Tatort-Autor Jeltsch über seine Krimis: "Nach dem Mord beruhigt ins Bett"
Auch als Zuschauer mag er nicht, dass Filme zu staatstragend sind, sagt Drehbuch-Autor Christian Jeltsch. In seinem kommenden "Tatort" geht es um Themen wie die Grenzpolitik der EU.
taz: Herr Jeltsch, Sie schreiben seit Anfang der 90er Jahre Krimidrehbücher und haben sich dabei auf politische Stoffe spezialisiert. Ihr aktueller Bremer "Tatort" etwa handelt von den Konsequenzen eines im Mittelmeer gesunkenen Flüchtlingsboots. Warum?
Christian Jeltsch: Es ist nicht so, dass ich nur über politische Themen schreiben würde, sie interessieren mich nur besonders. Und wenn ich ein politisches Thema für mich entdeckt habe, dann verpacke ich das gern in Krimiform, weil ich die Erfahrung gemacht habe, dass das eine gute Möglichkeit ist, überhaupt solche Geschichten zu erzählen. Dass beim "Tatort" sieben, acht Millionen Zuschauer garantiert sind, macht es den Redaktionen leichter, sich darauf einzulassen, als bei Einzelstücken. Voraussichtlich im Herbst wird ein Zweiteiler von mir laufen über Wasserknappheit und -privatisierung, der nach sechs Jahren endlich realisiert wurde. Das Thema war den Redaktionen erst noch zu abstrakt, dabei sagen alle Experten, dass die Kriege des 21. Jahrhunderts nicht mehr ums Öl geführt werden, sondern ums Wasser. Ein Thema, das ich seit bestimmt zehn Jahren verfolge, parallel zu anderen Projekten immer wieder recherchiert habe, bis der Topf im Hirn voll war und ich dachte: Jetzt kann ich eine Geschichte daraus machen.
Wie schafft man es, dass ein Krimi, der ja vorrangig unterhalten soll, nicht zu thesenlastig wird, nicht zu sehr Ihr angelesenes Wissen referiert?
Die Gefahr besteht natürlich immer, und ich kann mir vorstellen, dass mancher Zuschauer oder Kritiker das auch diesem Film vorwerfen wird. Mir ist es allerdings wichtig, dass meine Figuren eine klare Haltung haben und so ein unterbelichtetes Thema in das Bewusstsein des Zuschauers bringen. Als ich das Drehbuch geschrieben habe, war die Sicherung der EU-Außengrenzen noch kein so großes Thema wie seit der Flüchtlingswelle der letzten Monate, die dafür zuständige Agentur Frontex kannte kein Mensch. "Frontex - klingt wie ein Insektenvernichtungsmittel", das ist ein Originalzitat, das ich ins Buch eingebaut habe. Ich verfolge dieses Thema seit einem Drehbuch für den Münchner "Polizeiruf 110"-Kommissar Tauber, den ich erfunden habe, und fand es an der Zeit, mal wieder von diesen sich verschärfenden Migrationskonflikten zu erzählen. Gleichzeitig mag ich es als Zuschauer aber selbst nicht, wenn Filme zu staatstragend daherkommen. Umso wichtiger ist eine Redaktion, die den Autor nicht nur motiviert, sondern auch mal bremst.
Christian Jeltsch, geboren 1958, gehört spätestens seit dem Grimme-Preis für die Ruhrpottkomödie "Einer geht noch" 2001 zu den profiliertesten deutschen Drehbuchautoren.
Wie findet man die richtige Redaktion?
Das ist Trial and Error. Anfangs bin ich hin und wieder auf die Nase gefallen, habe häufiger Stoffe entwickelt, die dann plötzlich doch nicht umgesetzt wurden, aber nach 20 Jahren im Geschäft weiß ich, bei welchen Redaktionen ich Gehör finde und bei welchen nicht - beim Münster-"Tatort" etwa hätte ich schlechte Karten, weil der das eher komödiantische Segment bedient. Das sind Erfahrungswerte. Als Autor muss man nicht nur schön schreiben können, sondern auch die Erwartungen des Gegenübers antizipieren können. Dazu gehört auch, den Redakteuren das Gefühl zu geben, dass man seine Geschichten im Griff hat. Das Bedürfnis der Redaktionen nach Sicherheit ist in den letzten Jahren extrem gestiegen, weil die Wichtigkeit der Einschaltquote einen hausgemachten Druck erzeugt. Früher hat man Kollegen zu einem guten Film gratuliert, heute gratuliert man zu einer guten Quote - eine bedauerliche Entwicklung.
Wie wird sich der Fernsehkrimi Ihrer Meinung nach weiterentwickeln?
Er wird auf jeden Fall eine Passion der Deutschen bleiben, die es offenbar mögen, nach Mord und Totschlag beruhigt ins Bett gehen zu können und nicht weiter über den Film nachdenken zu müssen. Ich habe ja versucht, beim "Tatort" auch mal mit einem offenen Ende zu arbeiten, und dafür ganz schön Prügel bezogen. Für mich gehört die Zukunft dem 60-Minüter in Form einer Miniserie von fünf, sechs Folgen, weil das den heutigen Konsumgewohnheiten mit DVD-Boxen und Internetstreams mehr entgegenkommt als der - im Vergleich zu US-Serien - eher langatmige deutsche 90-Minüter, in dem der Kommissar oft erst mal zum Zeugen hinfährt, wenn er sagt: Jetzt muss ich da mal hinfahren. In US-Serien ist er gleich da und stellt die entscheidende Frage. So konzentriert zu erzählen, ist große Kunst.
Haben Sie schon Konzepte für eine solche Miniserie in der Schublade?
Ja, Konzepte habe ich immer viele, aber bisher wollte es noch keiner haben. Die Zeit ist wohl noch nicht reif - zumindest nicht in Deutschland. Aber ich werde es weiter versuchen. Als Drehbuchautor braucht man einen langen Atem.
Der Tatort "Der illegale Tod" wird am Sonntag, den 15. Mai 2011 um 20.15 Uhr auf ARD gesendet.
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