Tempelhofer Feld in Berlin: Ein Symbol für Freiraum
Die Schließung des Flughafen Tempelhof machte vor 10 Jahren den Weg frei für eine große innerstädtische Freifläche. Wird sie unbebaut bleiben?
Der 25. Mai 2014 ist ein besonderer Tag in der jüngeren Geschichte Berlins: Gegen den erklärten Willen der damaligen SPD-CDU-Koalition, gegen den Wunsch von Linkspartei und Grünen und ohne finanzstarken Unterstützer im Rücken gewinnt die Initiative 100 Prozent Tempelhofer Feld ihren Volksentscheid, der jegliche dauerhafte Veränderung des einstigen Flugfelds gesetzlich verbietet.
Genau 64,3 Prozent der teilnehmenden Berliner sprechen sich gegen die Pläne des Senats aus, die Ränder des Feldes mit bis zu 5.000 Wohnungen und einem neuen Gebäude für die Zentral- und Landesbibliothek zu bebauen. Gemessen an der Gesamtbevölkerung sind das 29,6 Prozent – damit ist das nötige Quorum von 25 Prozent locker überschritten. Gerechnet hatte mit diesem klaren Erfolg kaum jemand. Und für den damaligen Stadtenwicklungssenator und heutigen Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) war die Schlappe auch eine persönliche Niederlage, die ihm bis heute sauer aufstößt.
Das Feld ist seitdem ein weites Feld geblieben, schmucklos, ohne neue Bäume, Hecken, Wege, Cafés, ohne Schwimmbad oder Rummelplatz. Dafür aber mit einer großartigen Perspektive auf die Stadt, die erst an seinen Rändern als solche erkennbar wird; äußerst beliebt bei Joggern, Skatern und Grillfans. Und es wirkt wie ein Relikt aus der Nachwendezeit, als in Berlin vieles leer stand und noch mehr möglich schien. Cool Berlin eben, wie es seitdem in jedem Reiseführer steht und Millionen Besucher anlockt.
Schon während des Abstimmungskampfes 2014 argumentierten Müller und der Senat, man brauche den Platz am Feldrand dringendst für die Bekämpfung der Wohnungsnot. Und auch wenn Rot-Rot-Grün Ende 2016 in seinem Koalitionsvertrag festgehalten hat: „Die Bebauung des Tempelhofer Feldes wird ausgeschlossen“, war es nur eine Frage der Zeit, bis angesichts von stetig steigenden Mieten die ersten Versuche kommen würden, die Debatte wieder zu befeuern.
Politisches Neuland
Es ist nicht überraschend, dass Müller selbst den Anstoß dazu gab. Mitte September erklärte er vor den Mitgliedern der Industrie- und Handelskammer (IHK), dass „Mitte oder Ende der nächsten Wahlperiode“ das Tempelhofer Feld in der Debatte „wieder eine Rolle spielen“ werde. Auch wenn der grüne Koalitionspartner schäumte: CDU und FDP beeilten sich, den Vorstoß Müllers nach einer Neuauflage der Debatte zu unterstützen.
Es handelt sich eine klassische Nadelstichtaktik: Wird die These nach den genau dort dringend benötigten Wohnungen nur oft genug wiederholt, werden sie schon genügend Menschen glauben.
Darüber wieder zu diskutieren ist an sich auch gar nicht falsch. Denn ein vom Volk, also dem Souverän, verabschiedetes Gesetz ist formal rechtlich nicht mehr wert als ein vom Parlament, also den Repräsentanten des Souveräns, beschlossenes und es kann natürlich verändert werden. Zudem gibt es in Berlin keine offizielle Frist, wie lange ein erfolgreicher Volksentscheid Bestand haben muss. Genau das ist letztlich der eine Kern des Problems: Der weitere Umgang mit erfolgreichen Entscheiden ist politisches Neuland.
Der andere: Den Entscheidungen des Volkes werden, demokratietheoretisch und moralisch begründet, mehr Respekt gezollt; da ist sich die Politik im Prinzip einig. Aber auch das ganze Volk, nicht nur seine Repräsentanten, kann mal irren oder die Rahmenbedingungen können sich ändern. Und dann muss natürlich das Parlament, ebenfalls demokratietheoretisch begründet, in der Lage sein, zu handeln.
Eine Art Vetorecht fürs Volk
Einmal ist das in diesem Fall schon passiert. Anfang 2016 änderte Rot-Schwarz das Tempelhof-Gesetz, damit auf dem einstigen Flugfeld-Vorplatz eine Container-Unterkunft für bis 1.500 Geflüchtete entstehen konnte, befristet allerdings bis Ende 2019. Diese Befristung werde auch nicht verlängert, verspricht der Linkspartei-Abgeordnete Michael Efler, zugleich demokratiepolitischer Sprecher seiner Fraktion, die damals wie die Grünen gegen die Änderung stimmte.
Für eventuell weitere derartige Fälle fordert Efler dringend eine Neuregelung, die sowohl der Handlungsfähigkeit des Parlaments wie dem stärkeren Bestandsschutz für vom Volk beschlossene Gesetze gerecht wird. Vorbild ist laut Efler Hamburg: Dort kann das Parlament praktisch jederzeit ein solches Gesetz wieder verändern. Allerdings haben Initiativen danach drei Monate Zeit, mit dem Sammeln von gut 30.000 Unterschriften ein Fakultatives Referendum einzuberufen. Das Volk besitzt also eine Art Vetorecht.
Die Hoffnung dahinter: „Die Regierung wird sich sehr genau überlegen, ob sie eine mögliche erneute Niederlage riskiert“, sagt Oliver Wiedmann, Sprecher des Berliner Landesverbandes von Mehr Demokratie e. V. Die Hürden für eine erneute Abstimmung müssten dabei deutlich geringer sein als beim ursprünglichen Volksentscheid – sonst sei das „unfair“, betont Wiedmann. 50.000 Unterschriften müssten in Berlin dafür reichen. Zum Vergleich: für einen Volksentscheid braucht es rund 175.000. Und bei der Abstimmung danach sollte laut Wiedmann eine einfache Mehrheit ohne Quorum gelten.
Derzeit arbeitet die rot-rot-grüne Regierung an der Neufassung der direktdemokratischen Abläufe; die Einführung eines Fakultativen Referendums ist bisher allerdings nicht geplant. Die Hürde ist hoch: Für die nötige Verfassungsänderung braucht es eine Zwei-Drittel-Mehrheit, sprich die Unterstützung der CDU. Und die muss ihre Liebe zum Volksentscheid erst noch entwickeln.
Wie viel Freiräume braucht eine Stadt
So dürfte das Thema Wohnungen auf dem Tempelhofer Feld – oder zumindest am Rande davon – spätestens im Wahlkampf 2021 wieder eine große Rolle spielen. Schließlich ist es ein Symbol für viele Auseinandersetzungen in der Stadt. Es geht um den Streit Ökonomie vs. Ökologie. Es geht um die Frage, wie viel Freiräume eine lebenswerte Stadt in ihrem Herzen braucht, um weiter lebenswert zu sein. Und es geht um das Vertrauen der Bürger in die Politik: Das hatte der rot-schwarze Senat 2014 weitgehend verloren; die Berliner trauten den Versprechungen nicht, dass wirklich nur der Rand bebaut wurde.
Auch der damalige Verlierer und jetzige Regierende hat das eingesehen. „Wir wollten 2014 zu viel“, zieht Müller heute Bilanz und meint damit etwa den Bibliotheksneubau. Der wird nun definitiv nicht mehr auf dem Feld entstehen, sondern am Halleschen Tor in Kreuzberg. Im Umkehrschluss bedeutet Müllers Fazit also: Gebaut werden sollte nach seinem Willen trotzdem.
Dieser Text ist Teil eines Schwerpunktes zum Flughafen Tempelhof und dem Tempelhofer Feld in der taz berlin am wochenende vom 27./28. Oktober.
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