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Talk zur WM-QualifikationDer große Kick der kleinen Länder

Es ist kein Größenwahn, dass die Färöer von einem Sieg über Kroatien in der WM-Quali geträumt hatten. Und Gibraltar von einem Triumph über Tschechien.

Da schien die Welt noch veränderbar zu sein: Färöer-Spieler bejubeln das 1:0. Am Ende ging das Spiel 1:3 für Kroatien aus Foto: imago/Pixsel

Das ist natürlich doppelt ärgerlich für die Färöer Inseln. Nicht nur, dass die Kicker der zu Dänemark gehörenden Inselgruppe mit 1:3 gegen Kroatien verloren. Zu allem Überfluss hat auch Gibraltar eine 1:2-Niederlage gegen Montenegro einstecken müssen. Und das, obwohl beide Teams hochmotiviert ins Spiel gingen und jeweils 1:0 vorne lagen.

Es gibt viele (eigentlich: alle) Fußballexperten, die achselzuckend feststellen, dass sich wahrlich niemand über Niederlagen von Gibraltar oder der Färöer Inseln wundern muss; das Gegenteil sei halt die Überraschung.

Einerseits ist das richtig. Aber andererseits leben wir im Jahr 2025. Und da lohnt es sich, ein wenig Färöer-Mathematik zu studieren. Die hat Nationaltrainer Trainer Eyðun Klakstein entwickelt: Hätten die Färöer gegen Kroatien wenigstens ein Unentschieden geholt, und wäre Gibraltar mit Chancen ins heutige Spiel gegen Tschechien gegangen, dann würden die Färöer in den Play-offs mit guten Aussichten um ihre erste WM-Teilnahme spielen.

Wir leben im Jahr 2025. Da lohnt es sich, ein wenig Färöer-Mathematik zu studieren.

Woher kam dieser Optimismus über eine eventuelle gibraltarische Stärke? Aus der eigenen Erfahrung. Die Färöer hatten nämlich selbst vor vier Wochen gegen Tschechien 2:1 gewonnen.

Kleine Stiche gegen große Fußballländer

Wer will, kann also in dieser WM-Qualifikation bemerkenswert viele kleine Risse in der bisherigen Architektur des europäischen Fußballhauses erkennen. Gucken wir hin:

Belarus trotzt beim 2:2 in Kopenhagen Dänemark einen Punkt ab.

Finnland verliert zu Hause 0:1 gegen Malta.

Bosnien und Herzegowina haut das einst fußballstolze Rumänien mit 3:1 weg.

Belgien muss beim 1:1 in Kasachstan einen Punkt lassen.

Kosovo gewinnt in Slowenien 2:0.

Irland schlägt Portugal 2:0, wobei Ronaldo noch Rot sieht.

Und Luxemburg hält eine Halbzeit das 0:0 gegen Deutschland.

Wenn viele Zufälle zusammenkommen, sind es bekanntlch keine Zufälle mehr. Ein oder zwei Überraschungsergebnisse an einem derart großen WM-Quali-Spieltag hat es immer gegeben; sie machen den Fußball attraktiver. Aber diesmal fällt auf, dass es immer mehr große oder früher einmal große Fußballnationen gibt, die sich der Herausforderung durch die Auswahlteams kleiner Länder nicht oder nur schwer erwehren können. Und es fällt auf, dass diese vermeintlich Kleinen mit äußerst großer Motivation in ihre Spiele gehen.

Die Färöer-Mathematik

Es ist die Färöer-Mathematik. Warum eigentlich sollte Gibraltar nicht gegen Tschechien gewinnen, hat sich Eyðun Klakstein gefragt? Wir haben die doch auch besiegt.

Wir leben im Jahr 2025. Nationalstaaten, die ihre Grenzen dichtmachen, sind die Normalität. Und innerhalb dieser Staaten macht die jeweilige Mehrheitsgesellschaft für sich geltend, die bessere, wichtigere und in jedem Fall tonangebende soziale Gruppe zu sein. Das wiederum macht es für Gruppen, die nicht zu dieser herrschsüchtigen Mehrheitsgesellschaft gehören, auf einmal plausibel, etwas Eigenes haben zu wollen – einen Staat oder wenigstens eine Fußballnationalmannschaft.

Die Färöer, das Kosovo und auch Gibraltar haben voll anerkannte Nationalmannschaften, aber sie sind als Staaten nicht Teil der UN. Doch sie wissen, wie wichtig Sport und Kultur für die Anerkennung sind. Die erfolgreiche Teilnahme am European Song Contest ist so etwas wie die Aufnahme diplomatischer Beziehungen. Bei einer EM mitzukicken, ist die Vorstufe für EU-Beitrittsverhandlungen. Und die Qualifikation zu einer WM ersetzt den Sitz in der Uno-Vollversammlung.

Die Färöer wissen das. Sie nutzen den Fußball schon lange für den Zweck ihrer staatlichen Unabhängigkeit von Dänemark. 1988 kamen sie in die Fifa, 1990 sorgten sie mit einem 1:0-Sieg über Österreich dafür, dass die Welt endlich die Färöer kennenlernte.

Für das Kosovo läuft seit 1993 eine Nationalmannschaft auf, etwa seit dem Kampf um staatliche Anerkennung. Seit 2016 ist es Fifa-Mitglied, und im ersten offiziellen Länderspiel gewann das Kosovo 2:0 über – Tärää! – die Färöer Inseln.

Da ist es übrigens weder Wunder noch Zufall, dass das Fifa-Mitglied Palästina seinen Kampf um staatliche Anerkennung in diesen Tagen mit Länderspielen gegen Katalonien und das Baskenland austrägt.

In den kleinen Ländern weiß man, wie wichtig Fußball ist. Die großen Staaten glauben jedoch immer noch, ihre Stärke hätte nichts mit den Zufällen des runden Balls zu tun.

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