Territorialreform in Frankreich: Die Sortierung der Landkarte
Die Zahl der Regionen in Frankreich soll von 22 auf 15 reduziert werden - das findet bei den lokalpatriotischen Franzosen nicht nur Freunde.
PARIS taz Mitunter werden die Franzosen ihrem Ruf gerecht, Lokalchauvinisten zu sein. Als die Regierung auf den neuen Fahrzeugnummernschildern den Hinweis auf das Departement entfernen wollte, löste sie damit einen Sturm des Protests in der Provinz aus und musste schnell zurückbuchstabieren. Nun steht auf den Kennzeichen nicht nur weiterhin eine Zahl, die auf das Departement hinweist, sondern auf Wunsch des Automobilisten auch noch ein entsprechendes Logo. An ihrer territorialen Ordnung, vor allem an den aus der Zeit der Revolution datierenden Kantonen und den hundert Departements, hängen die Franzosen. Sie sind nicht aus Prinzip gegen eine Vereinfachung, der Teufel steckt im Detail.
Damit ist auch die von Präsident Nicolas Sarkozy eingesetzte Kommission unter Führung des früheren Premierministers Edouard Balladur konfrontiert, die mit einer Modernisierung der Gebietskörperschaften beauftragt wurde. Die zwanzig Vorschläge, die sie am Donnerstag machen wird, sind bereits bekannt. Die drei der folgenreichsten Änderungen stießen sofort auf Widerstand.
Die von Sarkozy gewünschte Verringerung der Zahl der bisher 22 Regionen auf 15 von "europäischer Dimension" ist an und für sich unbestritten. Laut Umfragen ist auch eine Mehrheit dafür, dass die Regionen mehr Kompetenzen erhalten. Der Streit beginnt, wenn auf der heutigen Landkarte der Rotstift angesetzt wird. So plant die Balladur-Kommission, die Bretagne um das Gebiet Loire-Atlantique zu erweitern, was kurioserweise einer alten Forderung der bretonischen Regionalisten entspricht. Die bisherige Region Rhône-Alpes rund um Lyon soll samt Savoyen mit der mittelfranzösischen Auvergne zusammengelegt werden. Warum nicht mit der südlichen Provence? Ganz von der Landkarte verschwinden sollen dagegen die historische Provinz der Picardie. Dasselbe Schicksal droht der heutigen südwestlichen Region Poitou-Charentes, der Hochburg von Sarkozys Rivalin Ségolène Royal. Die Vorschläge lassen sich rational begründen, wirken aber dennoch ein wenig willkürlich und geben darum Anlass zu Spekulationen über politische Hintergedanken.
Das gilt auch für Paris: Für die heute aus zwanzig Bezirken (Arrondissements) bestehende Hauptstadt mit zwei Millionen Einwohnern soll nicht mehr lange das Prinzip "small ist beautiful" gelten, da die Schaffung eines Groß-Paris unter Einschluss von drei angrenzen Departements angeregt wird, die neue Hauptstadt soll danach 124 Kommunen mit insgesamt rund sechs Millionen Bewohnern umfassen. Schon fürchtet der sozialistische Bürgermeister Bertrand Delanoë um seine Macht.
Ähnlich sollen acht weitere Großstädte (Marseille, Lyon, Lille, Bordeaux, Toulouse, Straßburg, Nantes und Nizza) zu "Metropolen" mit erweiterten Kompetenzen wachsen. Umstritten sind dabei nicht nur die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen Zentralstaat, Region, Departement und Metropole, sondern erst recht die Frage, wie die Volksvertretung dieser Einheiten künftig organisiert werden soll. Die demokratische Vertretung der Departements und Regionen soll durch eine einzige Territorialversammlung erfolgen. Damit könnten Kosten gespart werden, nur gehen dabei auch viele Wahlmandate für ambitiöse Lokalpolitiker verloren. In den nostalgischen Protest der betroffenen Regionen mischt sich darum über Parteigrenzen hinweg massiver Widerstand der politischen Platzhirsche, die um ihre Reviere fürchten. Die geplante territoriale "Revolution" könnte wie frühere Anläufe als banale Retusche enden.
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