Tagung im Haus der Wannsee-Konferenz: Der Judenhass im Trend
Im Haus der Wannsee-Konferenz wird über die Aufarbeitung der Schoah diskutiert. Klaus Lederer fürchtet die Ausbreitung von Antisemitismus bei Linken.
Strauß’ Worte sind heute angesichts der wachsenden Zahl rechtsextremistisch wählender Bürger hochaktuell, genauer gesagt: der dahinter stehende Wunsch, die Nation möge ihre Untaten vergessen, Verantwortung leugnen und sich selbst zum Opfer umdefinieren.
„Nach der Shoah – und dann?“ lautete der Titel eines von der Berliner Gedenkstätte Haus der Wannsee-Konferenz organisierten Diskussionsnachmittags zur Frage, wie die Bewohner dieses Landes die Befreiung von 1945 betrachten. Die Ablehnung jeglicher Reflexion und der Wunsch nach einem „Schlussstrich“ bezeichnete der Historiker Volker Weiß dort als einen „negativen Fixpunkt unter Rechtsradikalen“. Diese hätten der jetzigen Geschichtsschreibung schon seit Jahrzehnten den Krieg erklärt.
Er verwies dabei auf ein wenig bekanntes Zitat von Giselher Wirsing, einem ehemaligen SS-Sturmbannführer und damaligem Chefredakteur der Zeitung Christ und Welt. Der warnte 1967 vor einem „Denkmal der Schande“, sollte die Villa am Wannsee, in der am 20. Januar 1942 die Durchführung des Holocaust diskutiert worden war, zu einem Gedenkort umgestaltet werden – was sie heute ist. Womit nebenbei bemerkt deutlich wurde, dass Björn Höckes berühmt-berüchtigte Worte vom Holocaust-Mahnmal als „Denkmal der Schande“ nicht seinem eigenen Hirn entsprungen sind.
Kontinuitäten deutscher Erinnerungspolitik
Es wäre grob verkürzend, würde man die Frage von Kontinuitäten deutscher Erinnerungspolitik einzig auf die Rechten verkürzen. Der im englischen Sussex lehrende Gideon Reuveni erinnerte an Kanzler Konrad Adenauer, der sich beim Abschluss des Entschädigungsabkommens mit Israel 1952 von moralischen Vorstellungen habe leiten lassen.
In der stark antisemitisch eingestellten Bevölkerung sei der Vertrag dagegen höchst unpopulär gewesen. Reuveni bezeichnete das Luxemburger Abkommen als einen „Gründungsakt“ der Bonner Demokratie. Zu den erfreulicheren Entwicklungen der Nachkriegszeit zähle schließlich das wachsende Geschichtsbewusstsein dank der bohrenden Fragen der 68er an die ältere Generation.
Dies, so Weiß, sei einer der Gründe dafür, dass die AfD heute vehement eine Revision der damaligen Vorstellungen verlangt und die 68er-Generation nebst den Grünen als liebstes Feindbild erkoren habe.
Befreiung von jeweder Schuld
Einen anderen Weg in der Erinnerungskultur als der Westen schlug die DDR ein. Davon wusste der ehemalige Berliner Kultursenator Klaus Lederer ein Lied zu singen. Er nannte die dort verordnete Vorstellung eine „Erlösungstheologie“, die das eigene Volk von jedweder Schuld befreite und dafür sorgte, dass man über Rechtsradikalismus und Antisemitismus gar nicht erst reden musste.
Diese gab es nämlich dank der Definition des Staates als per se antifaschistisch nicht, womit auch jegliche Schuld getilgt war und Entschädigungszahlungen für Jüdinnen und Juden entfallen konnten – so wie auch antifaschistischen Aktionen verboten wurden, die der Zivilgesellschaft entsprangen.
Lederer gehört zu denjenigen, die im Oktober 2024 aus Protest gegen antisemitischen Tendenzen in der Linken die Partei verlassen haben. Er machte keinen Hehl aus seiner Befürchtung, Linke seien auf dem Weg weg von der Aufklärung hin zur Reaktion. Mit Behauptungen wie „Free Palestine from German Guilt“ werde offen für Geschichtsrevisionismus geworben. Weil der direkte Antisemitismus in Deutschland verpönt sei, mache sich dieser über den Umweg Israel breit. Wer als Linker zu geringen Differenzierungen neige, für den sei der Judenhass als „Erlösungsideologie“ eine Alternative zu umständlichen Erklärungen des Geschehens im Nahen Osten.
Einfache Antworten lägen bei manchen Linken heute im Trend, so Lederer: „gut gegen böse, schwarz gegen weiß, gegen jede Differenzierung“. Dieses Denken habe durchaus Ähnlichkeiten mit Rechtsradikalen und es schließe Solidarität mit Juden aus.
Judenfeindlichkeit bei den 68ern
Folgt also die Rückabwicklung der 68er? Zarin Aschrafi wies darauf hin, dass schon diese Bewegung auch judenfeindliche Berührungspunkte besaß.
Sie erinnerte an den Juni 1969, als der damalige israelische Botschafter Asher Ben-Natan auf Einladung jüdischer Studenten an der Frankfurter Uni sprechen sollte. Doch dazu kam es nicht. Ben-Natan wurde als „Nazi-Kiesinger“ beschimpft und niedergebrüllt – eine vorgeblich antiimperialistische Aktion. Das sei nur der Beginn von jahrelangen Sabotageaktion gegen jüdisch geprägte Uni-Veranstaltungen gewesen, sagte Aschrafi.
Womit an diesem Nachmittag bewiesen ward, dass die Rückbesinnung auf glorreich erscheinende Bewegungen der jüngeren Vergangenheit kein Ersatz für eigenes Denken sind.
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