„Tatort“ aus Göttingen: Streichholz und Reibefläche
Fettnäpfchentag für Kommissarin Charlotte Lindholm in Göttingen. Früh gibt es bereits ein Highlight des Jahres in der „Tatort“-Reihe.
Im November 2017 erzählten uns Drehbuchautor Jan Braren und Regisseurin Anne Zohra Berrached von einer Gewalterfahrung der Hannoveraner Kommissarin Charlotte Lindholm (Maria Furtwängler). Der Vorfall belastet sie weiterhin schwer, damals beeinträchtigte er auf fatale Weise ihre beruflichen Entscheidungen.
Ein Verdächtiger, dem sie heftig zugesetzt hatte, nahm sich in der Haft das Leben. Lindholm trägt nicht alleine Schuld daran, wird aber zum Sündenbock. Und strafweise vom LKA Hannover zur Polizeidirektion Göttingen abgestellt.
Jan Braren, dazu Stefan Dähnert und als Koautorin sowie Regisseurin Franziska Buch knüpfen mit dem „Tatort“-Beitrag „Das verschwundene Kind“ an den Vorgänger an. Nicht unproblematisch, denn ein paar eingeworfene Stichworte müssen reichen, um die bisherigen Ereignisse in Erinnerung zu rufen.
Lindholm pendelt erstmals nach Göttingen. Noch immer ist ihr Einschätzungsvermögen traumabedingt beeinträchtigt. Hinzu tritt ihre Annahme, dass Göttingen Zwischenstation bleiben wird. So kommt es, dass sie innerhalb des Göttinger Kommissariats in jedes erreichbare Fettnäpfchen tappt. Die Autoren machen daraus, anders als beispielsweise die Kollegen vom Team des Dortmunder „Tatorts“, keine theatralisch aufgeblasenen Psychoexzesse.
Göttingen-„Tatort“: „Das verschwundene Kind“, So., 20.15 Uhr, ARD
Gleich Lindholms erster Fauxpas wäre dort vermutlich als selbstgefälliger Slapstick in Szene gesetzt worden: Sie betritt einen mutmaßlichen Tatort, trifft auf eine schwarze Frau in Schutzkleidung und hält sie für eine Putzfrau. Tatsächlich ist Anaïs Schmitz (Florence Kasumba) eine gleichrangige Kollegin. Die Demütigung wird nicht mit großer Kelle aufgetischt, äußert sich in Blicken, im Mienenspiel, wird gerade deshalb auf Zuschauerseite schmerzhaft spürbar.
Für Lindholm ein gehörig verpatzter Beginn, der sich bei der Vorstellung in der Dienststelle fortsetzt. Sie und Schmitz sind wie Streichholz und Reibefläche, einmal wird es richtig hitzig zwischen den beiden. Wenn es aber um die Sache geht – ein Neugeborenes und dessen minderjährige Mutter werden vermisst –, ist die gegenseitige Abneigung im Nu vergessen.
Franziska Buch pflegt einen ähnlich sensiblen Regiestil wie vordem Anne Zohra Berrached. Realistisch, mit Sinn fürs Detail, für Nuancen. Und mitfühlend selbst dort, wo schlimmste Verbrechen begangen werden. Das Jahr ist gerade erst im zweiten Monat, aber der NDR setzt schon mal einen hohen Maßstab für kommende „Tatort“-Filme.
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