Technikphilosoph über Abgasversuche: „Lobbying ist Pflicht“

Ein Problem entsteht erst dann, wenn Lobbying von Wissenschaft nicht mehr unterschieden werden kann, sagt der Technikphilosoph Armin Grunwald.

Ein Affe hinter Gittern

Javaneraffe in Göttingen: Mit Artgenossen wurden in den USA die Abgastests durchgeführt Foto: dpa

taz: Herr Grunwald, wer hat durch die Abgasversuche von VW und Daimler größeren Schaden genommen: die Autoindustrie oder die Wissenschaft?

Armin Grunwald: Die Autoindustrie, allerdings in diesem Fall wohl zu Unrecht. Es ist ja keine Ausnahme, dass eine Branche für ihre Anliegen Lobbying betreibt. Im Gegenteil: In einem kapitalistischen System ist Lobbying geradezu eine Pflicht. Skandalisiert wird der Fall nur deswegen, weil er in den Dieselkomplex hineingerutscht ist.

Also ist eine Lobbyorganisation wie die „Europäische Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor“, mit der die Autoindustrie die umstrittenen Versuche finanziert hat, kein einmaliger Ausrutscher, sondern übliche Praxis?

Natürlich, das ist etwas sehr Verbreitetes. Alle großen Branchen oder Unternehmen haben solche Institutionen, ob Vereine oder Stiftungen. Sie geben sich einen wissenschaftlichen Anstrich. Ein Problem entsteht erst dann, wenn man die Lobby­tätigkeit von wissenschaftlicher Tätigkeit nicht mehr unterscheiden kann.

Dann wäre Wissenschaft nur noch Marketing. Wie wollen Sie das verhindern?

Durch den wissenschaftlichen Diskurs, durch die öffentliche Debatte über Forschung, ihre Methoden, Ergebnisse, aber auch über ihre Finanzierung und den Bedingungen, die die Finanziers den Wissenschaftlern vorgeben. Sobald Forschung und ihre Ergebnisse nicht mehr öffentlich diskutiert werden und von anderen, unabhängigen Wissenschaftlern infrage gestellt werden können, haben wir einen Skandal. Wissenschaft lebt von Öffentlichkeit und Transparenz.

Professor für Technikphilosophie am Karlsruher Institut für Technologie und Leiter des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Bundestag.

Ist Öffentlichkeit hier denn ausreichend gewährleistet?

Die Wissenschaft ist seit etwa zehn, zwanzig Jahren zunehmend auf Drittmittel angewiesen. Eingeworbene Gelder aus der Privatwirtschaft spielen eine ganz große Rolle für das Ranking von Universitäten, aber auch für die Karrieren von einzelnen Wissenschaftlern. Auch Länder und der Bund erwarten, dass Forscher privates Geld einwerben. Bei einigen großen Universitätsinstituten beträgt der Anteil von Drittmitteln am Forschungsbudget 80 Prozent. Die ganze Fraunhofer-Gesellschaft lebt davon, dass sie eng mit der Wirtschaft kooperiert. Das ist gut so und wichtig für die Volkswirtschaft. Da passiert ethisch auch nichts Bedenkliches. Aber es besteht die Gefahr des schleichenden Verlustes der unabhängigen Themensetzung. Wissenschaftler erforschen dann nicht mehr, was sie wichtig und interessant finden, sondern wofür sie Geld aus der Wirtschaft bekommen.

Werden die Ergebnisse aus dieser in großem Maßstab aus Drittmitteln finanzierten Forschung wie von Ihnen gefordert veröffentlicht?

Abgasversuche Nach Bekanntwerden von Abgasversuchen an Affen zieht der Volkswagen-Konzern nach eigenen Worten „erste Konsequenzen“ und beurlaubt seinen Generalbevollmächtigten Thomas Steg. Steg habe die volle Verantwortung übernommen und angeboten, ihn zu beurlauben, teilte VW am Dienstag mit. Eine von VW im Jahr 2007 mitgegründete Forschungsvereinigung hatte die Versuche an Affen in den USA finanziert.

Thomas Steg ist Leiter der Konzern-Außenbeziehungen und Nachhaltigkeit bei Volkswagen. Der 57-Jährige arbeitet seit Anfang 2012 bei VW. Von 2002 bis 2009 war er stellvertretender Sprecher der Bundesregierung, danach selbstständiger Kommunikationsberater.

VW hatte bereits am Wochenende auf Medienberichte reagiert, wonach im Jahr 2014 bei einem Experiment in den USA zehn Affen Dieselabgase eines VW einatmen mussten, und sich „klar von allen Formen der Tierquälerei“ distanziert. Steg sagte der Bild-Zeitung, VW schließe Tierversuche „für die Zukunft absolut“ aus.

Nicht immer. Häufig sind unternehmerische Interessen oder Geschäftsgeheimnisse betroffen, dann bleiben die Ergebnisse unter Verschluss.

Brauchen wir neue Regeln, mit denen wir Forschungseinrichtungen zu Transparenz verpflichten?

Es gibt genug Regeln guter wissenschaftlicher Praxis, etwa von der Deutschen ­Forschungsgemeinschaft. Der enge Verbund von Wissenschaft und Wirtschaft mit den teils ökonomisch notwendigen Vertraulichkeitsvereinbarungen ist eines der Erfolgsrezepte der deutschen Volkswirtschaft. Und überhaupt kein Problem, wenn sich alle an die Regeln halten.

Aber die Wirtschaft ist auch darauf angewiesen, dass die Öffentlichkeit der Risikoforschung vertraut – Stichwort Glyphosat oder Bisphenol A, bei der Gentechnik oder Nanotechnologie …

Gerade die Nanotechnologie ist doch ein gutes Beispiel: Da haben sich viele unabhängige Institute des Themas angenommen, es ist eine gute Risikodiskussion geführt und die Kritiker sind ernst genommen worden. Einige ihrer Bedenken sind in Regularien aufgenommen worden, etwa im Arbeitsschutz, bei anderen konnte die Forschung Entwarnung geben.

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