Tagung Film im Konzentrationslager: Dokumente der Täuschung
Theresienstadt gilt vielen als vergleichsweise harmloses Lager. Dieses Image gründet sich auch auf einen dort entstandenen beschönigenden Film.
Wer in Theresienstadt nicht an schlechter Ernährung oder einer Krankheit starb, wurde früher oder später in eines der deutschen Vernichtungszentren im Osten transportiert. „Transport“ war ein schreckenerregendes Wort in diesem deutschen Lager im „Protektorat Böhmen und Mähren“, das zwischen 1941 und 1945 bestand.
Von Transporten ist aber nichts zu sehen in dem 1944 unter der Ägide der SS in Theresienstadt gedrehten Film „Theresienstadt. Ein Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet“. Er stand im Zentrum einer vier Tage dauernden Konferenz in Terezin, wie Theresienstadt heute heißt. Sie hatte den Titel „Filme aus Ghettos und Lagern: Propaganda – Kassiber – Historische Quelle“.
Jahrzehntelang war der Film unter dem Titel „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ bekannt. Vermutlich stammte er von Insassen des Lagers, die damit ihrem Sarkasmus Ausdruck gaben. Theresienstadt, das teils wie ein Ghetto, teils wie ein Konzentrationslager organisiert war, ist in diesem Film als utopischer Ort dargestellt, der außerhalb des vom Krieg verwüsteten Europa zu liegen scheint.
Die Erwachsenen gehen spazieren, sitzen im Café und arbeiten im Garten. Ein Kinderchor singt die Oper „Brundibar“. Ein Fußballspiel findet statt. Fröhliche Kinder essen Brote. Die Betrachterin des Films kann nicht wissen, dass die Szene dreimal gedreht werden musste, weil die Kinder hungrig waren und die Brote schon verschlungen hatten, bevor die Kamera lief.
„Stadtverschönerung“
Der Film ist ein Dokument der Täuschung, er steht in direktem Zusammenhang mit dem Projekt „Stadtverschönerung“: Der dänische König hatte auf eine Inspektion des Lagers durch das Internationale Komitee vom Roten Kreuz gedrängt, weil er wissen wollte, wie es seinen 476 Landsleuten geht. Um sich auf den Besuch der Delegation vorzubereiten, die im Juni 1944 ins Lager durfte, wurde Kosmetik betrieben und eine Infrastruktur mit Bekleidungsgeschäften und eigener Lagerwährung vorgetäuscht. Zugleich ließ die SS Tausende in die Vernichtungslager deportieren, damit das Lager weniger überfüllt erschien.
Die „Stadtverschönerung“ erfüllte ihre Aufgabe. Das Rote Kreuz war zufrieden, eine Inspektion von Auschwitz wurde nicht mehr für nötig befunden. Wenige Wochen später begannen die Dreharbeiten für den Film, der das Bild einer musterhaften Gemeinschaft im fiktiven „selbstverwalteten jüdischen Siedlungsgebiet“ festhält. Er war wohl 90 Minuten lang. Heute liegen davon nur noch 8 Minuten des Anfangs und 15 Minuten vom Ende vor.
Der holländische Historiker Karel Margry konnte schon 1992 plausibel erklären, dass dieser Film seinen Ursprung weder in Goebbels’ Propagandaministerium hatte noch im Büro von Reinhard Heydrich, dem Stellvertretenden Reichsprotektor in Böhmen und Mähren, konzipiert wurde. SS-Sturmbannführer Hans Günther, der die Zentralstelle zur Regelung der Judenfrage der Gestapo in Prag leitete, beauftragte die Filmproduktionsfirma Aktualita mit der Herstellung des Films.
Margrys gut begründete These ist, dass Günther den beliebten deutschen Sänger, Schauspieler und Regisseur Kurt Gerron engagierte, nachdem dieser am 26. Februar 1944 nach Theresienstadt deportiert worden war. Dass Gerron in der Filmgeschichte als Regisseur geführt wird, sei aber irreführend, da die SS Gerron genauestens überwachte, und der Chef der Aktualita, Karel Peceny, bald als De-facto-Regisseur agierte.
Unklare Bedeutung
So klar auch einige historische Fakten erscheinen, so unklar bleibt die Bedeutung des Films: Welche Absicht verfolgte er? An wen war er adressiert? Wie ist zu erklären, dass er der üblichen antisemitischen Propaganda widerspricht?
Die junge deutsche Historikerin Anja Horstmann zeigte in ihrem Vortrag über einen SS-Film über das Warschauer Ghetto, wie das Bild „des Juden“ hier klar der herrschenden Ideologie entsprach. Der Schnitt der Arbeitskopie aus dem Frühjahr 1942 etabliert ein Nebeneinander von schreiender Armut und opulentem Reichtum und zeichnet das Bild einer dysfunktionalen jüdischen Gesellschaft ohne kollektiven Zusammenhalt.
Ähnlich verfährt Fritz Hipplers „Ewiger Jude“ von 1940. Eines seiner wesentlichen Topoi ist die Gegenüberstellung arischer und jüdischer Arbeit, argumentiert der tschechische, seit vielen Jahren in den USA lehrende Historiker Jindrich Toman: Arische Arbeit ist kreativ und kollektiv, sie zeigt sich im Bild der „denkenden Hände“ an Maschinen. Jüdische „Arbeit“ hingegen verwandelt nützliche Dinge in bloße Objekte des Kommerz.
Diese klassische antisemitische Gegenüberstellung wird im „Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet“ auf den Kopf gestellt. Hier gibt es muskulöse jüdische Männerkörper genauso wie die schöpferischen Hände jüdischer Töpferinnen und die sorgenden Hände jüdischer Ärzte. Toman meint daher, bei dem Theresienstadt-Film könne man nur von gescheiterter Propaganda sprechen, weil man dieses positive Bild mit dem negativen nationalsozialistischen Klischee des Juden nicht vermitteln könne.
Es geht weniger um die Juden
In der Tat ist es schwer vorstellbar, dass dieser Film einem deutschen Publikum gezeigt werden sollte. Da er die erfolgreiche Täuschung der „Stadtverschönerung“ in filmische Form brachte, könnte er für ein Publikum außerhalb des von der Wehrmacht besetzten Europa gedacht gewesen sein. Vielleicht war er auch als Dokument konzipiert, das die Zeit nach Kriegsende in den Blick nahm. Der „Dokumentarfilm aus dem jüdischen Siedlungsgebiet“ könnte, die Niederlage im Blick, als Beweismittel für einen zukünftigen Prozess gedacht gewesen sein. All das wird als Möglichkeit auf der Tagung diskutiert. Einig ist man sich, dass es in diesem Film weniger um die Juden als vielmehr um die Deutschen geht.
Wenn aus zersetzenden Juden nun doch noch produktive Menschen geworden sind, ist das in der Logik der Filmerzählung der wohlwollenden Führung durch deutsche Herrenmenschen zu verdanken. Diese groteske Botschaft wird zu einer Zeit formuliert, als Himmler vor deutschen Funktionsträgern erklärt: Die Ausrottung der Juden „durchgehalten zu haben und dabei […] anständig geblieben zu sein, das hat uns hart gemacht und ist ein niemals geschriebenes und niemals zu schreibendes Ruhmesblatt unserer Geschichte“. Der Film von 1944 propagiert die offizielle Lesart deutscher „Anständigkeit“.
Unter dem Vorbehalt, dass auch den Filmen aus Theresienstadt ein „Nazi-Blick“ (Jeremy Hicks) zugrunde liege, wurde die Frage diskutiert, ob sie dennoch „mehr enthalten als das, was die SS mit ihnen vorhatte“, wie die Historikerin Natascha Drubek in ihrer Einladung zur Konferenz formuliert hatte. Die Animationsfilmerin Irena Dodalova war für das erste Theresienstädter Filmprojekt von 1942 als Regisseurin verpflichtet worden. Sie brachte im Februar 1945 eine Schachtel mit Filmfragmenten von insgesamt vier Minuten Länge in die Schweiz.
Auf den aneinandergeschnittenen Schnipseln, die der Hamburger Filmwissenschaftler Thomas Tode anhand bestimmter Merkmale wie Überbelichtung und falscher Aufnahmegeschwindigkeit als übrig gebliebene Anfänge und Endstücke einzelner Shots erkannte, können Mitglieder des Filmteams des Sicherheitsdiensts der SS identifiziert werden. Während diese Aufnahmen so tatsächlich als Kassiber angesehen werden können, blieb die Idee, dass in den Aufnahmen jüdischer Hilfskameraleute klandestine Botschaften enthalten sein könnten, umstritten.
Widerstand vs Kollaboration
Dass es ein unerwartetes „Mehr“ in diesen Bilder gibt, zeigte sich, als Dagmar Lieblova auf den Aufnahmen von 1942 alle ihre Freundinnen aus dem Haus L-410 beim Namen nennen konnte, von denen nicht alle überlebten. Für die emeritierte Germanistikprofessorin aus Prag ist der Filmausschnitt trotz der Umstände seiner Entstehung eine Postkarte aus der Vergangenheit.
Der tschechische Diskurs über Theresienstadt wird immer noch stark von der Gegenüberstellung von Widerstand und Kollaboration beherrscht. Insofern war es erhellend, tschechoslowakische Filme der Nachkriegszeit zu sehen. Während Alfred Radoks Film Noir „Distant Journey“ über ein bürgerliches, christlich-jüdisches Ehepaar nur in der Provinz gezeigt werden durfte, weil er der Partei insgesamt "zu jüdisch" war, vermittelte Zbynek Brynychs „Transport from Paradise“ von 1962 eine antitotalitäre Botschaft, die sich gegen die antisemitisch geprägte Kommunistische Partei richtete.
„Transport from Paradise“ zeigt gleich am Anfang die Dreharbeiten zu einem Propagandafilm im Ghetto und macht deutlich, dass das Moment der Täuschung bereits in der Struktur des Lagers angelegt ist. Die Listen für den Transport in den Osten musste der Theresienstädter Judenälteste unterschreiben: Die SS hatte mit den Deportationen formal nichts zu tun. Der amtierende Judenälteste weigert sich, sie zu unterschreiben, und wird selbst deportiert. Sein Nachfolger Murmelstein erscheint im Film als zwielichtige Gestalt.
Die deutsche Filmwissenschaftlerin Gertrud Koch sprach am letzten Tag der Konferenz darüber, wie Claude Lanzmann in seinem jüngsten Film Benjamin Murmelstein Gerechtigkeit widerfahren lässt: „Einmal gesehen, kann man nicht mehr verschwinden. Das ist ein Sicherheitsfaktor“, erklärt Murmelstein seine Strategie der Sichtbarmachung. Wie Gertrud Koch zeigte, war das nicht nur praktisch gedacht. Nur wer sichtbar ist, der existiert auch, lehrt die Philosophie der alten Griechen.
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