Texter der Kult-Hymne mit NS-Historie: „Das Herz von St. Pauli“ aus dem Stadion verbannt
Der FC St. Pauli beansprucht eine antifaschistische Haltung im Fußball. Jetzt kam die NS-Vergangenheit ihres Hymnen-Texters ans Licht. Und nun?
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Erklingt bei Heimspielen des Fußball-Erstligisten FC St. Pauli (FCSP) vor Anpfiff die Melodie von „Das Herz von St. Pauli“, singt das ganze Stadion mit. Der Moment, in dem die Kult-Hymne nur noch von den Stimmen der fast 30.000 Fans getragen wird, sorgt bei vielen immer wieder für Gänsehaut. Doch zumindest vorerst wird das Lied im Stadion nicht mehr zu hören sein – wegen der NS-Vergangenheit des Texters. Das teilte die Vereinsführung am vergangenen Freitag mit. Bereits beim Heimspiel gegen den SC Freiburg am Samstag fehlte der Song.
Innerhalb des Vereins und unter Fans entbrannte in der vergangenen Woche eine Debatte darüber, wie weiter mit dem Lied umgegangen werden soll. Hintergrund ist eine Recherche des FCSP-Museums zur Entstehung des Liedes, die im Podcast „FCSP-Geschichte(n)“ veröffentlicht wurde. Interpret Hans Albers und Komponist Michael Jary machten in der NS-Zeit Karriere und standen auf der „Gottbegnadeten-Liste“ des Propagandaministeriums. Im Fokus steht aber besonders die Biografie des Texters Josef Ollig.
Ollig war ab 1929 Journalist bei den Hamburger Nachrichten, einer nationalkonservativen Zeitung, die bereits damals recht offen die NSDAP unterstützte. Später war Ollig Soldat der Wehrmacht und schrieb als Kriegsberichterstatter für verschiedene NS-Propagandamedien menschenverachtende Texte. 1940 wurde er zur Luftwaffe eingezogen, nahm 1941 am Feldzug gegen die Sowjetunion teil. Von seinen Vorgesetzten in der Wehrmacht wurde er für seine Arbeit gelobt und erhielt das Eiserne Kreuz zweiter Klasse, später auch das Sturmabzeichen aller Klassen.
Unbehagen, das Lied weiterhin zu spielen und zu singen
Wer sich dieser Tage mit Fans des FC St. Pauli unterhält oder in die Kommentarspalten schaut, bekommt das Unbehagen vieler mit, das Lied weiterhin zu spielen und zu singen. Für sie ist die NS-Vergangenheit von Josef Ollig nicht mit den Werten des Clubs vereinbar, der für sich stets eine antifaschistische Haltung im Fußball beansprucht. Künstler*in und Kunstwerk sind für sie nicht voneinander zu trennen.
Oke Göttlich, Präsident des FC St. Pauli
Andere argumentieren, dass das Lied heute vor allem mit dem FC St. Pauli verbunden würde und deshalb auch vor allem für dessen Werte stehe. Man habe sich das Lied gewissermaßen angeeignet. Inhaltlich ist der Song durchaus lokalpatriotisch, die Zeilen könnten aber auch als Betonung der Identität als Stadtteilverein gesehen werden. Verfasst wurde es nach Kriegsende, beim FC St. Pauli läuft seit rund 20 Jahren eine Punkrock-Version von Phantastix & Elf.
Dass die Debatte über „Das Herz von St. Pauli“ erst jetzt aufkommt, liegt wohl daran, dass der Ursprung der Hymne lange nicht wirklich bekannt war. „Josef Ollig hat unter mindestens zwei Pseudonymen veröffentlicht“, sagt Celina Albertz, die Urheberschaft des Liedes und Biografie Olligs für das FCSP-Museum recherchiert hat. „Ich verstehe, dass es für viele ein emotionales Thema ist. Bis auf einige Ausreißer habe ich die Diskussion aber als sehr konstruktiv wahrgenommen“, sagt sie.
Auch der Verein möchte weiter in den Austausch mit den Fans gehen. Die Entscheidung, den Song vorerst nicht abzuspielen, wurde mit Fangruppen und dem FCSP-Museum getroffen. „Wir wissen und verstehen absolut, dass das Lied für viele Menschen eine sehr große emotionale Bedeutung hat“, betonte Vereinspräsident Oke Göttlich die Tragweite dieser Entscheidung. Man wolle eine möglichst fundierte Grundlage schaffen und keine vorschnellen Entscheidungen treffen, was aber auch kein „Weiter so“ bedeute.
Diese Grundlage soll mit einer wissenschaftlichen Dokumentation des Lieds und der NS-Vergangenheit Josef Olligs durch das Vereinsmuseum geschaffen werden. Außerdem ist eine Veranstaltung in Zusammenarbeit mit dem Fanladen und dem Museum geplant, bei der man die Ergebnisse vorstellen und den Austausch fortführen möchte. Erst danach solle es eine endgültige Entscheidung über den Umgang mit dem Lied geben.
Der Unterstützung der Fans bei der 0:1 Niederlage gegen den SC Freiburg hat das Fehlen der Hymne keinen Abbruch getan. Als Vereinspräsident Oke Göttlich vor Anpfiff dem Stadion die Entscheidung erklärte, gab es wenige Buhrufe und überwiegend zustimmenden Beifall. Göttlich betonte, dass man nun besonders in Zeiten des akuten Rechtsrucks weiter in die Diskussion gehen möchte.
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