Tageszeitung "Neues Deutschland": Neuerdings mit Humor
Nach Familienministerin Kristina Schröder bezeichnet sich das "Neue Deutschland" nun selbst als linksextrem. Und kommt ungewohnt ironisch daher.
Mit einer ungewöhnlichen Kampagne beglückte die Tageszeitung Neues Deutschland (ND) am Samstag ihre Leserinnen und Leser - und einer Aufmachung, die für die sonst eher etwas bierernste Zeitung ungewohnt ironisch ist. Über Fotos, die Mitglieder der Redaktion vermummt oder mit falschen Bärten in der Art von Fahndungsplakaten zeigen, prangt die Überschrift "Linksextremisten".
Darunter heißt es: "Bundesministerin Kristina Schröder bittet alle Bürgerinnen und Bürger um Mithilfe, die Tageszeitung ,neues deutschland' zu ergreifen. Sie hält sich gewöhnlich schon morgens in Briefkästen und an gut sortierten Kiosken auf." Zu jedem Foto gibt es eine Beschreibung. Ein Lokalredakteur "wohnt in Berlin-Kreuzberg - jedes weitere Wort über ihn wäre eine Verharmlosung".
Über eine Volontärin heißt es, sie werde "noch zur Linksextremistin ausgebildet", während die Chefin vom Dienst einräumt, "agitatorische Ausrufezeichen hinter die täglichen Schlagzeilen" zu montieren. Jürgen Reents, der Chefredakteur, bekennt schließlich, er sei ein "gebürtiger Linksabbieger". Im Blatt findet sich zudem ein Coupon für ein "Kristina-Schröder-Bildungsabo", der das Covermotiv aufgreift.
Bekanntlich ist für die Bundesfamilienministerin auch nach der Entdeckung der Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" die Demokratie gleichermaßen von Linksextremisten wie von Rechtsextremisten bedroht. In der Bundestagsdebatte über Rechtsterror wurde Schröder für die "Extremismusklausel" von der Opposition außergewöhnlich scharf angegangen, denn diese zwingt alle Stellen, die gegen Faschismus kämpfen, ihre Reihen auf "Extremisten" zu untersuchen - was deren Arbeit erschwert. Doch sah Schröder keinen Anlass, sich von dieser Klausel zu verabschieden.
ND unter Generalverdacht
Einzig die Gelder zur Bekämpfung des Rechtsextremismus, die ihr Ministerium zunächst auch zur Bekämpfung von Linksextremismus verwenden wollte, werden nun in voller Höhe gegen Nazis angewandt. Der Antikommunismus, der hinter Schröders Kampf gegen Linke steht, ist bei ihr ideologisch offensichtlich so verankert, dass selbst rechtsextreme Terrorgruppen sie nicht von dem Gedanken abbringen können, dass vor allem Linksradikale den Staat bedrohen.
Auch das ND ist von der Ministerin unter Generalverdacht gestellt. Mit seiner Kampagne reagiert das Blatt auf die von Schröders Ministerium geförderte Broschüre "Demokratie stärken - Linksextremismus verhindern", in der das ND wie auch die Wochenzeitung Jungle World zu extremistischen Medien erklärt werden, da sich in ihren Beiträgen "kommunistische bzw. anarchistische Weltdeutungen" fänden. Die Broschüre dient als Unterrichtsmaterial.
ND-Chefredakteur Reents wehrte sich anfangs gegen diese Einordnung seiner Zeitung - es sei denn, "Kapitalismus- und Gesellschaftskritik werden schon als Linksextremismus gewertet." Genau das aber scheint in der Broschüre der Fall zu sein. Als Reents im Ministerium nachhakte, warum genau das ND linksextrem sein solle, erhielt er nach Wochen eine nichtssagende Antwort. Auch Die Linke und die SPD beschäftigen sich inzwischen mit der Broschüre.
Sicherlich spielt eine Rolle, dass Die Linke indirekt am ND beteiligt ist. Doch die Zeitung ist kaum bekannt dafür, linksextreme Akte zu befürworten oder gar zu ihnen aufzurufen, im Gegenteil, in der radikalen Szene wird das Blatt immer wieder als zu konformistisch kritisiert.
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