piwik no script img

„Tatort“ aus MünchenWo die Reichsbürger wohnen

Batic und Leitmayr ermitteln außerhalb des S-Bahn-Bereichs: Nahe der tschechischen Grenze treiben sich Verschwörungstheoretiker herum.

Der neue „Staat“ der Reichsbürger heißt „Freiland“, rein dürfen die Kommissare aber nicht Foto: Hendrik Heiden

Wollen sie nichts sehen? Nicht gesehen werden? Die Bewohner eines heruntergekommenen Gehöfts nahe der tschechischen Grenze haben ihr Grundstück mit einer Mauer aus mannshohen Sichtblenden umstellt.

Die kleine Gemeinschaft hat sich von der Bundesrepublik Deutschland losgesagt und einen eigenen Staat gegründet. Denn in ihren Augen ist die BRD eine GmbH, die deutschen Bürger sind nur deren „Personal“ – der Identitätsnachweis heiße ja wohl nicht von ungefähr „Personalausweis“.

Klingt nach Kabarett, aber dem Fähnlein rund um den charismatischen Anführer Ludwig Schneider (Andreas Döhler) ist es ernst. Sie agitieren, unterhalten ein Callcenter, um Gesinnungsgenossen in ihrem Kampf gegen „Zwangsgebühren“ und Zuwanderung zu beraten, und – spätestens da endet alle Drolligkeit – sind schwer bewaffnet.

Einer aber wurde abtrünnig. Florian Berg hatte sich abgesetzt, zurück nach München. Seine Mutter findet ihn tot in der Badewanne. Mit aufgeschnittenen Pulsadern. Suizid womöglich. Nur liegt weit und breit kein scharfer Gegenstand.

Präziser als der Polizeiruf zum selben Thema

Die Mutter bezichtigt Schneider. Der Hof liegt sechs Stunden von München entfernt. Kommissar Leitmayr (Udo Wachtveitl) will hin und den Beschuldigten vernehmen: „Wir zwei außerhalb des S-Bahn-Bereichs – wann haben wir denn das schon mal?“ Kollege Batic (Miroslav Nemec) sträubt sich und mault, fährt aber mit.

Es erwartet sie eine beinahe ausgestorbene Gegend. Aufgegebene Tankstellen, eine vermauerte Metzgerei, überalterte Bevölkerung. Das ideale Terrain für Weltverbesserer, Profilneurotiker und Polithasardeure.

Der Tatort

München-„Tatort“: „Freies Land“, So., 20.15 Uhr, ARD

Präziser als kürzlich im thematisch verwandten, aber diffus geratenen „Polizeiruf 110“ wird das Milieu der permanent gereizten „Reichsbürger“ erfasst und das Sektierertum markiert. Der international erfahrene Drehbuchautor Holger Joos garniert die Krimihandlung mit sorgfältig eingestreuten Details.

Die beiden Münchner Kriminalisten müssen ungeplant übernachten. Das heißt für Batic, abends noch die Wäsche zu waschen. Und das Essen holen sie sich aus dem Würstchen­auto­maten. Anders kann man sich in der Geisterstadt nicht mehr versorgen. Die Anmutung eines Neo-Westerns ergibt sich schlüssig aus der Geschichte.

Durchaus passend, wenn Regisseur Andreas Kleinert entsprechende Stimmungen und Stilmittel aufnimmt. Nicht als Zitat um des puren Gags willen, sondern mit Blick für die Eigenarten dieser besonderen Landschaft und ihrer Bewohner.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Als Miniatur aus Bayerisch-Wildwest bzw. -Ost gelungen. Der Plot allerdings das übliche, einer hintergeht alle. Mit Reichsbürgern und ihren aggressiven Ideen samt Umgangsformen hatte das aber nur am Rande zu tun. Das Thema wirkte dann doch etwas wie eine Kulisse für den ländlichen Plot. Gutes Casting, Sigi Zimmerschied als grantelnd-bös-abgründiger Landbulle, immer ein Genuß und das grantelnde alte 'Ehepaar' Batic-Leitmayr a Gaudi. Aber alles doch eher ein bisserl 'out of munich'....

  • Wenn man sich bei den Bewohnern von "Freiland" die völkischen Phrasen wegdenkt und durch politisch korrekte Sprechblasen ersetzt, könnte das Ganze genau so gut eine Anarcho-Landkommune darstellen, wie sie v.a. in den 1980ern hie und da entstanden. Auch dort war es absolut üblich, jede staatliche Autorität strikt abzulehnen und Polizeibeamte wurden auch dort in aller Regel nicht mit offenen Armen und Willkommensgrüßen empfangen.

     

    Erinnert sich z.B. noch jemand von den Älteren hier an die 1980 von Atomkraftgegnern gegründete "Republik freies Wendland", die u.a. eigene Pässe ausstellte - und einige Inhaber waren stolz wie Oskar, weil sie es geschafft hatten, in diese Phantasiepässe echte Einreisestempel zu bekommen.

     

    Der einzige nennenswerte Unterschied ist, dass das öffentlich-rechtliche Erziehungs-TV eine linksradikale Landkommune mit gleichgelagerten Autonomieansprüchen sehr viel wohlwollender darstellen würde.

    • @Jürgen Thiel:

      und der kleine entscheidende unterschied, dass die im tatort dargestellte gruppierung menschenverachtende, exklusive, biologistische, antipluralistische, ethnozentristische, völkische und antiaufklärerische ideologien vertritt und mittels einer dubiosen führungsperson/clique hierarchisch geführt und durch manipulation, gewalt und einschüchterung zusammengehalten wird. Genau wie im Wendland oder? LOL!

    • @Jürgen Thiel:

      Das Reichsbürgerproblem haben wir jetzt!

      Wollen Sie das verharmlosen?

       

      Das öffentlich-rechtliche TV dient auch dazu, dass Sie sich informieren können. Das sollten Sie mal tun. Vielleicht hilft auch TAZ-Lesen? Nur eine Idee ;-)

  • 8G
    81331 (Profil gelöscht)

    ..."Der Hof liegt sechs Stunden von München entfernt"? Bayern ist zwar groß, aber nicht so groß. Nach sechs Stunden Autofahrt bin ich bereits hinter Berlin und nicht an der tschechischen Grenze.

    • @81331 (Profil gelöscht):

      Tja, wohl falsch aus der Mediathek zitiert. Dabei steht da doch 6h "hin und zurück". Breißn halt! :D