piwik no script img

"Tangerine"- Film über Frauen in TangerAuf der Suche nach der Musik

Irene von Albertis aktueller Spielfilm "Tangerine" rückt den schwierigen Lebensumständen der Marokkanerinnen noch einmal ein ganzes, erhellendes Stück näher.

Alexander Scheer in "Tangerine": Man wartet auf die versprochenen Kontakte und feiert die Nächte in westlich geprägten Clubs durch. Bild: filmgalerie 451

Mit einer langen Taxifahrt in die Stadt Tanger, vorbei an öden Mietskasernen und staubigen Brachen, beginnt das marokkanische Abenteuer, das Pia (Nora von Waldstätten) und die drei Jungs ihrer Band in die alte nordafrikanische Stadt führt. Pias grüne Augen schauen mit blasierter Kühle auf die Szenerie, die alles andere als ein Eintauchen in den Mythos orientalischer Sinnlichkeit verspricht. Sorgsam vermeidet die ruhige Handkamera von Birgit Möller jeden Anschein von exotischer Pracht, denn es geht um Milieus, die sich dem Postkartenblick entziehen.

Die Band will im Marokko-Urlaub legendäre Jajouka- und Jilala-Musiker ausfindig machen, die schon die Rolling Stones inspiriert haben sollen. Man wartet auf die versprochenen Kontakte und feiert die Nächte in westlich geprägten Clubs durch. Tom, der Kopf der Band, gibt die schnöselige Tonlage an. Alexander Scheer spielt den eckigen, extrovertierten Kindmann, unentschieden gegenüber Pia, offen für Flirts. Tanger, wird bald klar, ist die letzte Bewährung für das eigentlich schon getrennte Paar.

In diesem Zustand zwischen Ablösung und Liebe treffen die Urlauber auf Amira (Sabrina Ouazani), die am liebsten in der Hauptstadt Rabat als Bauchtänzerin im Fernsehen Karriere machen würde, vorerst jedoch in den einheimischen Clubs Blicke auf sich zieht. Pia ruft Amira an den Tisch und stellt so die erste Verbindung her, aus der eine vorsichtige Freundschaft entsteht.

Pias Distanz zu ihrem Freund bringt Amira dazu, den kopflosen Tom mit Versprechungen für sich einzunehmen, sie will ihm Musikerkontakte verschaffen, zeigt ihm die Stadt, verführt ihn mit wenigen taktischen Zügen. Pia dagegen entdeckt in der Dreieckskonstellation plötzlich ihre Eifersucht und sieht in dem klaren Kalkül Amiras Verrat.

Was die Urlauber nicht wissen, ist in der Wohngemeinschaft Amiras ein offenes Thema. Die Ausreißerin hat keine Lust, sich an einen alten Mann verheiraten zu lassen oder Dienstmädchen zu werden. Bessere Aussichten hat sie ohne einen Schulabschluss kaum, es sei denn, die Bauchtanzkarriere gelänge oder aber Tom nähme sie nach Deutschland mit. Die Eltern des Mädchens arbeiten in Spanien, der Onkel erzieht es mit rabiaten Mitteln. Zuflucht bietet die Wohnung zweier Frauen, die als illegale Prostituierte arbeiten. Nachts suchen sie im Glitzerfummel Freier in denselben Clubs, die auch Pia und ihre Freunde besuchen, tags machen sie unter dem Kaftan verborgen ihre Behördengänge oder bringen das Kind der einen in die Schule.

Irene von Albertis Drehbuch basiert auf Gesprächen mit marokkanischen Frauen, die in der Grauzone zwischen gesellschaftlicher Ächtung und Polizeiwillkür arbeiten. Das Huren-Stigma ist zumeist ihre einzige Alternative, wenn sie aus den traditionalistischen patriarchalen Eheverhältnissen ausbrechen. Die klarsichtigen Lästereien dieser Freundinnen, vor allem ihr gnadenloses Hexengelächter, gehören zu den schönsten Passagen von "Tangerine", die Härte dieser Frauenleben spiegelt sich darin ebenso wider wie der phantastische Elan, mit dem sie sich darüber lustig machen und Tom als Wunderprinzen zurechtfabulieren. Just jedoch in dem Moment, in dem die Ausreißerin tatsächlich in Not gerät und Pias Hilfe braucht, erscheint den coolen deutschen Beziehungsurlaubern die Intrige "zu kompliziert" und man zieht sich zurück.

Den Riss zwischen den europäischen und nordafrikanischen Kulturen beschreibt Irene von Alberti unterhaltsam und mit viel Milieukenntnis. Nach ihrer Paul-Bowles-Adaption "Halbmond" (1995, zusammen mit Frieder Schlaich gedreht) und dem Dokumentarfilm "Bouchra" über eine junge Schneiderin ist "Tangerine" der dritte Film über Tanger. Mit jedem rückt sie den tabuisierten Lebensverhältnissen der Frauen ein Stück näher.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

4 Kommentare

 / 
  • MS
    Martin Stein

    Diesen Film sah ich vor zwei Tagen, jetzt erst las ich die Beschreibung.

    Eine großartige schauspielerische Leistung, interessante psychologische Aspekte - und wie nicht anders erwartet, ein interessantes Thema.

    Ein Film, dessen Eindruck sich nicht leicht wegwischen läßt. Viele Seher sind Qualität nicht mehr gewohnt und müßten neu erlernen, einen großartigen Film zu erkennen und diesen dann auch entsprechend zu genießen.

    Da er aus einer unüberschaubaren Masse von üblicherweise minderwertigsten Filmen herausragt,

    kann es nur eine Beurteilung geben : Hervorragend!

  • C
    Christin

    Tangerine. Ein sehenswerter Film der das Land Marokko vielleicht in ein komplett anderes Licht rückt. Da ich selbst marokkanisch-deutsch bin und französisch fließend spreche waren die 100 "filmminuten" sehr amüsierend.

     

    Chapeau an die Regisseure und eine klasse Filmidee mit neuem Visionen

  • C
    Chris

    Der Film ist alles andere als langweilig! Ein echtes Highlight im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und noch bis Sonntag (?) in der ZDF-Mediathek abrufbar ...

  • L
    leila

    voll langweiliger film nicht zu empfehlen schaade um die 1 euro 70 ausleih gebühr .