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Take a Break ohne Kitkat

1000 Hamburger Nestlé-Beschäftigten droht Lohnkürzung im Krankheitsfall: Heftige Proteste kippen Wochenend-Sonderschichten  ■ Von Silke Mertins

Nach etwas Süßem für den kleinen Hunger zwischendurch war den Hamburger Nestlé-Beschäftigten am Sonnabend morgen überhaupt nicht zumute. „Smarties, KitKat, After Eight – gibt's nicht, wenn die Maschine steht“, reimten sich empörte ArbeitnehmerInnen ihren Protest zusammen. Denn das größte norddeutsche Süßwarenunternehmen kündigte per Aushang an, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ab 1. November entsprechend der neuen Gesetze um 20 Prozent zu kürzen. „Wir wollen 100“, machten die Proteste klar, daß die Umsetzung des gesetzlich erlaubten Sozialabbaus im Hamburger Nestlé-Werk kein Zuckerschlecken werden wird.

Zum Schichtwechsel um sechs Uhr morgens stand die Wochenend-Produktion im Werk Wandsbek still: Rund 230 Beschäftigte protestierten statt dessen gegen die geplante Lohnkürzung. Zur Spätschicht um 14 Uhr zogen noch einmal 130 Menschen in einem Protestmarsch vom Werksgelände zum Wandsbeker Neumarkt. Das Hamburger Werk ist damit „der erste Nestlé-Betrieb, der auf die Straße geht“, so der Gewerkschaftssekretär von „Nahrung, Genuß, Gaststätten“ (NGG), Walter Scheuer.

Besonders ärgerlich ist die Gewerkschaft über das Vorpreschen der Nestlé-Konzernleitung. Der 1994 für vier Jahre abgeschlossene Tarifvertrag sieht die übliche, damals noch gesetzlich vorgeschriebene 100prozentige Lohnfortzahlung vor. Zur Vorsicht habe man aber eine Protokollnotiz eingefügt, die die Vereinbarung „mit sofortiger Wirkung außer Kraft“ setzt, wenn gesetzliche Regelungen sich ändern. Daß die Arbeitgeber nun Lohnkürzungen ankündigen, bevor überhaupt neue Tarifverhandlungen geführt wurden, müssen Beschäftigte und Gewerkschaften als Kampfansage verstehen. Noch heißt die Antwort zwar nicht Streik – vor Beginn der Tarifverhandlungen besteht eine Friedenspflicht –, doch die Proteste sind ein erster Vorgeschmack auf die gereizte Stimmung im ArbeitnehmerInnenlager. „Wir können gut nachvollziehen“, daß die Beschäftigten „den Extraschichten fernbleiben“, so NGG-Sekretär Scheuer, „denn diese gelten als besonders krankmachend“.

Mit einem eiligen Alleingang bei der Lohnkürzung im Krankheitsfall war bereits ein anderer Industrie-Gigant gescheitert: Daimler-Benz-Chef Jürgen Schrempp marschierte voraus und mußte nach wütenden Massenprotesten und Uneinigkeit im Arbeitgeberlager einen peinlichen Rückzieher machen. „Nestlé bezeichnet sich selber gern als den Mercedes unter den Lebensmittelherstellern“, warnt Nestlé-Betriebsratsvorsitzender Klaus Hoffmann, „aber dann sollte man sich auch wie Mercedes benehmen.“

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