauten Berlin auf der Suche nach ihrem Freund und ehemaligen Professor Doctor Scott ins Schloss von Dr. Frank N. Furter, gespielt von der Berliner Drag-Legende Judy LaDivina. Dort feiert eine hedonistische Truppe Außerirdischer vom Planeten Transsexual in der Galaxie Transylvania ein rauschendes Fest.

Frank begrüßt die beiden, die verstört doch eigentlich nur telefonieren wollen. Insbesondere die eher zart besaitete Janet ist zunächst verschreckt von der eingeschworenen Gemeinde Andersartiger, jedoch später auch offensichtlich beeindruckt von Rocky, dem perfekten Menschen (der ihr einen wirklich meisterhaft gespielten Orgasmus verschaffen wird), erschaffen von Dr. Furter.

Der beherrscht ganz wie im Original den Abend, das Schloss, seine Kreaturen und das Publikum, während die Grenzen zwischen Vorlage und Inszenierung, Drag-Performance („You can call me Mother“), Schauspielervorbild, irgendwelchen vierten Wänden, Geschlechterrollen, Normativem, Körperbildern, Realität und diversen Ebenen der Fiktion verschwimmen – der ausgeschenkte Schnaps, der für die Volljährigkeits-Altersgrenze der Veranstaltung verantwortlich ist, trägt sein Übriges dazu bei.

Weiche Gefühle im Magen

Während man also zuschaut und mitmacht, mitlacht, mitleidet und so ganz in diesem wilden, glitzernden, glamourösen Abend versinkt, der durchbrochen von neuen Elementen wie Voguing-Contests, Songs von Gloria Gaynor, Sia, Cobrah und anderem später doch anders enden wird, als man es aus dem Original erwartet, machen sich ein paar weiche, diffuse Gefühle im Magen breit. Da ist in dieser Inszenierung von Jakob Höhne eine ganz rohe, im wörtlichsten Sinne liebevolle Form der Anrührung, über diese Bereitschaft der Gemeinschaft, sich zu feiern, genauso wie man ist.

Eine bedrückende, kloßige Trauer über die Erkenntnis, dass die Vorlage dieses Stückes schon seit 50 Jahren zum popkulturellen Gedächtnis unserer Zeit gehört, und darüber, wie wenig sich eigentlich seitdem geändert hat – oder wie es sich zumindest gerade so anfühlt. Und eine perfide aufkeimende Angst vor den trans- und homophoben, den ableistischen und misogynen Tendenzen dieser Zeit und davor, dass diese fantastischen Räume der grenzenlosen Freiheit vielleicht irgendwann weniger frei sein könnten.

Doch dann reißt einen der frenetische Applaus aus den Gedanken, als Rocky die Schlussworte spricht: „Jetzt bin ich Chefin: ich bin erst zwei Stunden alt. Ich vertraue nur auf mich selbst und meinen Orgasmus.“ So soll es sein.

Gemeinsam für freie Presse

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Alle Artikel stellen wir frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade in diesen Zeiten müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass kritischer, unabhängiger Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare