„Tatort“ aus München: Wo die Reichsbürger wohnen
Batic und Leitmayr ermitteln außerhalb des S-Bahn-Bereichs: Nahe der tschechischen Grenze treiben sich Verschwörungstheoretiker herum.
Wollen sie nichts sehen? Nicht gesehen werden? Die Bewohner eines heruntergekommenen Gehöfts nahe der tschechischen Grenze haben ihr Grundstück mit einer Mauer aus mannshohen Sichtblenden umstellt.
Die kleine Gemeinschaft hat sich von der Bundesrepublik Deutschland losgesagt und einen eigenen Staat gegründet. Denn in ihren Augen ist die BRD eine GmbH, die deutschen Bürger sind nur deren „Personal“ – der Identitätsnachweis heiße ja wohl nicht von ungefähr „Personalausweis“.
Klingt nach Kabarett, aber dem Fähnlein rund um den charismatischen Anführer Ludwig Schneider (Andreas Döhler) ist es ernst. Sie agitieren, unterhalten ein Callcenter, um Gesinnungsgenossen in ihrem Kampf gegen „Zwangsgebühren“ und Zuwanderung zu beraten, und – spätestens da endet alle Drolligkeit – sind schwer bewaffnet.
Einer aber wurde abtrünnig. Florian Berg hatte sich abgesetzt, zurück nach München. Seine Mutter findet ihn tot in der Badewanne. Mit aufgeschnittenen Pulsadern. Suizid womöglich. Nur liegt weit und breit kein scharfer Gegenstand.
Präziser als der Polizeiruf zum selben Thema
Die Mutter bezichtigt Schneider. Der Hof liegt sechs Stunden von München entfernt. Kommissar Leitmayr (Udo Wachtveitl) will hin und den Beschuldigten vernehmen: „Wir zwei außerhalb des S-Bahn-Bereichs – wann haben wir denn das schon mal?“ Kollege Batic (Miroslav Nemec) sträubt sich und mault, fährt aber mit.
Es erwartet sie eine beinahe ausgestorbene Gegend. Aufgegebene Tankstellen, eine vermauerte Metzgerei, überalterte Bevölkerung. Das ideale Terrain für Weltverbesserer, Profilneurotiker und Polithasardeure.
München-„Tatort“: „Freies Land“, So., 20.15 Uhr, ARD
Präziser als kürzlich im thematisch verwandten, aber diffus geratenen „Polizeiruf 110“ wird das Milieu der permanent gereizten „Reichsbürger“ erfasst und das Sektierertum markiert. Der international erfahrene Drehbuchautor Holger Joos garniert die Krimihandlung mit sorgfältig eingestreuten Details.
Die beiden Münchner Kriminalisten müssen ungeplant übernachten. Das heißt für Batic, abends noch die Wäsche zu waschen. Und das Essen holen sie sich aus dem Würstchenautomaten. Anders kann man sich in der Geisterstadt nicht mehr versorgen. Die Anmutung eines Neo-Westerns ergibt sich schlüssig aus der Geschichte.
Durchaus passend, wenn Regisseur Andreas Kleinert entsprechende Stimmungen und Stilmittel aufnimmt. Nicht als Zitat um des puren Gags willen, sondern mit Blick für die Eigenarten dieser besonderen Landschaft und ihrer Bewohner.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Israel und Hisbollah
Waffenruhe tritt in Kraft
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich