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Tanzperformance in Berlin„Lets keep playing, until we get it right“

In ihrem Solo „GRIT“ verbindet Milla Koistinen Tanz, Sport und gesellschaftliche Resilienz. Was trägt die konzentrierte Choreografie der Ausdauer?

Das gelbe Segel wird Partner und Gegner der performenden Choreografin Foto: Ilkka Saastamoinen

Konzentration, Körperspannung und Durchhalten. Ausholen, hinfallen und aufstehen. Wie in Trance bewegt sich Milla Koistinen mit absolutem Fokus durch den Raum, deutet mit fließenden Bewegungen eine Sportart nach der anderen an. Über Boxen, Speerwurf, Kugelstoßen und Hochsprung ist alles dabei. Wiederholen, andeuten, abbrechen. In diesem Tanz sind keine Härte, keine Ecken, kein Rucken, trotzdem ist jede Bewegung voll Klarheit und Stärke.

In „GRIT (for what it’s worth)“ beschäftigt sich die finnische Choreografin mit Ausdauer und Resilienz. Daraus ist ein kraftvolles Solo entstanden, in dem Milla Koistinen kunstvoll Sport und Performance-Kunst miteinander verknüpft – denn Tanz ist schließlich beides.

Beides ist körperliche Arbeit und beides lässt sich vor dem Hintergrund von Durchhaltevermögen auf unsere krisengeschüttelte Gesellschaft übertragen. Berlinpremiere war am 16. Mai in den Uferstudios.

Ein riesiges gelbes Segel ist das einzige Requisit auf der ansonsten leeren Bühne. Zunächst auf dem Boden rechteckig gefaltet, entwickelt es sich mit der Zeit zum Partner wie auch Gegner der Künstlerin. Mit bedachten und hochkonzentrierten Bewegungen faltet sie es erst auf, um es doch wieder vor dem Körper zusammenzuraufen, bis es schließlich an zwei von der Decke hängenden Haken befestigt und aufgezogen wird. Wie ein Lichtblick hängt diese gelbe Fläche nun im Raum, neben dem Milla Koistinen ganz klein wirkt.

Ein Duett zwischen Tänzerin und Segel

Es entfaltet sich nun ein Duett zwischen Tänzerin und Segel, in dem die Rollen immer wieder verschwimmen. Milla Koistinen hängt sich in das Material, wird so von ihm gehalten, schwingt sich herum, legt es um ihre Schultern wie ein Superman-Cape. Das Segel hält, stützt und pusht sie, leuchtet als Zielobjekt und Lichtblick am Ende des Tunnels.

Gleichzeitig leistet es Widerstand, ist somit auch Gegner. Es ist sichtbar, wie viel körperliche Kraft nötig ist, um mit ihm so zu interagieren. Das gelbe Segel ist eine starke Metapher für das Ziel wie auch den Weg dahin und spiegelt im Zusammenspiel mit der Tänzerin zum einen die Ausdauer und Entschlossenheit, zum anderen das Kämpfen und die Hürden wider.

Stimmungstechnisch gibt es nach der Hälfte etwa einen Bruch. Dieser wird vor allem durch eine Veränderung des großartigen Sounds von Paul Valikoski und Grégoire Simon deutlich, der bisher hypnotisch und antreibend, bis zum heroisch-dramatischen, immer wieder gemischt mit Stadiongeräuschen, durch die Performance getragen hat.

Der Herzschlag untermalt das Kippen

Dieser kippt irgendwann in eher stressig-elektronische Sounds, untermalt von einem Herzschlag. Damit ändern sich auch die Bewegungen von Milla Koistinen: Sie werden härter, beinahe verzweifelt, ihr Blick geht dabei direkt ins Publikum. Ihre Mimik ist über den ganzen Abend hinweg genauso Bestandteil der Performance, die jede Bewegung noch intensiver macht und ebenso viel Fokus zeigt.

In diesem Teil wird die Kehrseite sichtbar, die harte körperliche und psychische Arbeit, die Ausdauer und Resilienz verlangt. Der Druck, dem man standhalten muss. Das Zusammenspiel von Bewegungen, Mimik und Sound entwickelt von Beginn an einen hypnotischen Sog. Die Performance wirkt so wie ein Rennen, ein Wettkampf vielleicht, bei dem der Fokus nicht verloren gehen darf.

Milla Koistinen gelingt es gekonnt einen Bogen von Sport zu Kunst zu unserer Gesamtgesellschaft und damit den Krisen dieser Welt zu spannen. Die Ausdauer und Resilienz, die nötig ist, um in einem Bereich zu bestehen, Widerstand zu leisten und Hindernisse zu überwinden, lassen sich auf den anderen direkt übertragen. Und welch harte Arbeit das ist, dürfte nach diesem Performanceabend allen im Publikum bewusst geworden sein.

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