Tarifkonflikt bei Berliner Kinos: Streik vor der Leinwand
Der Tarifkonflikt bei den Yorck-Kinos eskaliert: Die Gewerkschaft Ver.di droht mit Warnstreiks – ausgerechnet während der Berlinale. Es wird erneut verhandelt.
Das ist auch das Drohszenario von Jörg Reichel von der Gewerkschaft Verdi: Entweder schnelle Lohnerhöhungen oder Buhrufe in Richtung Arbeitgeber rund um die Berlinale, so seine Ansage an die Yorck-Kinogruppe. Sie betreibt 14 Programmkinos und ist in Berlin Marktführer im Bereich des Arthouse-Kinos.
An diesem Mittwoch und bei Bedarf nächste Woche noch einmal wird darüber verhandelt, ob es zu den angedrohten Warnstreiks während der Berlinale kommen wird. Gerungen wird um die Erhöhung eines Hungerlohns von derzeit 12,50 Euro um einen Euro, also in äußerst maßvoller Dimension – das ist zumindest die Sichtweise des Gewerkschafters Reichel.
Nicht sehenden Auges in die Insolvenz
Demgegenüber steht die Aussage des Geschäftsführer der Yorck-Kinogruppe Christian Bräuer: Er sagt, selbst ein paar Cent mehr Stundenlohn für seine Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen an den Kinokassen und im Service seien derzeit einfach nicht drin. „Ich kann doch ein Unternehmen nicht sehenden Auges in die Insolvenz schicken“, erklärt er und klingt dabei ziemlich dramatisch.
Bereits im vergangenen Herbst hatte es drei Warnstreiks gegeben. Von den etwa 140 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen der Yorck-Kinogruppe werden rund 90 von Verdi vertreten. Und die Gewerkschaft hat nun beschlossen, für diese zu kämpfen.
Schaut man sich die Argumente von beiden Seiten an, muss man sagen: Hier eine Einigung zu finden wird nicht leicht. Reichel sagt, die Yorck-Kinogruppe sei ein „großer Player auf dem Berliner Kinomarkt“.
Bessere Löhne als im Multiplex
Dem entgegnet Bräuer, im Vergleich zu den Multiplexketten, die im Gegensatz zu den vielen anderen kleinen Independentkinos in Berlin ebenfalls Tarifverträge mit Verdi abgeschlossen haben, sei man nur ein kleiner Fisch, „ein mittelständisches Unternehmen“. Und man bezahle jetzt schon zumindest leicht höhere Löhne als jene. Die Frage, warum Verdi aktuell vor allem die Yorck-Kinogruppe im Visier hat und nicht auch die Multiplex-Kinos, muss sich die Gewerkschaft schon gefallen lassen.
Reichel sagt auch, 13,50 Euro Einstiegsgehalt für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Yorck-Kinogruppe sei ja wohl nicht zu hoch gegriffen. Bräuer entgegnet, „der Personalkostenblock ist jetzt schon ziemlich hoch“; zudem habe man erst im Juli die Löhne zwischen 15,4 bis 22,7 Prozent erhöht. „Ich wollte, ich könnte jedem 50 Euro Stundenlohn bezahlen“, sagt er, „das geht aber nicht.“
Tatsächlich kann man ganz grundsätzlich jeden und jede verstehen, der oder die gerne mehr verdienen möchte als bloß etwas mehr als den Mindestlohn, erst recht angesichts von Inflation und steigenden Preisen. Allerdings finden diese Tarifverhandlungen in einer für die Kinobranche ziemlich schwierigen Zeit statt. Bräuer spricht von „einem Markt, in dem immer noch 20 Prozent weniger Besucher zu verzeichnen sind als vor Corona“.
Jörg Reichel, Verdi
Multiplexe erfolgreich mit Blockbustern
Er meint damit speziell den Arthouse-Bereich. Denn die Multiplexkinos kamen dank Blockbustern wie zuletzt „Avatar“ und dem neuen „Top Gun“-Film besser aus der Krise als die Programmkinos. Genau zu diesem Ergebnis kam auch der „Quartalsbericht Medien“ von Verdi vom vergangenen Oktober. Darin ist auch die Rede davon, dass das geringere Publikumsinteresse wahrscheinlich ein „längerfristiger Trend“ sei. Prognostiziert wird außerdem, dass bundesweit die Anzahl der Programmkinos abnehmen dürfte.
Unmittelbar vor den Verhandlungen sind sowohl Verdi-Mann Reichel wie der Geschäftsführer der Yorck-Kinogruppe um verbale Abrüstung bemüht. Reichel sagt: „Kinobetreiber in Berlin behandeln ihre Mitarbeiter schlecht. Die Yorck-Kinogruppe geht mit ihren Beschäftigten eigentlich ordentlich um.“
Sein Gegenspieler Bräuer gibt immer wieder zu verstehen, dass er die Forderungen verstehe, diese aktuell aber einfach aus Sachgründen nicht erfüllen könne. Gleichzeitig sagt Reichel, er gehe von einem Anstieg der Besucherzahlen auch in den Programmkinos im Jahr 2023 aus – obwohl das den Prognosen des eigenen Quartalsberichts widerspricht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin