Techno-Party in Kreuzberg: Disziplinierter Rave
Keine Drinks mehr auf der Tanzfläche, kein Rauchen, kein Knutschen: Von hemmungsloser Feierei kann in den Berliner Clubs gerade keine Rede sein.
Noch vor der Ticketkontrolle müssen alle, die an diesem Freitagabend hier tanzen wollen, mit dem Smartphone einen QR-Code einscannen und ihre Kontaktdaten in ein Formular tippen. Der Club durfte 180 Tickets für die Party verkaufen, diese gab es nur im Vorverkauf. Ein Security-Mann erklärt noch kurz die Regeln – tanzen nur mit Maske, Abstand halten, rauchen und trinken auf der Tanzfläche verboten –, dann geht’s weiter in einem kunstvoll beleuchteten Hinterhof, den „Kulturgarten“. Wände und Boden sind mit Tausenden Lichtpunkten besprenkelt, hoch oben hängt an einem Stahlseil eine hell angestrahlte Diskokugel. Tanzende Menschen sind hier keine, nur chillende, also weiter, immer dem Bass nach.
Auf der Tanzfläche, im nächsten Hinterhof, bewegen sich vielleicht rund hundert Menschen wippend zu lauter Technomusik, manche haben die Arme in der Luft. Pfeifen und Jubel aus der Menge. Jede*r trägt eine Maske, und bei niemandem, wirklich niemandem, sitzt sie unter der Nase. Viele halten anderthalb Meter Abstand, manche weniger als einen halben. Vielleicht weil sie in einer WG wohnen oder eine Beziehung führen? Oder pfeifen sie wirklich auf Corona? Denn wenn man die Augen schließt, den Beat in den Knochen spürt und sich dem Rhythmus der Musik hingibt, kann es passieren, dass man die Pandemie für einen kurzen Moment vergisst. Zieht es die Leute für genau dieses Gefühl auf die Open-Air-Partys der Berliner Clubs?
Sperrstunde Die Clubcommission kritisiert die vom Senat verhängte Sperrstunde scharf. „Die Regelung ist kontraproduktiv“, sagte Sprecher Lutz Leichsenring der taz. Dass sich Menschen zum Trinken und Tanzen träfen, lasse sich nicht verhindern. Es sei besser, wenn Leute in Clubs oder Kneipen zusammenkämen, wo sie sich an Hygienevorschriften halten müssen.
Schnelltests Der Verband schlägt vor, Schnelltestbereiche in Clubs einzurichten. Dort sollen Kneipen- und Partygäste für rund zehn Euro getestet werden. In einem Facebook-Aufruf hat die Clubcommission bereits für einen Probelauf nach medizinisch geschulten Freiwilligen gesucht, die die Abstriche dann durchführen sollen. Mehr als 350 Menschen hätten sich gemeldet. Der Probelauf werde vermutlich noch in dieser Woche stattfinden.
Infektionen In den Berliner Clubs ist seit den Lockerungen der Corona-Kontaktbeschränkungen im Juli ein Ausbruch mit acht Virusfällen innerhalb eines Clubs bekannt geworden. Das geht aus den Antworten der Gesundheitsverwaltung auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen hervor. Zudem gab es demnach vier Ausbrüche in Bars mit insgesamt 62 Fällen. Bei privat veranstalteten Partys wurden sechs Ausbrüche mit insgesamt 87 Fällen registriert. Die Grünen sehen die Clubs daher zu Unrecht als Verantwortliche für die steigenden Corona-Infektionszahlen abgestempelt. (rwi)
Daria – blond gefärbtes Haar, silberne Ohrringe – steht mir ihren Freunden Heinrich und Niklas im Kulturgarten. Alle drei sind Anfang zwanzig und aus Berlin. Wieso sie trotz der hohen Infektionszahlen feiern gehen? „Weil ich Lust auf Tanzen habe“, sagt Daria. „Weil es erlaubt ist“, sagt Heinrich. „Weil es gefährlicher wäre, in einer stickigen Kneipe zu sitzen“, sagt Niklas. In den vergangenen Wochen waren die drei oft auf illegalen Raves, die im Umland von Berlin gefeiert wurden. „Da musste man aber auch Maske tragen und Kontaktdaten angeben“, sagt Heinrich, so als wolle er klarstellen, dass er nichts Verwerfliches getan habe. Daria fällt ihm ins Wort: „Ich war auf Raves, wo ich ohne Maske tanzen konnte.“ Daria sagt das nicht beschämt, sondern stolz. „Im Nachhinein war es dumm und unvernünftig, was wir da gemacht haben“, gibt Heinrich zu. „Finde ich nicht“, sagt Daria. „Die Partys waren geil.“
Die Tanzfläche füllt sich
Die meisten Gäste sind irgendwas zwischen Mitte zwanzig und Mitte dreißig. Die niedrigen Temperaturen scheinen den Tanzenden nichts anhaben zu können, sie sind in ihrem Element. Nach und nach ziehen Leute ihre Winterjacken aus. Ein Mann mit silberner Paillettenmaske tanzt im Kurzarmhemd.
Auf den feuchten Holzdielen bewegen sich nun immer mehr Menschen in Richtung DJ-Pult, über ihnen leuchten Lichterketten in Rot. Das Pult steht in einer Holzhütte, auf dessen Dach ein überdimensionales Seepferdchen in den Himmel ragt. Die DJane trägt eine große Brille mit durchsichtigem Gestell – aber keine Maske. Im Zehn-Minuten-Takt geht ein Security-Mann über die Tanzfläche und kontrolliert, ob sich alle an die Regeln halten.
Im Barbereich auf einem Sofa sitzt Ichsan, 31, er ist komplett in Schwarz gekleidet und hat den Arm um seine Freundin gelegt. Die beiden trinken Krombacher. Ichsan geht ab und an auf Technopartys, „aber nur auf legale“. Und auch das nicht ganz ohne Befürchtungen: „Jedes Mal, wenn ich feiern gehe, habe ich Angst, mich anzustecken“, sagt er. Wieso er trotzdem ausgeht? „Aus Gewohnheit. Beim Tanzen kann ich abschalten, die Arbeit vergessen.“ Um sich und andere nicht in Gefahr zu bringen, bleibe er auf Partys immer nur in seiner Gruppe. Außerdem versuche er, den Mindestabstand einzuhalten. „Das klappt nur leider nicht immer“, klagt Ichsan.
Auch im Ritter Butzke ist das mit dem Abstandhalten mittlerweile schwerer geworden. Es ist kurz vor 22 Uhr und die Tanzfläche gut gefüllt. Vor dem DJ-Pult tanzen die Leute eher nah beieinander, nur weit hinten hat man noch Platz für sich. Noch knapp eine Stunde, dann muss der Club schließen. Der Security-Mann, der seit Beginn der Party um 18 Uhr die Hygieneregeln kontrolliert hat, zieht am Ende des Abends ein positives Fazit: „Nur fünf Menschen hatten ihre Masken beim Tanzen nicht richtig auf, zwei Leute haben geraucht.“ Und was war mit dem Mindestabstand, den manche nicht eingehalten haben? „Den kontrolliere ich nicht“, sagt der Security-Mann.
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