KOMMENTAR: Tarifliche Extrawurst
■ Der Senat sitzt im Tarifstreit zwischen Baum und Borke
Seit gestern wird in Ost-Berlin ein »Ball Paradox« gegeben. Bei Tarifverhandlungen sitzen die Hauptkontrahenten auf der Arbeitgeberseite. Der Senat hat schon vor Monaten eine Anhebung der Löhne und Gehälter auf 80 Prozent des Westniveaus verkündet. Hinter diese Marge kann er nicht zurückfallen, ohne erheblichen Gesichtsverlust zu erleiden. Er hat gar, seltsam genug für einen Arbeitgeber, bereits vorab lauthals verkündet, daß ihm die entsprechenden Gelder zur Verfügung stehen. Bei soviel kämpferischem Impetus kommt die ÖTV nur schwer hinterher. Es dürfte das erste Mal in der langen Geschichte der Arbeitskämpfe sein, daß sich eine Gewerkschaft der Forderung eines Arbeitgebers anschließt. Wenn die ÖTV jetzt die Muskeln spielen läßt, dann in der Erwartung, daß die Tarifgemeinschaft der Länder (TdL) dem Berliner Begehren nach einem Sonderweg eine klare Absage erteilen wird. Der Senat, der immer, zwar leise aber vernehmlich, gesagt hat, daß er einen Rauswurf aus der TdL nicht riskieren will, wäre dann aus dem Schneider, und der schwarze Peter läge bei der Tarifgemeinschaft. Und dies könnte dem Senat recht sein, denn eine spezielle Berliner Tarifregelung verlagert das Wohlstandsgefälle von der Stadtmitte an den Stadtrand. Deshalb ist die Berliner Position verständlicherweise bei den neuen Bundesländern unbeliebt. Die alten Bundesländer wollen Berlin politisch sowieso schon seit längerem dort verorten, wo es auch liegt — im Osten. Der augenblickliche tarifpolitische Kurs des Senats schlingert zwischen der Scylla des Unmutes der Beschäftigten und der Charybdis des Protestes der neuen Bundesländer. Auf Dauer eingehalten, steuert dieser Kurs auf einen verlorenen Posten zu. Den wird Berlin spätestens dann einnehmen, wenn über die Neuverteilung des Finanzausgleichs zwischen Bund und Ländern verhandelt wird. Dieter Rulff
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