Tennis-Überraschung bei den US Open: „Unglaublicher Moment“
Tennis-Underdog Frances Tiafoe bezwingt bei den US Open Altmeister Rafael Nadal. Der Flüchtlingssohn ist die neue Hoffnung im amerikanischen Tennis.
Frances Tiafoe war schon kurz vor dem Zielstrich, da bekam er im größten Tennisstadion der Welt noch einmal die gefürchtete Angst vor dem Sieg. „Ich dachte: Ist es wahr, dass ich hier wirklich Rafael Nadal schlagen kann“, sagte Tiafoe später, „auf einmal fühlten sich meine Hände an, als steckten sie in Zement.“
Doch der charismatische 24-jährige Amerikaner überwand seine Zweifel, holte sich den Punkt zum 5:3 im vierten Satz nach 40:0-Führung und 40:40-Gleichstand – und wenig später war sein bedeutendster und emotionsgeladenster Sieg überhaupt perfekt. Tiafoe, ein Talent, von dem schon in frühen Teenagerjahren als kommendem Star gesprochen wurde, hatte Nadal mit 6:4, 4:6, 6:4 und 6:3 niedergerungen, den 22-maligen Grand-Slam-Champion. „Leute, ich bin hin und weg“, gab Tiafoe zu Protokoll, „das ist ein unglaublicher Moment. Vor lauter Tränen sehe ich gar nicht mehr klar. Mein Herz schlägt tausendmal in der Minute.“
Es war ein rarer Moment der Größe für das amerikanische Herrentennis, das seit den Tagen von Andre Agassi und Pete Sampras nach einer strahlenden Spitzenfigur sucht – und noch immer keinen New Yorker Nachfolger als Champion für Andy Roddick gefunden hat, der 2003 unter abenteuerlichen Umständen in einem beispiellosen Wetterchaos gewann. Aber der 5. September 2022 markierte in jedem Fall eine Zäsur in Tiafoes Karriere, der sich aus einfachen sozialen Verhältnissen in die erweiterte Weltspitze vorgekämpft hat, aber noch auf den großen Durchbruch wartet.
„Ich glaube, dass mir das einen Riesenschub geben kann. Dieser Sieg ist etwas ganz Besonders“, sagte Tiafoe, „wir erleben gerade eine Wachablösung im Tennis. Und ich will und kann vorne dabei sein.“ Selbst sein großes Idol LeBron James, der Basketballstar, gratulierte Tiafoe nur Minuten nach dem denkwürdigen Favoritensturz via Twitter und nannte ihn den „jungen König“ – zur erneuten Überwältigung Tiafoes: „Ich weiß, ehrlich gesagt, gerade nicht mehr, wo ich bin. Und was geschieht.“
Alles für die Familie
Tiafoe ist der Sohn einer Auswandererfamilie, die Anfang der 90er Jahre aus den Bürgerkriegswirren in Sierra Leone in die USA floh – und schließlich in Maryland landete. Seine Mutter arbeitete später als Krankenschwester, sein Vater half beim Aufbau eines Tenniscenters und wurde im College Park Club der Mann für alle möglichen Aufgaben. „Ich wuchs mit Tennis auf, ich sah den Aufstieg von Serena Williams – und ich träumte davon, auch einmal ein großer Spieler zu sein“, sagt Tiafoe, „und ich nahm mir vor, für meine Familie zu sorgen – wenn ich es schaffe.“
Früh erfüllte Tiafoe seinen Eltern einen Herzenswunsch, als ihm die Tennistalente ein Collegestudium ermöglichten. Als er am Montagabend in seiner Spielerbox Vater Constant und Mutter Alphina erspähte, erinnerte er sich noch einmal an die lange, entbehrungsreiche Wegstrecke: „Nichts von alledem war garantiert. Nichts war selbstverständlich, absolut nichts“, sagte Tiafoe.
Der Amerikaner, einer der wenigen schwarzen Athleten in der Spitze des Männertennis, wirkt auf den ersten Blick wie einer der stämmigen Kerle aus der NFL. Sein Spiel ist unglaublich explosiv und dynamisch, Tiafoe knallt die Schläge wuchtig aus der Hüfte weg. Oft übertrieb er es mit seinem Speed, fand nicht die nötige Präzision zu seiner Power. Die Balance stimmte nicht. Noch in Wimbledon gab er jüngst eine erhoffte Viertelfinal-Teilnahme nach 2:1-Satzführung dramatisch gegen den Belgier David Goffin aus der Hand.
Nun aber steht er unter den letzten Acht in New York, daheim vor den eigenen aufgedrehten, oft schrillen Fans. „Warum sollte ich nicht bis zum Schluss dabei sein“, fragt sich Tiafoe nun, „jetzt ist alles möglich.“ Zuerst einmal muss er dafür jedoch am Mittwoch gegen den Russen Andrej Rublev gewinnen.
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