„Tatort“ aus Wien: Geschäfte mit Alternativmedizin
Im Wiener „Tatort“ ermittelt das Duo Eisner und Fellner im Sumpf der Alternativmedizin. Glaubwürdig macht sich der Krimi durch seine Abwägungen.
Mich überfällt stets eine gewisse Vorfreude, wenn ein neuer „Tatort“ aus Wien avisiert wird. Aber bitte schön, wie lässt die Redaktion so was durchgehen? Da heißt der neue Krimi kurz und knapp „Krank“ und dann ist Oberstleutnant Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) tatsächlich krank. Der Rücken! A bisserl banal. Gut, dass wenigstens Majorin Bibi Fellner (Adele Neuhauser), ganz im Gegensatz zu ihrem bewegungsfaulen Kollegen, fit wie ein Turnschuh ist.
Dabei sind die ersten Sekunden des Wiener „Tatorts“ alles andere als banal. Eisner schwebt in höchster Gefahr, wird wohl gleich erschossen, so viel darf verraten werden: „Also dann, Eisner, Dienstschluss“, sagt der Ganove – und Schnitt …
Das eingespielte Duo Eisner und Fellner gerät diesmal in eine Art Glaubenskrieg. Der hat einem kleinen Mädchen das Leben gekostet, weil sein Vater – namhafter Vertreter der Alternativmedizin und Mitbegründer eines Unternehmens aus eben dieser Branche – auf homöopathische Tinkturen statt auf Schulmedizin setzte. Eine Woche Antibiotikum und Rosa würde noch leben, so stellt sich später heraus. Doch das Gericht spricht den Vater frei. Kurz nach dem Urteil wird der auf offener Straße von einem Auto regelrecht zur Strecke gebracht.
Ein verzwickter wie ambivalenter Fall. Bei Mord aus Habgier und dergleichen lässt sich schnell Partei für die Opfer ergreifen. Hier aber ist die Sache diffiziler. Wer von uns hat denn nicht schon einmal auf die ein oder andere Art auf alternative Medizin zurückgegriffen? Dieser Umstand wird im Rahmen der Ermittlungen immer wieder thematisiert.
Um dem Ganzen mehr Drive zu geben, taucht plötzlich die Mutter des toten Mädchens auf, die sich der nationalen Befreiungsbewegung Kolumbiens angeschlossen hat. Zurück in Wien, will sie Rache nehmen für den Tod ihrer Tochter, so nach dem Motto: Man erntet, was man sät. Das wirkt erst aufgesetzt und unglaubwürdig, entwickelt dann aber eine, nun ja, gesunde Plausibilität.
Wien-„Tatort“: „Krank“, Das Erste, 20.15 Uhr
Krank, ja kriminell dagegen ist in dieser Geschichte vieles am System der Geschäftemacherei mit der Alternativmedizin. Dass das alles glaubwürdig und spannend rüberkommt, das Für und Wider abgewogen wird, die eine wie die andere Seite nicht nur verteufelt wird, ist das Verdienst von Rupert Henning, der das Drehbuch schrieb und auch Regie führte. Und der „Tatort“ endet, gewissermaßen in der letzten Sekunde, wirklich überraschend, und mit einem gelungenen Witz. Aber schauen Sie selbst!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Deutungskampf nach Magdeburg
„Es wird versucht, das komplett zu leugnen“
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Gedenken an den Magdeburger Anschlag
Trauer und Anspannung
Aktionismus nach Magdeburg-Terror
Besser erst mal nachdenken