Tagebuch aus Lützerath (7): Pure Machtdemonstration?

Die Räumung findet erst in drei Tagen statt. Die Polizei verstärkt stetig ihre Präsenz. Nicht alle Maßnahmen lassen sich als notwendige Vorbereitungen erkennen.

Demonstrant*innen in weißen Schutzanzügen stehen schwarz vermummten Polizeibeamten auf einem freien Feld gegenüber

Wenn aber die Räumung doch erst in drei Tagen ist, wie sehr soll sich die Polizeipräsenz noch steigern? Foto: Annika Reiß

Mit Stroh versuchen wir immer wieder das Feuer neu zu entfachen. Manchmal klappt es. Es ist 5 Uhr Morgens. Ich hab mich für die Nachtschicht an der „Bussi“ gemeldet – ein Beobachtungs- und Wachpunkt am östlichen Rand von Lützerath und ehemals die einzige Bushaltestelle des Dorfes. Aber ruhiges Sitzen gibt es hier nicht. In unserer unmittelbaren Nähe – mal einige hundert und mal nur 20 Meter entfernt – beobachten wir drei Stunden lang Bewegung.

Polizeitransporter fahren die Straße entlang, manche fahren rauf auf ihren eigenen Parkplatz, den sie gerade neu im Tagebauvorfeld errichten. Plötzlich biegt einer nicht nach rechts auf den Parkplatz ab, sondern fährt direkt zu den Barrikaden, die keine 10 Meter von uns entfernt sind und bleibt dort stehen. Unser Gespräch verstummt mitten im Satz. Was passiert da?

Irgendwann können wir unsere Blicke wieder abwenden, aber Fragezeichen im Kopf zeichnen Falten auf die Stirne der Aktivisten. Es ist 6:30 Uhr. Schichtwechsel. Eine ganze Horde Polizeiautos verlässt Lützi. Dafür kommen neue. Und es sind wieder mehr geworden.

Die kleinsten Ungewöhnlichkeiten lösen Unruhe aus. Heute Nachmittag wurde eine Lieferung der „Küche für Alle“ von der Polizei kurz vor Lützerath festgesetzt. „Jetzt schon unsere Gaslieferungen stoppen. Mann, was soll das?“ ruft eine Aktivistin genervt. Ohne Gas kann die Küche nicht kochen und es gäbe kein Essen mehr. Das Gas abzufangen ist ein Hieb, der richtig weh tut. Es bleibt dabei. Das Auto wird nicht nach Lützerath durchgelassen.

Die Ak­ti­vis­t:in­nen tragen die Gasflaschen den Rest des Weges nach Lützerath. Es ging wohl nicht um das Gas an sich und doch bleibt die Frage: Wo endet die Notwendigkeit der Vorbereitungen für die Räumung, mit der Polizei und Politik ihr Verhalten erklären und wo beginnt pure Machtdemonstration?

„Scheiße, sie lügen und räumen früher.“

Ich verbringe die Zeit in meiner Nachtschicht nicht damit, mich zu fragen, was die Polizei jetzt gerade vor meinen Augen macht, sondern vielmehr mit der Frage was sie hier generell für Ziele verfolgt? Also klar. Räumung vorbereiten. Wenn aber die Räumung doch erst in drei Tagen ist, wie sehr soll sich die Polizeipräsenz noch steigern? Kein Wunder, dass einige Leute sich tagtäglich abends drauf vorbereiten, morgens schnell ihre Sachen zusammenzupacken. Falls was unvorhergesehenes passiert.

Man vertraut dem Wort der Polizei einfach nicht. Ich habe mir schon ein paar Mal wirklich gedacht „Scheiße, sie lügen und räumen früher.“ Ich gebe zu, ich denke das seit kurz nach meiner Ankunft. Auch wenn ich es nicht laut ausgesprochen habe, weil ich niemanden noch mehr stressen will.

Ich finde sonst keine Erklärung für den Aufwand, den Polizei und RWE betreiben, um den Ak­ti­vis­t:in­nen zu zeigen, dass sie da sind und zu was sie fähig sind, keine Erklärung für die Festnahmen und die 20 bis 30 Polizeitransporter mit Blaulicht, die ich in diesem Moment am Horizont sehe.

Das Feuer ist schon wieder aus.

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1998, schreibt, filmt und macht Social Media bei der taz zu Klima, Aktivismus und Lützerath

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