■ Beuys' Legende: Tataren, Filz und Fett
Soeben ist im Elefanten Press Verlag eine „erweiterte Beuys Biographie“ erschienen (Frank Gieseke, Albert Markert: „Flieger, Filz und Vaterland“, 224 Seiten, 122 Abb., 39,90 DM), die mit einigen Mythen des immer noch berühmtesten deutschen Künstlers der Nachkriegszeit aufräumt.
Die aufsehenerregendste Enthüllung der beiden Autoren betrifft die Tataren-Legende, die für Beuys und seine Jünger von zentraler Bedeutung ist.
Nach den Recherchen von Gieseke und Markert darf man sich fragen, ob Beuys' mythisches Urerlebnis, bei dem er zur Wahl der Materialien für seine künstlerische Arbeit inspiriert worden sein will, nicht ein aufgelegter Schwindel war.
Beuys hat behauptet, er habe nach dem Abschuß seiner Maschine über der Krim „ungefähr 12 Tage“ bewußtlos bei den Tataren verbracht: „Ich erinnere mich an den Filz, aus dem ihre Zelte gemacht waren, an den scharfen Geruch von Käse, Fett und Milch. Sie rieben meinen Körper mit Fett ein, damit die Wärme zurückkehrte, und wickelten mich in Filz ein, weil Filz die Wärme hält.“
Gieseke und Markert haben sich die Akten der deutschen Dienststellen kommen lassen: Danach ist die Maschine, eine Ju87, am 16. März 1944 abgestürzt. „Den Eintragungen im Soldbuch und dem Eintrag im Krankenbuchlager Berlin ist zu entnehmen, daß Beuys vom 17. März bis 7. April 1944 im mobilen Feldlazarett 179, Kruman- Kemektschi, gepflegt wurde. Der acht- bis zwölftägige Aufenthalt [...] kann also höchstens 24 Stunden gedauert haben.“
Den Thesen des Berliner Soziologen Heinz Bude über den Osten als mythischen Raum des deutschen Nachkriegsbewußtseins tut dies keinen Abbruch, es scheint sie im Gegenteil zu bestätigen. Wir drucken seinen Aufsatz in leicht gekürzter Fassung mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift Transit (Verlag Neue Kritik). Zuletzt sind von Heinz Bude erschienen: „Das Altern einer Generation. Die Jahrgänge 1938–1948“ (Suhrkamp) und „Deutschland spricht. Schicksale der Neunziger“ (Berlin Verlag). taz
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