Teilwahlen in Großbritannien: Nigel Farage kann feiern
Die Rechtspopulisten von Reform UK gewinnen eine Nachwahl zum britischen Parlament und holen auch weitere Erfolge. Aber Labour verliert nicht überall.

Sie habe „Geschichte geschrieben“ und ihr Sieg sei der Sieg „hart arbeitender Menschen, die einfach Fairness wollen“, sagte Pochin in ihrer Siegesrede. „Genug ist genug. Genug Tory-Versagen, genug Labour-Lügen. Jeder von euch, der für den Wandel gestimmt hat, jeder von euch, der sein Vertrauen in Nigel Farage als nächster Premierminister diese großen Landes gesetzt hat (…) ich werde euch dienen und für euch sprechen“.
Reform UK jetzt gleichauf mit Labour
Bei den Parlamentswahlen 2024 hatte Labour den Sitz in der Nähe von Liverpool noch mit 53 Prozent der Stimmen gewonnen, Reform UK hatte mit 18 Prozent den zweiten Platz belegt. Jetzt kommen beide Parteien auf je 38,3 Prozent. Es folgen die Konservativen, die von 16 auf 7 Prozent abstürzen, die Grünen mit ebenfalls 7 Prozent und die Liberaldemokraten mit 2 Prozent.
Für Reform UK, das damit die Zahl seiner Unterhausabgeordneten wieder auf 5 erhöht – von den fünf, die bei der Parlamentswahl gewählt worden waren, ist einer inzwischen aus der Partei geflogen, weil er Farage kritisiert hatte – ist dieser Sieg erst der Anfang. Am Donnerstag standen ebenfalls die Distriktverwaltungen in weiten Teilen Englands sowie eine Reihe von Regionalbürgermeisterposten zur Wahl. Auch hier zeichnen sich eine Reihe von Reform-Durchbrüchen ab.
Rechtspopulisten stellen Regionalbürgermeister
So stellen die Rechtspopulisten zukünftig den Regionalbürgermeister von Greater Lincolnshire, ein Agrargebiet im Osten Englands mit 1,1 Millionen Einwohnern und in der Vergangenheit eine Brexit-Hochburg wegen der Abhängigkeit von osteuropäischen Billig-Saisonarbeitern in der Landwirtschaft. Mit der neuen Reform-Bürgermeisterin Andrea Jenkyns geht erstmals in Großbritannien ein solcher Posten weder an Labour noch an die Konservativen. Sie gewann souverän mit 42 Prozent gegen die Konservativen mit 26 Prozent an zweiter Stelle.
Nur ganz knapp verfehlte Reform UK weitere Wahltriumphe. Die regierende Labour-Partei behielt zwar die Bürgermeisterposten in der nordenglischen Industriestadt Doncaster, in der Großregion Bristol („West of England“), im Westen des Landes und in der Großregion North Tyneside außerhalb von Newcastle im Nordosten Englands – aber teils nur mit hauchdünnen Vorsprüngen: in Doncaster gewann Labour mit 32,6 gegen Reform auf 31,6 Prozent, in North Tyneside mit 30,2 gegen 29,4 Prozent. In Bristol gewann Labour mit 25 Prozent vor Reform auf 22 und den Grünen auf 20 Prozent.
Lincolnshires neue Regionalbürgermeisterin Andrea Jenkyns ist eine Überläuferin zu Reform von den Konservativen, ebenso wie Runcorns neue Unterhausabgeordnete Sarah Pochin. Reform-Chef Farage hat es sich erklärtermaßen zum Ziel gemacht, erst die Konservativen als Hauptoppositionskraft abzulösen und dann auch Labour als Regierungspartei. In landesweiten Meinungsumfragen liegt Reform UK seit einigen Wochen konstant an erster Stelle mit durchschnittlich 26 Prozent, sie hat die Konservativen längst in der Anzahl von Mitgliedern überholt.
Viele der jetzt neugewählten Regionalverwaltungen sind traditionelle konservative Hochburgen und waren beim letzten Mal 2021 gewählt worden, zum Höhepunkt der Popularität des damaligen Tory-Premierministers Boris Johnson. Insofern war ein überdurchschnittlicher Einbruch der Konservativen jetzt allgemein erwartet worden – aber offen blieb, ob davon ausschließlich Reform UK profitiert oder auch die Liberaldemokraten und Grünen, die sich gute Chancen bei der jüngeren bürgerlichen Wählerschaft ausrechnen.
Erste Teilergebnisse am Freitagvormittag bestätigten starke Verluste der Konservativen und zunächst starke Gewinne für Reform UK, das 2021 noch gar nicht existierte. So ging ein lokaler Wahlkreis in Boston, der Hauptstadt von Lincolnshire, mit rund 50 Prozent an Reform UK, während die Konservativen von 52 auf 20 Prozent abstürzten und Labour von 19 auf 9.
Es sei eine „phänomenale Nacht“, freute sich Reform-Führer Farage am Freitagmorgen. Seine Partei habe Runcorn & Helsby gewonnen, „weil es in diesem sehr patriotischen Wahlkreis irgendwie den Eindruck gab, dass Labour nicht mehr für diese Werte steht“. Und er bejubelte das sich abzeichnende Debakel der Konservativen als Bestätigung seiner Strategie: „Wir erleben das Ende einer Partei, die sich seit 1832 hält, sie sind dabei zu verschwinden.“ Die Führungen von Labour und den Konservativen schwiegen zunächst.
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