Teilhabe in Berlin: Exklusive Gesellschaft
Behinderungen sind alltäglich, aber der Weg zu einer barrierefreien Stadt ist kaum beschritten. Inklusion ist eine Utopie.
Wenn „Freaks und Krüppel“ mit Krücken und Rollstühlen durch die Straßen ziehen, wie neulich am Hermannplatz, dann klingt das nach Partikularinteressen. Wenn Berliner Unternehmen zusammen, wie jüngst das Landesamt für Gesundheit und Soziales angab, 22 Millionen Euro als Ausgleichsabgabe zahlen, weil sie keine Schwerbehinderten einstellen, dann klingt das nach dem günstigen Freikaufen aus der sozialen Verantwortung.
Wenn aber der Landesbehindertenbeauftragte vorrechnet, dass in nicht einmal 20 Jahren 800.000 Senioren in Berlin leben werden und fast jeder im Alter irgendwie behindert sein wird, dann drängt sich die Frage auf: Gibt es eine Vision für eine inklusive Stadt ohne Barrieren, vorbereitet auf die Zukunft?
Nein. Es gibt Leitlinien, Arbeitsgruppen, runde Tische, Interessenvertretungen, Beiräte – ein Flickenteppich aus redlichen Bemühungen. Aber was kostet es, die Stadt in allen Lebensbereichen barrierefrei zu machen? Und wann wird es so weit sein? „Bei dem Thema ist es mit Zahlen ein bisschen schwierig“, heißt es aus der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung.
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Inklusion ist eine Utopie, vielleicht die umfassendste unserer Gesellschaft, wohl auch die verkannteste. Bei Inklusion geht es auch, aber nicht nur darum, dass Menschen mit Behinderung nicht länger in Paralleluniversen zur Schule gehen, leben, arbeiten. Und eben um den selektiven Charakter unserer Gesellschaft, den Umgang mit Heterogenität, Entfremdung zwischen Alten und Jungen, Kranken und Gesunden, Menschen mit und ohne Migrationshintergrund, aus bildungsfernen und gebildeten Elternhäusern, Armen und Reichen. Es geht um eine Stadt, in der sich jeder zurechtfindet. Inklusion ist nicht nur ein Thema der Behindertenpolitik und Barrierefreiheit mehr als die Forderung nach Rollstuhlrampen.
Menschen mit Behinderung sind und waren die Vorhut einer inklusiven Welt. Sie haben schon vor 20 Jahren erkämpft, was der alternden, vielfältigen Gesellschaft schon heute und künftig nutzt: absenkende Busse, die das Einsteigen erleichtern. Rampen, die auch mit Rollatoren und müden Beinen zu schaffen sind. Schilder in universeller Sprache. Inklusion ist vergleichbar mit Gerechtigkeit – sie ist utopisch. Aber eine Stadt, die behinderten Menschen gerecht wird, ist auf dem Weg zur Stadt für alle.
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