Terror in Afghanistan: Angst vor dem nächsten Ausbruch
Zwei verheerende Anschläge haben Kabul erschüttert. Außerdem eskaliert der Streit um einen Leichnam aus dem Jahr 1929.
Bereits am Nachmittag hatte es zwei Angriffe auf das afghanische Verteidigungsministerium gegeben. Offiziellen Angaben zufolge wurden dabei mindestens 35 Menschen getötet und über 100 verletzt. Im Gegensatz zum nächtlichen Angriff bekannten sich die afghanischen Taliban zu der Attacke. Ziel seien hochrangige Sicherheitskräfte gewesen. Unter den Todesopfern befanden sich ein General, führende Polizeichefs sowie zwei Leibwächter des afghanischen Präsidenten.
Doch zurzeit sorgen nicht nur die Taliban für Unruhe in Kabul. „Wir hatten schon überlegt, ob wir uns mit Nahrungsmittelreserven eindecken sollen. Niemand wusste, ob daraus nicht noch ein Blutbad wird“, berichtet Mustafa. Er betreibt nahe der Ruine des berühmten Dar-ul-Aman-Palastes einen Obststand. Er bezieht sich auf einen Vorfall in der vergangenen Woche zwischen tadschikischen Milizen und den usbekischen Kämpfern des Kriegsherrn und afghanischen Vizepräsidenten Abdul Raschid Dostum.
Im Zentrum des Konflikts stand der Leichnam von Habibullah Kalakani. Kalakani hatte 1929 den modern geprägten König Amanullah gestürzt und zehn Monate lang in Kabul geherrscht. Danach ergriff die paschtunische Machtelite wieder die Macht und exekutierte ihn.
Mehrere tadschikische Warlords aus dem Norden waren letzte Woche mit ihren Milizen aufmarschiert, um Kalakani, der ebenfalls aus dem Norden stammte, zeremoniell auf einem zentral gelegenen Hügel in Kabul zu begraben. Dostums Kämpfer wollten dies verhindern. Der usbekische Vizepräsident hatte schon zuvor angekündigt, Kalakanis Bestattung nicht zu dulden. Einige Gräber auf dem Hügel gelten als wichtiges usbekisches Kulturgut.
Streit um einen toten König
Im Laufe der Konfrontation wurde mindestens eine Person getötet. Obwohl die Bestattung Kalakanis letztendlich stattfand, weckte der Streit am Friedhofshügel bei vielen Afghanen dunkle Erinnerungen. In den 1990er Jahren hatten Warlords, die zuvor gegen die Sowjets und ihr Regime gekämpft hatten, schon einmal Kabul zerstört. „Aufgrund eines toten Mannes hätten sie fast eine weitere Eskalation riskiert, die abermals vielen Menschen das Leben gekostet hätte“, meint etwa Hadschi Salim, der nahe des Hügel lebt.
„In diesem Land schert man sich mehr um einen toten König als um all die namenlosen Menschen, die täglich durch solche Angriffe getötet werden“, meint er wütend. Ähnlich empört ist Mustafa, der für die jetzige Situation vor allem die Regierung verantwortlich macht: „Hier macht doch jeder, was er will. Die Regierung hat überhaupt nichts zu sagen und kann nicht einmal in Kabul für Sicherheit sorgen. Und dann wundert man sich, dass so viele Menschen ins Ausland fliehen?“
Die Kritik an der „Regierung der nationalen Einheit“ von Präsident Aschraf Ghani und Regierungschef Abdullah Abdullah ist derzeit besonders groß. In Kabul sind viele der Meinung, dass die internen Querelen zwischen den beiden Politikern weiter im Vordergrund stehen, während die Gewalt auch in der Hauptstadt zunimmt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!