Taz-Serie: Die Grenzen des Wachstums: Erfinder des ökologischen Rucksacks
Mit intelligenter Technik und neuen Nutzungskonzepten will Friedrich Schmidt-Bleek so viele Ressourcen einsparen, dass Wachstum zukunftsfähig wird.
BERLIN taz | Friedrich Schmidt-Bleek gilt als Vater der Dematerialisierung. Die Idee dazu kam ihm auf dem Klo, nachdem er in der Silvesternacht 1989 einige Gläser Wodka mit dem Chefberater des sowjetischen Präsidenten Gorbatschow gehoben hatte. Im Gespräch mit Stasch Schatalin war ihm klar geworden, dass zahlreiche Verordnungen über Emissionsgrenzwerte zum Aufbau einer milliardenschweren Branche geführt hatten - eine Art westlicher Planwirtschaft, deren Unternehmen bestens daran verdienten, Filter und Reinigungsanlagen zu produzieren.
Diese Form von Umweltschutzbemühungen am Ende des Herstellungsprozesses steigerte den Ressourcenverbrauch der Industrie nur weiter und erhöhte die Umweltbelastungen. Schließlich müssen für die Produktion der neuen Anlagen irgendwo auf der Welt Rohstoffe abgebaut werden - und dabei entstehen riesige Müllberge.
"Zukunftsfähiges Wachstum durch gezielte Einsparung von Ressourcen", lautet das Credo von Schmidt-Bleek. Er stellt das westliche Wohlstandsmodell nicht infrage und will die Nutzerbedürfnisse ungeschmälert befriedigen.
Erreichen will er das sowohl durch technische Veränderungen als auch intelligente Dienstleistungen wie das Teilen selten gebrauchter Gegenstände. Auf diese Weise lasse sich die Menge der benötigten Materialien so stark verringern, dass sowohl die Menschen in Entwicklungsländern als auch künftige Generationen den gleichen Lebensstil pflegen können wie die Leute in der Ersten Welt heute, glaubt der Chemieprofessor.
Der Mythos: Viele meinen, dass die Wirtschaft stets wachsen muss, um die Welt zu ernähren.
Die Kritik: Spätestens seit der Club of Rome 1972 "Die Grenzen des Wachstums" vorstellte, ist klar: Wachstum ist auf einem endlichen Planeten nicht unendlich.
Die Alternativen: Etliche Wachstumsskeptiker beschäftigen sich mit diesen Fragen. Die einen fordern eine Verlangsamung des Wachstums, andere einen Stopp, einige eine Rücknahme. Die taz stellt die wichtigsten Köpfe vor.
Er hat ausgerechnet, dass dafür eine Verringerung des Materialeinsatzes pro "Einheit Nutzen" - also zum Beispiel pro gefahrenem Kilometer - um den Faktor 10 vonnöten sei.
Bis zum Jahr 2040 könnte ein solcher Umbau abgeschlossen sein, so Schmidt-Bleek. Was bei seinem Konzept irritiert, ist die Tatsache, dass er sämtliche Rohstoffe in Kilogramm und Tonnen umrechnet und nicht nach ihrer Gefährlichkeit differenziert.
Als Direktor der Abteilung Stoffströme und Strukturwandel im 1991 gegründeten Wuppertal Instituts entwickelte Schmidt-Bleek das populäre Bild des "ökologischen Rucksacks": Jedes Produkt verursacht, vom Abbau der Rohstoffe über die Verarbeitung bis hin zur Nutzung und Entsorgung, zahlreiche Umweltbelastungen.
Umsetzung ist möglich
Auch die Ressourcen für die dabei eingesetzte Energie berechnete er ein. Konkrete Vorschläge aus seiner Forschungsabteilung belegten, dass eine Umsetzung der Idee technisch möglich ist.
Dem Chef des Instituts Ernst Ulrich von Weizsäcker schien der "Faktor 10" jedoch zu abschreckend für die Wirtschaft, und er propagierte deshalb "Faktor 4". Zugleich übernahm er weite Teile der Methodik Schmidt-Bleeks, ließ aber die Energie außen vor.
Spätere Schriften des Wuppertal Instituts verschweigen den Erfinder des Dematerialisierungskonzepts, sodass heute fälschlicherweise häufig von Weizsäcker als dessen geistiger Vater erscheint.
Ressourceneinsparsteuer
Schmidt-Bleek, der heute das Faktor-10-Institut leitet, fordert eine radikale Umorientierung der staatlichen Politik weg von ihrer Fixierung auf eine Steigerung des Bruttoinlandsprodukts. Er schlägt beispielsweise vor, Abschreibungsmöglichkeiten von Sachwerten abzuschaffen und eine Ressourceneinsparsteuer einzuführen.Eine solche Entwicklung sei auch im Interesse der Exportwirtschaft.
Dagegen hält er nichts davon, "die heutigen Sturzbäche von Materialien in eine ,Kreislaufwirtschaft' leiten" zu wollen. Denn beim Recycling zum Beispiel von Aluminium bleiben nach 15 Umläufen nur noch 3 Prozent des Ursprungsmaterials übrig.
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