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Terrorgefahr Derzeit arbeitet sich die deutsche Politik wieder am Verbot der kurdischen PKK ab – neuerdings darf nicht einmal mehr das Konterfei ihres inhaftierten Führeres Abdullah Öcalan gezeigt werden. Dabei droht die Gefahr womöglich von der anderen Seite – das zeigt der Fall des kurdischen Aktivisten Yüksel KoÇaus Bremen, der auf einer Todesliste stand ▶Schwerpunkt SEITE 43–45Wer hat Angst vor der PKK?

von Christian Jakob

Es ist erst wenige Tage her, da zeigte sich, dass die arg strapazierte Partnerschaft zwischen der Türkei und Deutschland sehr wohl noch funktioniert – jedenfalls wenn es gegen die Kurden geht: Kurz vor dem anstehenden Verfassungsreferendum erfüllte die Bundesregierung dem türkischen Ministerpräsidenten Erdoğan einen seiner wichtigsten Wünsche.

Per Brief an die Länder erklärte das Bundesinnenministerium, dass künftig weitere Symbole kurdischer Organisationen nicht mehr gezeigt werden dürfen. Darunter fallen Fotos des inhaftierten PKK-Chefs Abdullah Öcalan, aber auch Fahnen von in Deutschland legalen Kurdenorganisationen wie den syrischen „Volksverteidigungseinheiten“ YPG, der syrischen Kurdenpartei PYD oder dem kurdischen Studierendenverband in Deutschland YXK. Sie sollen verboten sein, weil die PKK sich dieser „bedient, um propagandistisch auf ihre Ziele hinzuweisen“.

Hêvîn Tekin vom Studierendenverband YXK fürchtet, dass sich das „Symbol- zu einem Betätigungsverbot ausweiten“ könnte. „Die Kurden sollen mundtot gemacht werden“, sagte Yavuz Fesoglu vom kurdischen Dachverband Nav Dem. Er sprach von einem „Einknicken Deutschlands vor dem Erdoğan-Regime, ein Treuebeweis, für den die Kurden geopfert werden.“

Dabei war die Stimmung vor einiger Zeit noch eine ganz andere gewesen. Der Feldzug der Dschihadistenmiliz „Islamischer Staat“ hatte für die lange als mafiös und stalinistisch verrufenen Kurdenorganisationen einen Wendepunkt gebracht. Im Herbst 2014, kurz bevor er ermordet wurde, hatte Stefane Charbonnier, Chefredakteur der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo geschrieben: „Ich bin heute Kurde.“ Die belagerten Kurden in Syrien seien „die Menschheit, die sich der Finsternis widersetzt“. Sie seien „das einzige Bollwerk gegen den Vormarsch des ‚Islamischen Staates‘ und damit „verteidigen sie uns alle“.

Der CDU-Fraktionsvorsitzende Volker Kauder dachte zur selben Zeit laut darüber nach, die PKK mit deutschen Waffen auszurüsten und wurde von SPD und Grünen daran erinnert, dass seine eigene Partei die Kurdenorganisation 1993 verboten hatte. Die USA nahmen diplomatische Beziehungen mit der kurdisch dominierten syrischen Autonomieregion Rojava auf und bombardierten gleichsam auf Bestellung der PKK IS-Einheiten. Die EU erwog, die PKK von ihrer Terrorliste zu streichen.

Die Selbstverwaltung der Region Rojava wurde zum Bezugspunkt linker Solidarität. Sie galt vielen nicht nur als Chiffre für den Kampf gegen den IS, sondern auch als das einzige annehmbare Gesellschaftsmodell der völlig im Chaos ethnisch-religiöser Konflikte versinkenden Region. In Deutschland starteten gleich drei Kampagnen, um Geld für „Waffen für Rojava“ zu beschaffen – fast wie in den Hochzeiten der Sandinista-Sympathisanten.

Wie viele Guerrillas stand auch die Kurdenpartei gut zwei Jahrzehnte lang für nationale Befreiung im Zeichen des Marxismus-Leninismus. Der Wiener Politikwissenschafter Thomas Schmiedinger, Autor von „Krieg und Revolution in Syrisch-Kurdistan“, beschreibt, wie die PKK Ende der 1970er-Jahre in Ankara als Projekt radikal linker kurdischer Studierender entstand. Sie blickten mit Verachtung auf die rückständigen Tribalstrukturen der kurdischen Landbevölkerung und hatten für Revolutionskonzepte wie das einer maoistischen „Bauernguerilla“ nichts übrig.

Kurdistan galt der Gruppe um den Parteigründer Abdullah Öcalan als vom Imperialismus beherrschte Kolonie. Ihren Auftrag sahen sie demnach in der antikolonialen Befreiung. Im November 1978 gründeten sie in einem Dorf nahe der südosttürkischen Metropole Diyarbakir die PKK: eine kurdisch-nationalistische, autoritäre, zentralistische Kaderpartei. An diesem Charakter sollte sich zwei Jahrzehnte nicht viel ändern.

In der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre eskalierte die Konfrontation mit der türkischen Armee. Die PKK griff Polizeiposten und Armeeeinrichtungen an, der Staat antwortete mit einem Entvölkerungsfeldzug in den als PKK-Rückzugsräume geltenden kurdischen Regionen.

Nach der vom US-Heimatschutzministerium finanzierten Start-Forschungsstelle an der Universität von Maryland summiert sich die Zahl der militanten Aktionen der PKK auf bis zu 1.890. Die Partei verübte ihre Anschläge demnach vor allem während der Hochphase des Krieges in der Südosttürkei in den 1990er-Jahren.

Der Konflikt forderte 21.400 zivile Opfer, der frühere Amnesty-International-Rechercheur Helmut Oberdiek rechnet davon zwischen 1.990 und 2.000 rund 800 der PKK zu. Die Türkische Stiftung für wirtschaftliche und soziale Studien schätzt, dass die türkische Armee bis zu 1,2 Millionen Kurden gewaltsam vertrieben und dabei Tausende Dörfer zerstört hat.

Die Bundesrepublik unterstütze den Krieg der Türkei gegen die Kurden unter anderem mit Panzerlieferungen. Hierzulande sind etwa 240 Aktionen der PKK bekannt, meist gegen Geschäfte von Türken. Etwa 100 Menschen wurden insgesamt verletzt. Am 26. November 1993 unterbrach das türkische Fernsehen sein Programm für eine Meldung: Mit „tiefer Befriedigung“ habe die türkische Regierung das Verbot der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und deren Nebenorganisationen in Deutschland zur Kenntnis genommen. Am Morgen des Tages hatte der damalige Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) am Rande der Innenministerkonferenz im sächsischen Oybin das Verbot verkündet.

Nach einem Besuch des damaligen Berliner Innensenator Heinrich Lummer (CDU) bei Öcalan nannte dieser die Militanz in Deutschland einen „Fehler“. Die Führung der PKK schrieb dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) einen Brief und kündigte das Ende der gewalttätigen Auseinandersetzungen in Deutschland an. Der damalige Generalbundesanwalt Kay Nehm stufte die Führungsriege der PKK 1998 nicht mehr als terroristische, sondern – unter anderem wegen Schutzgelderpressung – nur noch als kriminelle Vereinigung ein.

Und heute?

Für die Verstrickung der PKK in kriminelle oder mafiöse Geschäfte in Europa gibt es keine Belege – das hat das Bundesinnenministerium (BMI) Ende November 2014 auf eine Anfrage der Grünen Bundestagsfraktion erklärt. „Organisierte Kriminalität, Drogen- oder Menschenhandel, Geldwäsche, Zwangsprostitution und andere Delikte in Deutschland oder der EU“ seien „nicht Gegenstand der Strafverfolgung“ der PKK gewesen.

Die deutschen Behörden gehen davon aus, dass die PKK in Deutschland heute 13.000 Mitglieder hat, aber einen wesentlich größeren Teil der über eine halbe Million in Deutschland lebenden Kurden mobilisieren kann. Gemeinsam mit ihren – teils legalen – Vorfeldorganisationen ist sie damit die wichtigste, wenn auch nicht die einzige politische Vertretung der KurdInnen. Neben Kundgebungen, kulturellen und politischen Veranstaltungen sowie politischer Lobbyarbeit bestehen ihre Aktivitäten vor allem aus Rekrutierung und Finanzbeschaffung, so sieht es der Verfassungsschutz.

Über die Geburtder PKK Kurdistan galt der Gruppe um den Parteigründer Abdullah Öcalan als vom Imperialismus beherrschte Kolonie. Ihren Auftrag sahen sie demnach in der antikolonialen Befreiung

Erdogan hat den Friedensprozess aufgekündigt, die türkische Armee hat kurdische Städte im Südosten des Landes dem Erdboden gleichgemacht. Öcalan hat im Gefängnis einen ideologischen Schwenk vollzogen. Er propagiert den Frieden, schwor dem Separatismus ab und präsentierte eine von nordamerikanischen Öko-Anarchisten inspirierte neue Ideologie, den „Demokratischen Konföderalismus“. Dieser sieht regionale Selbstverwaltung nach einem Rätesystem vor. Die PKK-nahen syrischen Kurdenorganisationen versuchen, die Autonomieregion Rojava nach diesem Prinzip zu verwalten, was allerdings wegen des anhaltenden Bürgerkriegs nur halbwegs Erfolg hat – statt Räten haben oft Milizen das letzte Wort.

Offiziell halten die großen Kurdenorganisationen ausnahmslos an Öcalan fest. „Die PKK und Abdullah Öcalan führen den Kampf der Kurden um Anerkennung“, sagt etwa Yavuz Fesoglu vom größten kurdischen Dachverband NavDem in Deutschland. „Die Kurden haben immer wieder gezeigt, dass sie dazu stehen.“ Es sei zutreffend, dass die PKK „von Gewalt Gebrauch macht, aber ihre Bestrebungen sind auf Frieden gerichtet.“ Es sei die Türkei, die den Friedensprozess „immer wieder ausgeschlagen und auf Krieg gesetzt hat.“

Tatsächlich hat an der Parteibasis deshalb eine Radikalisierung eingesetzt. „Die Frage ist, ob die Parteidisziplin, die es immer noch gibt, auf Dauer aufrecht erhalten werden kann oder mehr Gruppen wie die ‚Freiheitsfalken Kurdistans’, die eine extremistischere Militärstrategie an den Tag legen,“ sagt der Wiener Kurdenforscher Thomas Schmiedinger. Anders als der fast schon altersmilde Öcalan mit seiner post-etatistischen Rätedemokratie vertrete die TAK eine „wesentlich nationalistischere Linie, die eine „teilweise von Blut und Boden Idelohoe triefende Sprache verwendet“, sagt Schmiedinger.

Die PKK selbst sei nach wie vor bewaffnet, habe aber auf Gewalt gegen zivile, weiche Ziele verzichtet – anders als die TAK, deren Verhältnis zur PKK ungeklärt sei. Für die TAK, die in der jüngsten Zeit in der Türkei auch zivile Ziele angegriffen habe, gebe heute deutlich größere Sympathien als noch vor zwei oder drei Jahren. „Immer mehr junge Kurden sagen: Wenn die Türkei das kurdische Kernland in Schutt und Asche legt, dann müssen wir den Türken zeigen, was Krieg heißt“, sagt Schmiedinger.

Die PKK hat sich zwar von der TAK distanziert, es werde ihr aber vorgeworfen, dies nur halbherzig getan zu haben, so Schmiedinger. Die PKK-Führung sagt, sie wisse nicht, wer die TAK-Attentäter seien, der türkische Staat hingegen hält die TAK für eine Untergruppe der PKK. „Manche Kurden sehen das genauso, andere sagen, die TAK seien eine Abspaltung, wieder andere glauben, die TAK sei geheimdienstlich unterwandert, um die kurdische Sache zu diskreditieren“, so Schmiedinger.

Fest steht: Auch die TAK bezieht sich positiv auf Öcalan, sie hat ihn nie offen in Frage gestellt.

Von Öcalan selbst ist seit einiger Zeit nichts mehr zu hören. Die Anwaltsbesuche sind stark eingeschränkt. Zuletzt hat der Kurdenführer sich aus seiner Zelle im März 2015 geäußert. Die Kämpfe im Osten der Türkei waren da eskaliert. Öcalan hatte zu einem neuen Friedensprozess aufgerufen. Erdogan interessierte das nicht. Viele Kurden glauben jetzt an eine weitere Eskalation: Geht das Referendum am 16. April im Sinne Erdogans aus, wird in der Türkei Todesstrafe wieder eingeführt, fürchten sie. Und der erste Kandidat werde sein: Abdullah Öcalan.

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