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Terroranschlag von HanauLetzte Chance für Aufklärung

Die Ermittlungen zum Anschlag von Hanau wurden eingestellt. Nun versuchen es die Eltern von Opfer Hamza Kurtović mit einer Klageerzwingung.

Graffito in Frankfurt am Main zum Gedenken an die Opfer des rassistischen Mordanschlags vom 19. Februar 2020 in Hanau Foto: Peter Juelich/imago

Frankfurt am Main taz | Es ist ein letzter Versuch, noch Aufklärung zu erzwingen. Die Eltern des am 19. Februar 2020 ermordeten Hamza Kurtović, Armin und Dijana Kurtović, haben am vergangenen Montag beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main ein Klageerzwingungsantrag eingereicht. Die etwa 700 Seiten umfassende Klageschrift liegt der taz vor und richtet sich wegen fahrlässiger Tötung gegen den Betreiber der Arena Bar sowie gegen kommunales Verwaltungspersonal der Stadt Hanau, mehrere Polizeibeamte, den damaligen hessischen Innenminister Peter Beuth, den Polizeipräsidenten des Polizeipräsidiums Südosthessen, Roland Ullmann, den damaligen Leiter der Polizeidirektion Main-Kinzig, Jürgen Fehler, und den Leiter der Abteilung Einsatz, Claus S.

Zuvor waren alle Ermittlungen zum Hanau-Attentat von der zuständigen Staatsanwaltschaft eingestellt worden. Bei dem Anschlag tötete ein rechtsextrem motivierter Täter unter anderem in zwei Lokalen neun Menschen, danach seine Mutter und sich selbst. Ein Klageerzwingungsverfahren ermöglicht Betroffenen, über einen gerichtlichen Beschluss doch noch Anklage zu erheben oder weitere Ermittlungen zu forcieren. Der Antrag auf Klageerzwingung fokussiert sich nun erneut auf die verschlossene Notausgangstür der Arena Bar und die Nichterreichbarkeit des Polizeinotrufs.

Laut Klageschrift soll die Tür am Abend des Anschlags und auch zuvor verschlossen gewesen sein, sodass sich die Opfer nicht in Richtung Notausgang bewegen konnten. Behörden hatten bereits vor dem Anschlag mehrfach Mängel in der Arena Bar festgestellt, darunter auch den verschlossenen Notausgang. Ein weiterer Punkt der Klageerzwingung betrifft den Polizeinotruf. Der Ermordete Vili Viorel Păun versuchte am Tatabend mehrfach, die Polizei telefonisch zu erreichen, um die Flucht des Attentäters zu melden.

Dijana Kurtovic, fotografiert am 6. Feburar 2025 in Hanau Foto: Ben Kilb

Trotz fünf Anrufversuchen, wobei er sich zweimal vertippte, kam kein Notruf durch. Păun verfolgte den Täter in seinem Auto und wurde schließlich in seinem Fahrzeug erschossen. Anschließend tötete der Attentäter noch fünf weitere Menschen. Die Klageschrift führt aus, dass die Nichterreichbarkeit des Notrufs auch auf strukturelle Fragen und länger bekannte Probleme der Notrufzentralen zurückzuführen sei. Demnach hätte ein erfolgreicher Notruf möglicherweise einen besseren Polizeieinsatz ausgelöst oder zumindest Păun davon abgehalten, den Täter weiterzuverfolgen und sich damit selbst zu gefährden.

Chancen eher gering

Laut der beantragten Klageerzwingung bedürfen die bisherigen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft einer weiterführenden Prüfung. Die Anwälte der Familie Kurtović argumentieren, dass bei der Prüfung der fahrlässigen Tötung der Zusammenhang zwischen bestimmten Umständen, etwa der Notausgangssituation oder der Erreichbarkeit des Notrufs, und den Todesfällen näher betrachtet werden sollte. Zudem seien nicht alle relevanten Beweismittel ausgeschöpft und neuere Erkenntnisse beispielsweise auch des Untersuchungsausschusses in die Ermittlungen einzubeziehen. Schließlich seien nicht alle potenziell strafrechtlich relevanten Aspekte berücksichtigt worden.

Armin Kurtovic, der Vater des Ermordeten Foto: Ben Kilb

Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Hanau zum Notausgang wegen fahrlässiger Tötung wurden im Februar 2025 eingestellt. Bereits 2021 und 2023 hatte es die Staatsanwaltschaft abgelehnt, weitere Ermittlungen aufzunehmen. Nun muss das Gericht entscheiden, ob die Einstellung rechtmäßig war. In der Regel sind Klageerzwingungsverfahren eher selten erfolgreich.

Gerichtssprecherin Gundula Fehn-Böer teilte mit, dass der Senat der Generalstaatsanwaltschaft eine Frist von zwei Monaten zur Stellungnahme gegeben hat. Mit einer Entscheidung rechne man danach aber erst „in einigen Monaten“. Gegen eine Entscheidung des Oberlandesgerichts wäre keine Beschwerde zulässig.

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1 Kommentar

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  • Am 19.02.2025 ist Verjährung in allen erdenklichen Straftaten eingetreten. Ein Klageerzwingungsverfahren hat bereits deshalb keine Aussicht auf Erfolg.

    Alle anderen - bereits mehrfach besprochenen - Gründe (insbesondere fehlende Kausalität) sind zwischenzeitlich belanglos.

    Eine Stellungnahme der Staatsanwaltschaft braucht nicht mehr als eine Seite und ist in maximal 10 Minuten geschrieben.