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Tarkan Superstar für alle

Wo verschleierte Mädchen und Türkeiurlauber gemeinsam Liebeslieder singen: Bei dem Konzert des Türkpop-Gottes Tarkan am Sonntag abend in der Columbiahalle kannten alle, türkische, deutsche und polnische Fans, die Texte  ■   Von Kirsten Küppers

Schwierige Parkplatzsuche. Silberne und schwarze Mercedesse umkreisen die Columbiahalle. Türkische Jungs mit Handy am Ohr hängen hinterm Lenkrad. Die Mädchen sind schon alle in der Halle. Tarkan gehört ihnen. Sie haben ihren Superstar der Popmüzik als ersten türkischen Sänger in die deutschen Top ten gehieft. Jetzt ist Kreuzberg mit seinen Plakaten zutapeziert, die Columbiahalle voll mit Ausgehgarderobe. Der Held des Türkpop besuchte als eine der letzten Stationen seiner Deutschlandtournee am Sonntag abend Berlin.

Eigentlich will er mit seiner Geliebten schlafen, aber das muß man ja nicht so direkt in alle Welt hinausschreien. Tarkan umschifft das Problem mit „Simarik“ („Wenn ich dich kriege“) und zwei Schmatzern, die ihn auch in die belgischen und französischen Charts katapultiert haben. Immerhin weiß jeder genau, worum's geht, nämlich immer nur um Liebe, Liebe und Sex. Seit neueren Zeiten auch in türkisch, nicht nur genierlich angedeutet, sondern offen auf der Bühne mit Hüftkreisen und Lippenschnalzen von einem biegsamen Tarkan interpretiert. Orientklänge werden mit Discobeats aus dem Computer gemischt.

Wenn sich sonst die Ausgehwelt der türkischen Jugendlichen weitgehend außerhalb des Erlebnishorizonts der übrigen Berliner abspielt, ist das immerhin bei Türkpop-Gott Tarkan anders. Den kennen inzwischen auch die anderen aus Radio, Fernsehen und Bravo. Das Publikum in der Columbiahalle hat trotzdem meistens langes, dunkles Haar, das von rechts nach links geschüttelt wird, trägt Make-up um die Augen und Fotoapparate in der Hand. Die Fans kreischen zur Probe schon mal, bevor das Idol erscheint. Drei Polinnen haben acht Stunden Anreisezeit hinter sich und versichern: „We love him.“ Die, die weniger rausgeputzt sind, sind die deutschen Türkeitouristen. Die kennen Tarkan, weil strandrauf, Hoteldisco runter der letzte Urlaub mit „Simarik“ beschallt wurde. Den heißgeliebten Kußsong singt Tarkan dann auch dreimal und wird dafür dankbar mit Rosen und Stofftieren beworfen.

Alle können alle Texte. „Die Nächte ohne dich“, schluchzt ein verschleiertes Mädchen mindestens genauso leidenschaftlich wie das Idol in Tigermantel und Sonnenbrille selbst. „Wenn ich mitsinge, hört sich das sicher ein bißchen anders an als die türkische Sprache“, entschuldigt sich eine 19jährige Deutsche. Was sie da radebrecht, versteht sie zwar nicht, aber Tarkan sieht auf jeden Fall auch im Bühnennebel „so süß aus“. „Einfach geile Musik“ treibt eine 21jährige Hohenschönhauserin ins Konzert. Sie hatte ein wenig Probleme, sich die Texte von türkischen Freunden übersetzen zu lassen. „Wo ich wohne, gibt‘s keine Türken“, stellt sie lakonisch fest.

Um Tarkan zu etikettieren, zitieren Publikum wie Presse superlative Musikprominenz. Er ist der türkische Elvis, Michael Jackson, Eros Ramazotti und George Michael. Ganz egal, solange er West-Image verkörpert. Solange er den Dreitagebart-Kopf eitel in den Nacken schmeißt und sexy mit den Hüften schlackert, schraubt er sich immer weiter in die Herzen seiner weiblichen Fans. Mit Elvis verbindet Tarkan außer dem lasziven Hüftschwung auch der Ärger mit den Einberufungsbehörden. Elvis hat seinen Militärdienst bekanntermaßen in Deutschland abgeleistet, der in New York wohnende Tarkan kann derzeit nicht in die Türkei zurück, ohne von der Armee kassiert zu werden. „Dafür habe ich keine Zeit“, sagt er, und viele weibliche Fans haben dafür Verständnis. „Müzik ist wichtiger als Militär“, findet eine türkische Mutter, die mit ihren beiden Teenager-Töchtern ins Konzert gekommen ist. Tarkan sei vor allem für die in Deutschland lebenden türkischen Jugendlichen von großer Bedeutung, sagt sie. „Er schafft das alles. Seine Karriere geht immer weiter. Er ist ein süßer Junge!“ Die türkische Jugend ist stolz auf den singenden Gastarbeitersohn aus dem hessischen Alzey, der mit 15 Jahren in die Türkei zurückgegangen ist, wo er klassischen türkischen Gesang studierte, um später traditionelle orientalische Melodien mit Disco-Beats zu europäischem Technopop zu verwursten. Gelernt ist immerhin gelernt. Bravourös meistert Tarkans Stimme auch anspruchsvolle Stücke im Stil türkischer Volksmusik, begleitet von der traditionellen Zither. Aber die Hits mit Gitarrensoli von einem langmähnigen Gitarrentier ernten bei der Jugend deutlich mehr Ausflippen. Für in Deutschland lebende Türken der zweiten und dritten Generation ist Tarkan ein vorzeigbares türkisches Exportprodukt, modern und doch traditionell. Liebeslieder auf türkisch singen ist längst nicht mehr altbacken, sondern tauglich für westliche Musikvideosender. Das schafft Selbstbewußtsein. Als Tarkan die dritte Strophe von „Incitanem“ anstimmt und von „Ich werde zurückkommen“, „Weine nicht“ und „Vergiß mich nicht“ singt, antworten türkische Fans mit „Turkiye, Turkiye!“-Rufen.

Politik ist indes Tarkans Sache nicht. Er würgt aufkeimenden Nationalismus mit einem neuen Diskoschlager ab und schickt Küsse ins Publikum. Denn eigentlich geht es doch immer nur um Liebe, Männer und Frauen. „Daß einer eine so große Menge Mädchen begeistern kann, das imponiert mir“, erklärt ein türkischer Junge.

Immerhin weiß jeder genau, worum es geht, nämlich immer nur um Liebe, Liebe und Sex, auch auf türkisch

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